Dienstag, 23. April 2024

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Frankreich
"Der Nachrichtendienst ist ein Teil der Sicherheitspolitik"

Der Bundesnachrichtendienst könnte die NSA bei der Ausspionierung anderer Staaten unterstützt haben. In Frankreich reagiere man auf solche Verdächtigungen eher verhalten, weil man eine andere Auffassung von der Rolle der Nachrichtendienste vertrete, sagte Thibaut Madelin, Deutschlandkorrespondent der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos".

Thibaut Madelin im Gespräch mit Friedbert Meurer | 30.04.2015
    Blick auf das Gebäude der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) am 27.04.2015 in Berlin.
    Die Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst und den US-Geheimdienst NSA setzt zunehmend auch das Bundeskanzleramt unter Druck. (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Friedbert Meurer: Die NSA-Affäre hat das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA erheblich belastet. Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte den Amerikanern sogar öffentlich einen Rüffel: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!", so hat sie sich empört. Jetzt rückt immer mehr der Bundesnachrichtendienst in den Mittelpunkt. Welche Rolle hat er eigentlich bei alledem gespielt? Neueste Recherchen werfen dem BND vor, für die Amerikaner europäische, und darunter vor allem französische Politiker und Spitzenbeamte ausspioniert zu haben. Gudula Geuther berichtet über die Details aus Berlin.
    Gudula Geuther unter anderem über Recherchen, wie umfassend der Bundesnachrichtendienst der NSA bei der Spionage geholfen haben soll. Auch bei der Spionage gegen europäische befreundete Staaten wie zum Beispiel Frankreich. Thibaut Madelin ist Deutschlandkorrespondent der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos", jetzt bei uns im Hauptstadtstudio in Berlin. Guten Tag, Herr Madelin!
    Thibaut Madelin: Guten Tag, Herr Meurer!
    Meurer: Können wir jetzt eine Pressekonferenz von Francois Hollande erwarten, bei der er sagt: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht?"
    Madelin: Kann ich mir schwer vorstellen. Die Reaktion in Frankreich ist schon ganz anders als in Deutschland. Das hat man auch beim NSA-Skandal vor zwei Jahren gesehen. Es ist schon verhalten, selbst jetzt, wo diese ganzen Informationen aus den deutschen Medien kommen, ist die Reaktion der französischen Regierung sehr bescheiden, sehr verhalten. Also ich glaube, man wartet ab, was wirklich rauskommen soll. Aber bis etwas Konkretes kommt, wird man von Herrn Hollande oder selbst von Ministern wenig erwarten können, denke ich.
    Meurer: Der Bundesnachrichtendienst soll französische Politiker indirekt abgehört haben, Mails gelesen haben. Warum regt das bei Ihnen keinen auf?
    Madelin: Na ja, muss man, wie gesagt, abwarten. Wenn Namen kommen von Ministern oder hochrangigen Beamten, dann wird es möglicherweise etwas anders aussehen. Es ist schon so, dass wir, glaube ich, eine andere Kultur in Frankreich haben. Ich glaube, es gehört ein bisschen zum Konsens, dass der Nachrichtendienst ein Teil der Sicherheitspolitik ist, und insofern ist man ein bisschen abgehärteter als bei Ihnen in Deutschland, wo die Geschichte mit Gestapo und Stasi eine ganz andere Rolle spielt.
    "Deutsche reagieren auch anders wegen ihrer Geschichte"
    Meurer: Finden Sie, dass wir Deutschen zu empfindlich sind?
    Madelin: Das will ich nicht sagen. Ich glaube, dass Deutschland gute Gründe hat, so zu reagieren, und auch eine eigene Geschichte. Ich will auch nicht schwarz-weiß malen. In Frankreich gibt es ja auch gerade einen Gesetzentwurf über eine Reform der Nachrichtendienste nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" in Paris will die Regierung die Mittel der Nachrichtendienste erweitern, und das führt doch zu einer Debatte auch über Datenspeicherung. Also es gibt doch eine Debatte, aber sie ist viel ruhiger als in Deutschland.
