Springer war "kein Visionär der Einheit, er war ein Kalter Krieger"

Tilman Jens im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 02.05.2012
Als einen Mann voller Widersprüche beschreibt Tilman Jens in seinem neuen Buch Axel Springer. Zu Unrecht sei der Verleger von den 68ern als gefährlicher Manipulator gesehen worden - und das Feindbild "Springer-Presse" existiere immer noch.
Liane von Billerbeck: Springer – allein bei dem Wort gehen bei vielen Menschen die Alarmglocken an. "BILD" lese ich nie, sagen die einen, die anderen können und wollen gar nicht ohne. Gerhard Schröder war klar, dass er nicht gegen "BILD" regieren kann, sondern dass "BILD" ein gutes Mittel zum Regieren ist, und der zurückgetretene Bundespräsident Wulff hat sehr schnell gemerkt, dass Bild mehr Macht hat als er. Doch wer war der Mann, der dieses Zeitungsimperium aufgebaut hat, wie wurde es zu dem, was es jetzt ist, dieser Axel Cäsar Springer? Darüber will ich jetzt mit Tilman Jens sprechen am 100. Geburtstag von Springer. Tilman Jens hat ein Buch über den Medientycoon geschrieben, und es ist nicht die erste, aber die aktuellste Biografie. Herzlich willkommen, Tilman Jens!

Tilman Jens: Grüß' Sie!

von Billerbeck: Ihr Buch heißt "Axel Cäsar Springer", und dass auch Sie den vollen Namen, also mit Cäsar Springer, gewählt haben, erinnerte mich gleich an einen DDR-Spielfilm über ihn – ein zugegeben ideologisches Werk im Klassenkampf. Wie war denn Ihr Verhältnis zu Springer, als Sie anfingen, ein Buch über ihn zu schreiben?

Jens: Ja, es war natürlich das kritische Verhältnis zu Springer. Ich hatte, weil ich mich in einem Fernsehfeature mit der Bespitzelung von Springer durch die Staatssicherheit informiert hatte und daran lange gearbeitet habe, schon ein bisschen gesehen, dass es ganz so einfach nicht ist. Es ist spannend, wie der Mann polarisiert hat. Sie haben es angesprochen, in der DDR einer der verhasstesten Monopol-Kapitalisten, obwohl seine Druckwerke gar nicht zu bekommen waren. Man konnte natürlich nicht die Bildzeitung lesen, und, und, und. Trotzdem hat man einen der teuersten DDR-Fernsehfilme – 600 Minuten! – über drei Jahre verteilt sich an diesem Mann abgearbeitet. Aber natürlich, das Feindbild primär im Westen, unter Studenten, unter Linksliberalen, unter aufgeklärten Büchern: "BILD" las man nicht, Grund: Riesenmanipulationsverdacht und Verhetzung der Studenten. Und da ist etwas Spannendes passiert, ich habe mir nämlich mal angeguckt, was die Springer-Presse wirklich geschrieben hat in den Jahren '66 bis '68. Und das ist differenzierter zu sehen, als man es gemeinhin annimmt.

von Billerbeck: Das heißt, Sie haben sich da durch Tausende Zeitungsseiten gefressen. Muss man Sie bedauern?

Jens: Na ja, es waren schon lange Riemen zum Teil, gerade die "Welt" mäanderte sich da wirklich durch, aber es war natürlich unglaublich aufregend. Kaum denken Sie, Sie haben eine Spur, sagen, er ist eben doch der alte Hetzer – wenn Sie sich die Karikaturen angucken, Dutschke umgeben von Hakennasen –, also das waren ja zum Teil auch alte Karikaturisten, die schon im "Stürmer" sich betätigt hatten, und dann plötzlich lesen Sie einen Aufruf: Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg auf dem Gewissen hatte, die Aufforderung, diesen Mann sofort aus dem Staatsdienst zu entlassen … in der "B.Z." Ich denke, das kann nur ein Druckfehler sein. Und das ging eben über Wochen so. Es gab auch eine Kampagne gegen Kurras. Es gab Zeitungen, die haben den Studenten – die "Welt" – SDS-Funktionären halbe Seiten zur Verfügung gestellt, die erhoben freimütig die Forderung, den Springer-Konzern augenblicklich, spätestens in den nächsten Semesterferien, zu enteignen. Wenn Sie sich das angucken, dann gerät einiges ins Wanken. Natürlich aber, daran kann kein Vertun sein, war die Grundstimmung negativ, antiaufklärerisch. Und daraus speist sich das Feindbild bis heute.

von Billerbeck: Trotzdem haben Sie gesagt, Springer werde maßlos überschätzt. Wie kam es denn, dass für Sie der Zeitungszar so auf Normalmaß geschrumpft ist?

Jens: Ja, wenn man sich anguckt etwa die Dürftigkeit seiner Reden, dann ist das schon – also immer wieder die gleichen Stereotypen, Freiheit, die kommunistische Bedrohung, die Ostpolitik von Brandt-Scheel, Ausverkauf Deutschlands – absolut monoton und überschätzt. Vor allen Dingen deswegen, er hat ja nicht viel erreicht. Er hat nicht mal sein Ziel erreicht, dass man sozusagen in den 60er-Jahren eine eigene Münze für die "BILD"-Zeitung prägt. Er wollte ja das 15-Pfennig-Stück haben, damit der Käufer der Bildzeitung nicht mehr zwei Münzen einwerfen musste, nachdem der Preis erhöht wurde. Aber primär natürlich: Sie haben probiert, die APO zu diskreditieren, heute müssen wir sagen, die APO ist selbst in Bayern angekommen. Also Horst Seehofer, Vater eines außerehelich gezeugten Kindes, ist Ministerpräsident in Bayern, die Ostpolitik, gegen die er Front gemacht hat, hat sich durchgesetzt.

