Sport im Krankenhaus

Bogenschießen als Therapie

Spannen eines Bogens
Ein Mann spannt einen Bogen: "Das ist einfach die beste Sportart im Krankenhaus." © picture alliance / dpa / Foto: Heiko Wolfraum
Von Maximilian Klein  · 30.12.2014
Eine außergewöhnliche Reha-Maßnahme: Im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn probieren sich Patienten im Umgang mit Pfeil und Bogen. Durch die Schießübungen trainieren sie Bewegungsabläufe, die ihre Körper nach schweren Verletzungen erst wieder lernen müssen.
"Wir haben hier in den Trainingsphasen verschiedene Punkte, worauf wir achten. Wir kriegen zum Beispiel gesagt, mal nur überhaupt nicht gucken, wo wir hinzielen."
Ein Schießstand – im Keller eines Berliner Krankenhauses.
"Es geht nicht darum, wo der Pfeil jetzt landet, sondern auf den Körper achten, ziehe ich die Schultern richtig nach hinten, habe ich die Sehne richtig Mitte Kinn."
Das Zielen ist egal. Das Treffen ist egal. