Spurensucher im Alltag

Von Daniela Mayer · 03.07.2007
Stephan Brenn macht aus Alltäglichem Kunst. Zum Beispiel aus platt gefahrenen Fahrradkörben und Drähten, die er selbst auf Kölner Straßen sucht und findet. Sobald er sie kunstvoll an Wänden arrangiert, verwandeln sie sich in fein strukturierte Drahtzeichnungen mit einer eigenen, alles anderen als alltäglichen Ästhetik.
Stephan Brenn steht mit hochgekrempelten Ärmeln, vor einem niedrigen Tisch, in einem Kölner Ladenlokal. Das grelle Licht eines Projektors prallt auf sein blond- graumeliertes Haar und blendet seine Augen, mit denen der 45-Jährige immer so fröhlich-schelmisch schaut, als ob er sich und die Welt nicht allzu ernst nimmt. Jetzt aber ist sein Blick konzentriert. Mit spitzen Fingern wühlt er sich auf dem Tisch durch einen Berg aus 200 Drähten, die er selbst gesammelt hat.

"Egal wo ich bin, geh ich zu Fuß und mit dem Radl durch die Städte, und hab immer die Augen offen, und werde immer irgendwelche Drähte finden, die eben plötzlich so ein ganz eigenes Leben führen.

Hier hab ich zum Beispiel ein Stück überfahrenen Scheibenwischer, ... dann gibt es auch so kleine Ringe, Schaschliksticker ... "

Und ein altes verbogenes Brillengestell, das Stephan Brenn jetzt auf die Scheibe des Projektors legt.

Zeitgleich ertönt die Klarinette von Corinna Reiß. Die befreundete Künstlerin untermalt akustisch, was Stephan Brenn optisch auf eine weißen Leinwand im Schaufenster zaubert. Einen überdimensionalen, fein strukturierten Schattenriss des Brillengestells. Eine Lichtzeichnung aus Linien und Strukturen.

"Das ist wirklich auch das Faszinierende. Wirklich aus diesem Nichts wird durch diese kleine Geste eine wirklich unglaublich schöne Arbeit. Und das ist spannende diese Metamorphose, die diese Gegenstände mitmachen ... "
Immer wieder greift Stephan Brenn jetzt in seine Drähte und lässt aus Federn, Ohrringen und platt gefahrenen Körben abstrakte Licht- und Schattenbilder entstehen. Bis er nach einer Viertelstunde den vorerst letzten Draht vom Projektor nimmt. Die rund 50 Zuschauer draußen vor dem Schaufenster erwarten Stephan Brenn - und feiern ihn.

Groß, mit einer bodenständigen Präsenz, tritt er in seinen olive-braun gestreiften Hosen hinaus, und lacht mit erhobenen Händen. Selbstzufrieden, aber auch sympathisch verlegen.

"Applaus gibt im Grund genommen ja nie. Das ist ja eigentlich nicht das Brot unseres Berufstandes. Das finde ich natürlich auch ganz angenehm. Aber es ist mir nicht vertraut."

Stephan Brenn stellt seit über 20 Jahren aus, die größten Erfolge bisher aber bringen ihm seit zwei Jahren seine Arbeiten mit Draht. Einige seiner festen Installationen, bei denen er die Drähte mit Nägeln direkt an Wänden arrangiert, sind inzwischen in Galerien, in Privatsammlungen und demnächst auch im Museum für konkrete Kunst in Ingolstadt zu sehen. Dass ihm ausgerechnet diese Drahtzeichnungen so viel Beachtung bringen, freut ihn besonders.

"Weil ich einfach auch immer mal gerne zeichnen wollte, und überhaupt nicht zeichnen kann. Aber auf diese Art und Weise kann ich einfach mit dem Material zeichnen."

Tatsächlich schließt sich für Stephan Brenn durch die Arbeit mit Metall auch ein künstlerischer Kreis. Schon mit 17 nämlich beschloss er, das Gymnasium und seinen Heimatort bei Heidelberg zu verlassen, um eine Ausbildung zum Kunstschmied zu beginnen. Gegen den Willen seiner Eltern, die damals nur wenig Verständnis hatten für seine angestrebte Laufbahn als Künstler. Nur ein Lehrjahr hielt es ihn in der Schmiede.

"Weil ich zu schlanke Fesseln habe, und diesen doch etwas brachialen Beruf nicht wirklich gut ausüben konnte, ich hab dann eine Ausbildung als Kunstglaser gemacht, und hab Kirchenfenster entworfen und gebaut. ...dann fing ich an auch zu malen, also in den Farbtopf auch zu greifen, das fand ich unglaublich sinnlich, das hat mich aber auch irgendwie fehlgeleitet im Nachhinein. Vor zehn Jahren kam dann für mich der Punkt, dass ich diese Malerei quasi zu 90 Prozent vernichtet habe, und hab angefangen diese Welt noch mal mit ganz anderen Augen wahrzunehmen."

Mitte der 90er entdeckte Stephan Brenn die Kunst im Alltag und fing an, sich seine Materialien direkt von der Straße zu holen - in Form von Abfall.

"Die Leute wissen gar nicht, was sie da auf diese Art und Weise für schöne Spuren hinterlassen haben und meine Aufgabe ist es einfach, diese Spuren zu finden und dann auch aufzuheben. Und sie dann später wieder sichtbar zu machen."

Zum Beispiel in der Collage "Gratisprobe 99", mit der er jeden Tag des Jahres mit einem Fundstück dokumentierte, oder aber in dem Buch "Kruzifix und Mausefalle", das seine schönsten und kuriosesten Fundstücke aus dem Kölner Dom zeigt. Und natürlich in seinem eigenen "Museum für verwandte Kunst", das er vor vier Jahren in Köln mit gegründet hat und in dem er mit anderen Künstlern Kunstwerke aus alltäglichen Materialien zeigt. Madonnen aus Bonbonpapieren zum Beispiel, oder aber Hirschgeweihe aus Gabeln und Wolle - die vor drei Jahren für empörte Aufschreie in Jägerkreisen sorgten.

Inzwischen allerdings haben sich Stephan Brenn und seine Kunst schon soweit etabliert, dass er kürzlich sogar auf einem Müllkongress vor Recyclingexperten referierte:

"Da kam ich als Künstler und hab denen gezeigt, dass man mit den Dingen, die scheinbar Abfall sind, auch ganz wunderbare Kunstwerke erstellen kann. Ich sag mal zwei Drittel fanden das super, und ein Drittel konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass das irgendwie Sinn macht." (Lacht)

Für Stephan Brenn gibt es nach Jahren des Suchens daran keinen Zweifel mehr. Er hat sich mit seinen Drähten auch selbst künstlerisch gefunden - und der Erfolg bestätigt ihn.

Noch währen des Interviews wird Stephan Brenn um eine weitere Lichtinstallation gebeten und er beginnt erneut, sich mit spitzen Fingern durch seine Drähte zu wühlen. Die muss er - wie er nebenbei schnell noch lachend erzählt - in Zukunft übrigens nicht mehr nur alleine suchen.

"Also seitdem ich das mit den Drähten mache, fängt mein Vater an, Drähte zu sammeln für mich. Das ist wirklich köstlich. Und ich fahr in zwei Wochen nach Hause und dann wird er mir sein Ergebnis zeigen und ich denke, das wird wunderbar sein."