Sprache und Identität

Was man jetzt wie sagen kann, darf, soll

04:39 Minuten
Auf einem Computerbildschirm steht „leg*in“
Viele Leute behaupten, sie könnten das Gendersternchen nicht aussprechen. Dabei ist es so einfach, meint die Publizistin Sheila Mysorekar. © picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow
Ein Kommentar von Sheila Mysorekar · 24.03.2021
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Die Publizistin Sheila Mysorekar versteht die Empörung über Gendersternchen und die Aufregung über Hinweise auf diskriminierende Bezeichnungen von Minderheiten nicht. Andere Menschen nicht zu beleidigen, sollte selbstverständlich sein, findet sie.
Dauernd muss man sich umgewöhnen. Alles Mögliche heißt jetzt anders als früher. Die deutsche Mark heißt Euro, die Mohrenstraße heißt irgendwie anders und Fräulein Hansen aus der Buchhaltung hat geheiratet und heißt jetzt Frau Müller. Ach, und Fräulein darf man auch nicht mehr sagen! Wer soll da noch hinterherkommen? Was darf man denn überhaupt noch sagen?
Ungefähr so klingt die permanente Aufregung darüber, wenn man darauf hinweist, dass Menschen mittels Sprache diskriminiert werden – und dass wir uns auf neue Begriffe oder Schreibweisen einigen sollten. Das wäre nämlich ein klarer Hinweis auf unsere Werte. Also: Wir möchten Frauen nicht diskriminieren und wir möchten Minderheiten nicht mit rassistischen Namen belegen. So etwas könnte man einfach unter anständigem Verhalten verbuchen.

Jeder kann das Gendersternchen mitsprechen

Weit gefehlt. Spaltung! Cancel Culture! heißt es dann. Die deutsche Sprache würde verhunzt, wenn man weibliche Formen mittels Gendersternchen mitspricht, indem man eine minikleine Pause im Wort macht. Viele Leute behaupten, sie könnten das nicht aussprechen, aber es ist genauso einfach, wie wenn man Spiegelei sagt. Eine kleine Pause mitten im Wort: Spiegelei. Nur Idiot*innen können nicht Spiegelei sagen.
Ebenso ist es jedes Mal eine Staatskrise, wenn eine diskriminierte Minderheit darum bittet, ein Schimpfwort nicht mehr zu gebrauchen, also etwa die Z-Soße als Paprikasoße zu bezeichnen. Dann heißt es sofort Zensur und Sprechverbot.

Sprache hat sich schon immer gewandelt

Die Aufregung ist vor allem deswegen nicht verständlich, weil Deutsche sich schon öfters in der Geschichte an völlig neue Namen gewöhnen mussten.
Zum Beispiel: Als 1935 der Tesafilm auf den Markt kam, hieß er Beiersdorf-Kautschuk-Klebefilm und wurde erst später in Tesafilm umbenannt. Ich bin sicher, dass es auch damals großes Geschrei gab: Oje, wie soll ich nun meinen geliebten Beiersdorf-Kautschuk-Klebefilm im Laden finden.
Oder, was ja auch eine gewisse Umgewöhnung bedeutet: Unser Land hieß mal Deutsches Reich, dann Großdeutsches Reich. Dann musste man sich vier Jahre lang die Zone merken, in der man lebte. Später hieß diese Gegend dann Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise DDR und nun leben wir in Deutschland. Da musste man sich ziemlich oft an einen neuen Namen gewöhnen.

Aber jetzt soll die deutsche Identität ernsthaft bedroht sein, wenn eine Grillsoße anders heißt? REWE und Edeka hatten keine Probleme damit, ihre Produkte anders zu nennen. Nur das deutsche Feuilleton und natürlich die AfD machen einen enormen Wirbel deswegen.
Auffällig dabei ist Folgendes: Wenn Raider in Twix umbenannt wird, oder Broiler in Brathähnchen, dann machen alle brav mit. Aber wehe, diskriminierte Minderheiten stellen irgendetwas infrage. Dann heißt es, dies sei Identitätspolitik und greife die Meinungsfreiheit an.

Wer Schimpfworte benutzt, bekommt eben Gegenwind

Keins davon trifft zu. Wenn eine männlich und weiß dominierte Mehrheitsgesellschaft Regeln aufstellt und damit auch die Sprache prägt, dann bestätigt sie damit ihre Identität, eben als männlich und weiß, also wo Frauen in der Sprache mitgedacht werden, und wo man Minderheiten wie Sinti und Roma bezeichnen kann, wie man will, auch mit negativen Namen.
Die Meinungsfreiheit wird ebenfalls nicht angetastet. Wer will, kann nach wie vor Schimpfworte benutzen – aber dann kriegt man Gegenwind. Genau das sind viele Leute nicht gewohnt, vor allem jene weißen Männer, die bisher den Diskurs dominiert haben.

Es ist eine zutiefst demokratische Debatte, wenn wir unsere Sprache nach Rassismus abklopfen und neu bewerten, weil sie zeigt, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Dies ist ein kreativer Prozess auf dem Weg in die Zukunft. Es bedeutet jedoch: Die Leute, die bisher die Debatten bestimmten, müssen lernen, Kritik auszuhalten. Wer dies als Cancel Culture oder Kulturkampf bezeichnet, der will keine echte Meinungsfreiheit, sondern Minderheiten aus der politischen Debatte heraushalten. Aber diese Zeiten sind vorbei.

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen, einer Organisation von Journalistinnen, Journalisten, Medienmacherinnen und Medienmachern mit und ohne Migrationsgeschichte. Sie ist indodeutsche Rheinländerin und lebt in Köln. Ihr Studium absolvierte sie in Köln und London und arbeitete als Journalistin, unter anderem in Jamaika, Indien, den USA und vielen Ländern Lateinamerikas, darunter elf Jahre als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien.

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