Spurensuche weit hinterm Ural

02.02.2012
Mit "Babuljas Glück" legt Dorothea Razumovsky die Fortsetzung ihres Erstlingsromans "Letzte Liebe" vor. Diesmal verschlägt es ihre resolute Heldin aus dem Seniorenheim bis nach Sibirien – bester Lesestoff gegen etwaige Altersdepressionen.
Es passiert nicht alle Tage, dass eine versierte Sachbuchautorin im Alter von 73 ihren ersten Roman schreibt und damit auch noch Erfolg hat. Dorothea Razumovsky ist diese Überraschung mit "Letzte Liebe" (2009) gelungen. Es ist die ziemlich komische Geschichte über eine resolute Witwe, die im Altersheim gegen alle Regeln verstößt und in dem halbwüchsigen, verwahrlosten Wowa die einzig vernünftige Ansprache findet. Am Ende verschwindet der Aussiedlerjunge spurlos, forsch reist die Heldin hinterher, um ihn in seiner Heimat Sibirien aufzustöbern.

"Babuljas Glück" ist ein - in sich geschlossener - Fortsetzungsroman. Man muss den Vorgänger aber nicht unbedingt kennen, um der wunderbar eigensinnigen Dame auf ihrer Spurensuche weit östlich hinter den Ural zu folgen.

"Eine alleinstehende alte Frau wurde offenbar für völlig harmlos gehalten. Das musste ich mir merken", denkt sie schon gleich zu Beginn, als sie am Flughafen unbehelligt die Zollkontrolle passiert. Dass sich aus dem Nachteil alt zu sein, bestens Kapital schlagen lässt, wenn man es nur geschickt anstellt; dass man aus Minus immer Plus machen kann, diese Erkenntnis variiert der Roman auf überaus vergnügliche Weise.

Mit List und Kombinationsgabe schlägt sich die Heldin, die stolze 80 Jahre zählt, durch die Steppe bis zu dem abgelegenen Ort durch, in dem Wowa aufgewachsen ist und wo sie ihn tatsächlich wieder findet. Ihr Plan, ihn mitzunehmen, zerschlägt sich zwar, aber sie wird ihm anders nützlich sein. Sie kommt unter bei der gleichaltrigen Martha, von der man nicht weiß, welche Geschäfte sie betreibt. Genau wie der Kolchosendirektor, der sich mitten ins Nirgendwo einen dreistöckigen Palazzo mit Pariser Badezimmer gestellt hat, ohne fließend Wasser allerdings, weil die französischen Verbindungsteile nicht zu den russischen Zu- und Abflussteilen passen. Oder Maxim, der in einer schwarz verhängten Limousine über die unbefestigten Straßen holpert und nicht nur mit eingeschmolzenen Lenin-Figuren handelt.

Andererseits, auch das Dorf steht vor einem Rätsel. Die distinguierte Dame aus dem verwöhnten Westen ist nur eines Waisenjungen wegen zu den Russlanddeutschen gereist? Man vermutet eine höhere Mission hinter ihrem Besuch. Wie die schönsten Spekulationen über das, was man sich nicht erklären kann, weil es fremd ist, sich wechselseitig auf komische Weise befeuern, das wird von der Autorin dramaturgisch geschickt gesteuert. Sie erzählt in durchweg leichtem Ton, selbst wenn Krieg und Zwangsumsiedlung als Schatten auftauchen, weil Martha in alten Kisten kramt und die Besucherin aus Deutschland die aberwitzige Idee hat, darin die Wehrmachtsmarke ihres in Russland gefallenen Vaters zu finden.

Am Ende reicht der Roman nicht ganz an den Vorgänger heran, was neben der Vorhersehbarkeit mancher Handlungsstränge auch daran liegt, dass ein Leben, um aufzubrechen, verheißungsvoller ist als das Ankommen. Dennoch, "Babuljas Glück" und seine kesse Heldin helfen besser gegen etwaige Altersdepressionen als jeder Ratgeber.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Dorothea Razumovsky: Babuljas Glück
Verlag Weissbooks, Frankfurt am Main 2011,
160 Seiten, 18,90 Euro
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