Sprengel Museum

"Das ist Guggenheim in Hannover!"

Museumsdirektor Reinhard Spieler im Erweiterungsbau vom Sprengel Museum Hannover
Museumsdirektor Reinhard Spieler im Erweiterungsbau vom Sprengel Museum Hannover (Niedersachsen) © picture alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
18.09.2015
Vor der Fertigstellung wurde der Anbau des Sprengel Museums Hannover heftig gescholten. Jetzt ist ein eleganter Neubau mit einer spiralförmigen Treppen-Skulptur zum Vorschein gekommen. Eigentlich ein guter Platz für großformatige Skulpturen, der aber auch vermietet werden soll.
Die Bauzäune vor dem Sprengel Museum sind abgeräumt – und siehe da: Was allein aufgrund voreiliger Fotomontagen als "Beton-Sarg" und "Brikett" in der Lokalpresse attackiert wurde, das entpuppt sich nun als fein gegliederte, anthrazitfarbene Werkstein-Fassade. Geradezu elegant ragt der von den Schweizer Architekten Meili und Peter entworfene, 75 Meter lange Anbau am Maschsee-Ufer über einem gläsernen Erdgeschoss hervor. Und drinnen führt der Weg durch zehn "tanzende" Räume: Ausstellungssäle, deren Höhe um die fünf Meter variiert, ausgewogen proportioniert und mit asymmetrisch springenden Ein- und Ausgängen. Museumsdirektor Reinhard Spieler:
"Man läuft dadurch immer auf eine prominente Hängewand zu und beschreibt dann beim Durchschreiten der Räume quasi eine Sinuskurve. Bewegt sich also, kriegt andere Blickwinkel drauf. Bei der Enfilade haben Sie immer so ein bisschen die Situation einer Autobahn, da können Sie einfach gerade durch laufen und gucken einmal nach links und rechts."
Schnurgerade und durchgehend mit Türen
Die Enfilade, eine schnurgerade und durchgehend mit Türen in der Mitte versehene Raumflucht, kennzeichnet die Museumserweiterung von 1992. Nun bescheren die Stadt und das Land Niedersachsen dem Publikum für mehr als 30 Millionen neue Seh-Erfahrungen – für die alten, über Jahrzehnte stark angewachsenen Bestände. Aktuelle, zeitgenössische Kunst, wie sie jetzt unter anderem als Leihgabe aus Berliner Galerien gezeigt wird, ist einstweilen Platzhalter, "Trockenwohner" sozusagen:
"Es war klar, wir können noch nicht mit der Sammlung der Klassischen Moderne da hineingehen, weil das Klima noch nicht stabil genug ist. Ein weiteres Ziel war schon noch ganz bewusst, nicht nur name dropping zu betreiben. Dass wir also Arbeiten aussuchen, die dem Besucher einerseits die Augen für den Raum öffnen und die trotzdem dem Werk dann auch volle Kraft geben."
Bei dem Studenten Christian Lohre sind es überdimensionale Elektrozahnbürsten, die wie von Geisterhand bewegt über dem Terrazzo-Boden vor weißen Wänden den Raum ertasten. Ceal Floyer hat eine minimalistische Treppe aus schwarzen Lautsprecherelementen konstruiert, als Jakobsleiter in den perfekten Museums-Himmel: aufwendig gefiltertes Tageslicht von oben ist die einzige – und kostensparende – Beleuchtung. Und dann zeigt Direktor Spieler auf die Arbeit von Manfred Pernice:
"Für mich sieht es aus wie eine Panzersperre. Und ich hatte von Anfang an die Idee, diesen Pfeiler quer in den Raum zu legen."
"Die Liegende" ist denn auch der ironische Titel – für die Kopie eines Betonpfeilers. In natura ragt das ungelenke Teil seit 1992 mitten im Sprengel Museum auf – und wird seither in all seiner gewöhnlichen Hässlichkeit übersehen. Architekturkritik, oder richtiger wohl: die Meinungsmache hält es lieber mit Eingängigem, Symbolischem. Und da dürfte es wenig zu kritteln geben angesichts einer Treppen-Skulptur, die im Neubau über zwölf Meter hoch spiralförmig aufsteigt:
"Das ist Guggenheim in Hannover! Die meisten Besucher werden als erstes diese Assoziation haben. Das ist eine kraftvolle Spirale. Das schreit geradezu danach, wunderbare Sektempfänge dort auszurichten."
Halle dient anderen Zwecken
Eigentlich wäre diese Halle ein guter Platz für großformatige Skulpturen von Niki de Saint-Phalle, deren Schenkung den neuerlichen Erweiterungsbau ja überhaupt erst nötig machte. Daran ist ebenso wenig zu denken wie an die Nutzung als Besuchereingang. Dabei wäre hier die ideale Alternative zum labyrinthisch verstellten Foyer des Altbaus. Doch die schöne, neue Halle dient anderen Zwecken:
"Das ist auch aufgrund finanziellen Drucks auch eine Bauaufgabe geworden: Wir müssen, wir wollen diese Räume auch vermieten, um Geld zu erwirtschaften. Das ist vielfach nicht bedacht worden: Wenn Sie an die Schirn Kunsthalle zum Beispiel denken, da haben Sie so ein winziges Foyer, die können gar keine Eröffnungen zelebrieren."
Nicht nur mit Frankfurt und seiner Kunsthalle Schirn, auch mit Berlin als Kunststandort möchte Hannover sich messen. Museums-Direktor Spieler betont, dass hier gerade nicht Sammler wie Boros, Haubrock, Olbricht dominieren, die eigene Häuser privat bespielen. Niedersachsen schenken und stiften lieber "ihrem" Sprengel Museum. Aber diese von einer Sammlerpersönlichkeit wie Bernhard Sprengel initiierte und bis heute geprägte Institution ist kein Staubsauger, der alles aufnimmt, was es so an Kunst im Lande gibt.
"Der Gesamtklang macht dann das Bild. Ich glaube, das verstehen dann auch alle Stifter, dass erst das Gesamtensemble die Wirkung so richtig macht: wirklich das Sehen, das Erlebnis eines Werkes in einer ganz bestimmten Raumsituation mit einem ganz bestimmten Licht."
Solch ein Erlebnis war 2009 "Marc, Macke, Delaunay". Noch in den alten Räumen verzeichnete die Sonderausstellung über 270.000 Besucher, insgesamt waren es in jenem Jahr 341.000. 2014 dann kamen nicht einmal mehr 140.000 ins Sprengel Museum. Es reicht eben nicht, die Depots zu füllen, das Gebäude zu erweitern. Die Bestände wollen auch erschlossen, im Austausch mit anderen Museen neu gemischt werden. Eine lohnende Aufgabe für Kuratoren – aber für diese Stellen ist kein Geld mehr da im Kulturetat einer Stadt, die allzu sehr auf Äußerliches schaut, sich im Streit über Fassaden erschöpft.
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