Was mich so ärgert – das meine ich mit Überschätzung –, er ist als Feindbild, also als gefährlicher Manipulator überschätzt, aber natürlich auch als Visionär. Wenn ich mir jetzt ansehe, was nicht nur in den Springer-Pressen da an Lobhudelei über diesen Mann ergossen wird, das ist schon ziemlich unerträglich – er war kein Visionär der Einheit, er war ein Kalter Krieger, der von einem Deutschland träumte, aber das ging bis nach Königsberg. Also ich denke, da ist viel, viel Überschätzung drin.

von Billerbeck: Nun ist er ja immer, von seinen Feinden insbesondere, als Brauner bezeichnet worden, als Nazi – das wiederum war er nicht. Er verfolgte ja auch über sein Leben lang immer eine Politik der Anerkennung Israels, das Existenzrecht Israels. Es wird ja immer gesagt, dass selbst in Arbeitsverträgen bei Springer so was drinsteht.

Jens: Ja!

von Billerbeck: Und irgendwie wird einem da klar, dass da auch die Studenten eben so ein schlichtes Bild hatten: Wer mein Feind ist, der muss eben braun gewesen sein. Nun habe ich aber die Geschichte bei Ihnen noch mal gelesen, dass er ja doch da so eine private Vorgeschichte hat, die man nicht so im Kopf hat, so präsent, dass er nämlich den Rassegesetzen der Nazis gefolgt ist und sich von seiner ersten Frau, einer Jüdin, Martha Meyer, hat scheiden lassen. Also war Springer schlicht ein mieser kleiner Opportunist? Ist das wieder zu platt?

Jens: Ja, gut, er war … das ist mir wieder zu platt. Die Ehe war nach all dem, was man weiß, vorher, also schon vor den Rassegesetzen ziemlich am Ende. Diese Martha Meyer hat ein Foto einer anderen in einer Manteltasche gefunden – also die Ehe wäre gescheitert, das hat sie auch später gesagt, aber es war wie bei vielen ein Stück Opportunismus dabei, er war kein Widerstandskämpfer. Durch diese Biografie ziehen sich eben unendlich viele Brüche. Also er hat in der Tat viel getan für die Aussöhnung mit Israel, auf der anderen Seite hat er wirklich ein ganzes Bataillon alter Nazi-Schreiber beschäftigt, Nazi-Karikaturisten, wir haben drüber geredet.

Also der Mann ist – und das finde ich das Spannende – in hohem Maße widersprüchlich. Ein eiskalter Kaufmann, der sich vor größeren Geschäften von seiner Haus-Astrologin beraten ließ. Ein Mann, der, man kann beinahe sagen, frömmelte und sagte, ihr müsst permanent beten, der sich auf seine Privathäuser, auf das Chalet in der Schweiz, einen Glockenturm bauen ließ und immerhin fünfmal verheiratet war, von diversen Affären einmal abgesehen – also ein Mann voller Widersprüche, das finde ich spannend.

von Billerbeck: Springer ist '85 gestorben, Rudi Dutschke, sein Gegenüber, wenn man mal so die Zeitgeschichte nimmt, '79. Sie bringen die beiden, die im Leben nicht miteinander gesprochen haben, in ihrem Buch zusammen, und zwar in einem Epilog im Himmel, und ich habe sehr gelacht, weil ich natürlich an "Faust" dachte und den Prolog im Himmel …

Jens: Na ja.

von Billerbeck: … das war irgendwie lustig. Aber wieso nehmen Sie an, dass Dutschke und Springer heute miteinander reden könnten? Ist die Zeit der Barrikaden vorbei?

Jens: Die Zeit der Barrikaden ist nicht vorbei, ganz sicherlich nicht. Man sieht es in den aktuellen Diskussionen, also rechtzeitig zum Jubiläum haut die "Welt" mit einer dürftigen Stasi-Geschichte noch mal auf den einstigen Feind Wallraff ein, also man positioniert sich noch einmal, und auf der Gegenseite, man hört, "BILD" solle ausgeliefert werden in einer Gratisausgabe zum 60. Jubiläum, und im Internet scharen sich 200.000 Leute, die sagen, nie und nimmer.

Also die Feindbilder existieren noch – ich glaube, dass die Protagonisten Springer und Dutschke, so unterschiedlich, das sage ich ja auch, ihre Wiedervereinigungsfantasien – Dutschke wollte ja ein sozialistisches Deutschland, und Springer wollte ein großnationales Reich, die Oder-Neiße-Linie war für ihn nicht existent, er wollte weit drüber hinaus. Also da sind ganz große Unterschiede da, aber beispielsweise in dem Engagement für Gefangene in der DDR – es gab diesen bekannten Wehrdienstverweigerer Nico Hübner, der sich auf den Vier-Mächte-Status berief und sagte, ihr dürft mich nicht einziehen, und deswegen im Bau landete, waren sich Springer und Dutschke in einer Form einig, sie haben Petitionen unterschrieben. Dutschke hat einen langen Brief ins Gefängnis geschickt, also da gab es Berührungspunkte. Ein Freund der DDR waren beide nicht. Das finde ich spannend, gerade weil Dutschke von Springer, den Springer-Leuten als Protegé und Liebkind der DDR verhöhnt wurde.

von Billerbeck: Tilman Jens sagt das, Autor des Buches "Axel Cäsar Springer", das jetzt gerade erschienen ist. Danke fürs Kommen!

Jens: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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