    Meurer: Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundesnachrichtendienst und NSA. Wie eng genau in der Tat, die letzten Details kann man mit Sicherheit da natürlich noch nicht sagen. Gehen Sie eigentlich davon aus, Herr Madelin, dass die französischen Geheimdienste auch der NSA zuliefern und umgekehrt?
    Madelin: Doch. Das weiß man sogar, das gehört zu den Enthüllungen von Herrn Snowden von 2013. Da stand, wurde auch nicht dementiert, dass unsere DGSE, also unser Nachrichtendienst, eine enge Zusammenarbeit mit der NSA führt. Insofern ist da kein – ich gehe davon aus, dass keine große Überraschung in Paris jetzt herrscht. Allerdings, wenn Deutschland Frankreich abhört, spioniert, ist es vielleicht ein anderes Gefühl in dieser doch ganz besonderen Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland, die mehr von Vertrauen geprägt ist trotz aller Spannungen.
    Meurer: Müssen wir davon ausgehen, dass französische Geheimdienste umgekehrt auch hier in Deutschland spionieren?
    Madelin: Ich verfüge nicht über die Informationen, die wir alle gern hätten, aber –
    Meurer: Und wenn Sie sie hätten, würden Sie es uns nicht sagen.
    "Aufregung in Paris weitaus geringer"
    Madelin: Na ja, doch, ich bin auch Journalist. Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass die französischen Geheimdienste die deutschen nicht ausspionieren, wie auch umgekehrt. Ich glaube, darum ist die Aufregung in Frankreich so niedriger gewesen.
    Meurer: Die Franzosen haben ja auch schon, Entschuldigung, Herr Madelin, ganz andere Informationen über ihren eigenen Geheimdienst gehört. Wir erinnern zum Beispiel an diese Geschichte in den 80er-Jahren, als der französische Geheimdienst ein Schiff von Greenpeace, die Rainbow Warrior, dass dort eine Bombe gezündet hat. Da hat es auch einen Toten gegeben. Französische Geheimdienste haben in Afrika spioniert – wird da mit harten Bandagen gearbeitet?
    Madelin: Ich glaube, es gibt eine Kultur in Frankreich, die vielleicht ähnlich ist wie in Amerika, wo man davon ausgeht, dass die Sicherheit des Landes auch mit solchen Mitteln verteidigt und gesichert wird. Hier in Deutschland wird möglicherweise das Gleiche getan, man wird das aber nicht so offenkundig sagen. Oder man wird nicht erwischt, wie Frankreich in den 80er-Jahren erwischt worden ist. Jetzt, wenn man den deutschen Medien glaubt, dann ist der BND gerade erwischt worden, und das ist natürlich unschön, wenn man etwas höhere moralische Ansprüche hat.
    Meurer: Wie groß ist die Sorge in Frankreich, dass die Geheimdienste zu weit gehen, dass Befugnisse zu weit gehen, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden?
    Madelin: Die Sorge gibt es, und die wird auch ausgedrückt, gerade in der Debatte um diesen neuen Gesetzentwurf zur Verstärkung der Mittel der Nachrichtendienste. Es geht unter anderem darum, sogenannte Black Boxes zu ermöglichen, wonach die Telekommunikationsunternehmen ihre Kunden eigentlich fast einwandfrei für die Dienste ausspionieren können. Und da gibt es eine Diskussion in Frankreich. Das ist möglicherweise auch neu, und sogar der französische Präsident hat vor Kurzem angekündigt, dass er den Gesetzentwurf zum Verfassungsgericht erst mal, also vom Verfassungsgericht prüfen lassen möchte.
    Meurer: Diese Blackboxes, geht das noch weiter als unsere Vorratsdatenspeicherung?
    Madelin: Es gehört auch dazu, zum Beispiel diese Vorratsdatenspeicherung. Das Gesetz sieht erst mal vor, dass man die Daten von Verbrechern oder potenziellen Verbrechern oder von möglichen Terroristen 40 Jahre lang behält. Und natürlich, diese Black Boxes würden unter anderem die Daten dazu liefern.
    Meurer: Thibaut Madelin ist Deutschlandkorrespondent der französischen Wirtschaftstageszeitung "Les Echos". Er plädiert dafür, das alles sozusagen in Ruhe zu diskutieren, was wir jetzt in den letzten Tagen über den Bundesnachrichtendienst gehört und berichtet haben. Herr Madelin, schönen Dank nach Berlin, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.