Sprachkritik

Zerstört die Political Correctness die Debattenkultur?

09:24 Minuten
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch spricht am 06.05.2014 bei einer Keynote auf der Internetkonferenz Republica in Berlin. Auf der Veranstaltung werden vom 06.05.2014-08.05.2014 Vorträge über Themen rund um das Internet gehalten. Foto: Britta Pedersen/dpa | Verwendung weltweit
Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch kann die sprachliche Versunsicherung von Menschen wie Monika Grütters nicht nachvollziehen. © dpa-Zentralbild
Anatol Stefanowitsch im Gespräch mit Axel Rahmlow · 05.02.2020
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Die Debattenkultur ist bedroht, sagt Monika Grütters. Aus Angst etwas "politisch Unkorrektes" zu sagen, verstumme die "demokratische Mitte", meint die Kulturstaatsministerin. Sprachwissenschaftler Stefanowitsch sieht in der Unsicherheit Raum für neue Ideen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) warnt vor einer Bedrohung der Debattenkultur durch "sprachliche Gewalt". Tatsächlich müsse man sich um den zivilisierten Streit mehr Gedanken machen als um die Meinungsfreiheit, sagte die Ministerin.
Manche Menschen, die sich angegriffen fühlten, verstummten schneller, als es eigentlich gut sei. So werde einerseits immer wieder die sprachliche Verrohung kritisiert. Andererseits, so Grütters wörtlich, mache eine "hysterische Political Correctness auch viel Raum frei für das, was sich dann an den Rändern tut". Manchen ginge es eben nicht um Verständigung, sondern um das Verstummen von anderen Meinungen. Dies sei brandgefährlich, so Grütters.
Die Ministerin beklagt nicht nur sprachliche Gewalt von rechts, sondern auch von links:
"Eine Linke, die Diskriminierung und Ausgrenzung mit Gendersternchen oder Sprachschöpfungen wie PoC, People of Color, aus der Welt schaffen will, hat ja nicht die Diskriminierer und Ausgrenzer, sondern die gemäßigte demokratische Mitte zum Schweigen gebracht. Ich habe ja gerade schon gesagt, dass wir Politiker alles versuchen, um bloß nirgendwo anzuecken, und mit solchen Empfindlichkeiten werden auch Leute wie wir, die bester Absicht sind und niemanden ausgrenzen wollen, zu ängstlichen Sprechern. Wenn man die gemäßigte demokratische Mitte mit solchen hysterischen political korrekten Dingen zum Schweigen bringt, dann macht man auch die demokratische Immunabwehr gegen diese rechten Ausgrenzer, gegen totalitäre Anwandlungen kaputt. Ich finde, das ist ein krachendes Eigentor. Also von links und rechts wird Druck gemacht, und am Ende kriegt man Ärger, wenn man in der Mitte steht, von beiden Seiten. Das schadet dem politischen Diskurs."

Nicht herabwürdigen, nicht unsichtbar machen

Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin teilt diese Sicht nicht. Er definiert politisch korrekte Sprache als eine, die andere Menschen nicht herabwürdigen und sprachlich nicht unsichtbar machen soll. "Wenn das eine Anforderung ist, bei der Frau Grütters sagt, sie verstummt vor Angst und weiß nicht, was sie noch sagen soll, dann würde mich mal interessieren, was sie eigentlich gern sagen würde." Das Argument, die Forderung schränke die Meinungsfreiheit ein, habe es aus dem konservativen Lager gegeben noch bevor der Begriff der Political Correctness existierte.
Grütters mache eine kommunikative Version der Hufeisentheorie auf: "Die Menschen, die möchten, dass niemand sprachlich herabgewürdigt wird, und dass niemand sprachlich unsichtbar gemacht wird, die sind im Prinzip genauso schlimm wie die Menschen, die inzwischen auch wieder offen nationalsozialistisches Vokabular in den öffentlichen Diskurs einführen. Und jemand der diese beiden Seiten gleichsetzt und sich dann in einer imaginierten politischen Mitte verängstigt fühlt, den kann ich, nachdem es diese Diskussion seit über 50 Jahren gibt, nicht mehr so richtig ernst nehmen."

Betroffene fordern sprachlichen Respekt ein

Verunsicherung könne es immer geben in einer Gesellschaft, die immer komplexer werde, in der immer mehr Gruppen, denen man früher nicht groß zugehört und die man nicht nach ihren Befindlichkeiten gefragt habe, sich das inzwischen nicht mehr gefallen ließen und sich zu Wort melden, so Stefanowitsch. Die betroffenen Gruppen seien es in der Regel, die sprachlichen Respekt einfordern und nicht eine "diffuse Linke".
Allerdings seien Verunsicherungen im Alltag kleiner als in der Welt, in der Frau Grütters sich bewege. Stefanowitsch habe es nie erlebt, dass ein sprachlicher Fehltritt ins soziale Abseits geführt habe. "Wenn eine Verunsicherung übrig bleibt bei Leuten wie Frau Grütters, kann ich das nur begrüßen." Die Unsicherheit könne althergebrachte Denkmuster zerbrechen und Raum für neue Ideen schaffen.
(leg)
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