Sprüche eines Tee kochenden Kommunarden

Rezensiert von Annegret Kunkel · 02.08.2006
Der französische Philosoph Michel Onfray hetzt in seinem Buch "Wir brauchen keinen Gott - Warum man jetzt Atheist sein muss" gegen Religionen. Sie seien eine Katastrophe für jeden selbstständig denkenden Menschen. In Frankreich hat das Sachbuch Furore gemacht. Doch seine Argumente sind nicht neu und er schreckt nicht vor antisemitischen Sprüchen zurück.
Das waren noch Zeiten, als das Aufbegehren gegen Gott ein Männlichkeitsbeweis war. Im Spätmittelalter war Fluchen eine Mutprobe – raue Kerle bewiesen damit, dass sie nicht einmal die Hölle fürchteten. Dann kam die Aufklärung und mit ihr der Glaube an Fortschritt, Rationalität und Menschenrechte, an Gleichberechtigung, Wissenschaft und Vernunft. Plötzlich war Atheismus sexy, und später, unter Nazis und Kommunisten, blutige Pflicht. Auch das ist inzwischen vorbei.

Sowohl der Glaube an Gott als auch der an den Fortschritt ist einer allgemeinen Lethargie gewichen. Gott als Feindbild hat ausgedient, und ohne ihn, das wissen wir heute, lief es auch nicht unbedingt besser. Statt Fortschritt haben wir Kernenergie, statt Gleichberechtigung Scheidungsraten, statt Wissenschaft Ganztagsschulen.

Wenn heute ein promovierter Philosoph daherkommt und auf 320 Seiten aufgeregt erklärt, warum man jetzt Atheist sein muss, fragt man sich zuerst, wo der Mann die letzten hundert Jahre abgeblieben ist. Die Erleuchtung jedenfalls kam ihm, wie allen großen Propheten, in der Wüste.

"Solche himmlischen Paradiese erscheinen mir plötzlich als Gegenwelten, erfunden von müden, erschöpften Menschen, die von ihren unzähligen Routen durch die brennend heißen Sanddünen und Geröllpisten völlig ausgelaugt sind. Der Monotheismus kommt aus dem Sand."

Und auf Sand baut Michel Onfray seine Argumentation. Um es kurz zu machen: Wir brauchen, laut Onfray, keinen Gott, weil Gott eine Neurose sei, auf die wir unseren Todestrieb abwälzen; weil die, so Onfray, "metaphysische Trickserei" nur den Profiteuren im Hinterhalt, also den Herrschenden diene, die geistige Epidemien erzeugen; weil Gott eine Fiktion sei zur Rechtfertigung der Macht von Stammesfürsten, Königen oder Landesherren, kurzum eine Schreckensfigur des Großkapitals und ein Scheiterhaufen der Intelligenz.

Das alles hat man irgendwie schon mal gehört, zuletzt von halbgaren studentischen Marxisten im 68er Kinderladen. Michel Onfray bemüht sich zu provozieren, schimpft über "biblischen Plunder", "Abrakadabra-Theologien" und "Albernheiten um die Christusfigur" und macht sich über die sprechende Schlange im Paradies lustig, weil Schlangen schließlich, haha, nicht sprechen können.

Auch das klingt nach den Sprüchen eines teekochenden Kommunarden, der einer vierjährigen Genossin den Kindergottesdienst madig machen will.

"Bitte keine Geschlechtlichkeit, vor allem nicht! Fleisch, Blut und Lust werden von Natur aus mit der Frau assoziiert und sind für alle drei monotheistischen Religionen Gelegenheiten, um Verbote und Reinheitsvorschriften zu erlassen und die Kämpfe gegen den begehrenswerten Körper, gegen das Blut der vom Zwang zur Mutterschaft befreiten Frau und gegen die hedonistische Energie zu entfesseln. Bibel und Koran ergehen sich frohen Herzens in Verwünschungen dieser Themen."

Tatsächlich unappetitlich wird das Buch von Michel Onfray, wo er selbst vor antisemitischer Hetze nicht zurückschreckt. So verhöhnt er nicht nur die Gebote und Gebräuche der Juden, übrigens auch die der Christen und der Muslims, sondern schreibt zum Beispiel, dass der Gott der Juden zum totalen Krieg aufruft, um Palästina zu erobern oder dass die Öfen der Gaskammern mit einem Funken des Johannisevangeliums gezündet wurden.

Onfray verfällt in genau jenen geifernden, indifferenten Fanatismus, den er den Anhängern der kritisierten Religionen vorwirft. So nimmt es auch nicht Wunder, dass es auch bei ihm mit dem Denken, das er doch so hochhält, nicht so recht klappt.

"Der Korpsgeist funktioniert ausgezeichnet. Die Juden haben ihren Bund, die Christen ihre Kirche und die Muslime ihre Umma. Alle drei Institutionen unterliegen nicht dem Gesetz und genießen einen Status ontologischer und metaphysischer Extraterritorialität."

Onfray weiß offenbar nicht, dass nur die Kirche eine Institution ist, der Bund dagegen ein Vertrag mit Gott und die Umma ein ideologisches Versprechen, nämlich das der weltweiten Gemeinschaft aller Menschen. Und dem Gesetz unterliegen alle drei Religionen sehr wohl, dem des Alten Testaments, dem Kirchengesetz oder der Schariah.

Für schlechte Belletristik gibt es den Begriff "Schundroman" – für Michel Onfrays Buch müsste der Begriff "Schundsachbuch" erfunden werden, was in diesem Fall besonders passen würde, weil das Wort schon so hässlich ist.

Geeignet ist dieses Schundsachbuch für jeden, der noch Argumente sucht, mit denen er einen lieben und schon etwas senilen pensionierten Grundschul-Religionslehrer bei einem Seniorentee in der Malenter Volkshochschule zu einem leichten Kopfschütteln bewegen kann.

Michel Onfray: "Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss"
Übersetzt von Bertold Galli
Piper Verlag, München 2006
320 Seiten, 14 Euro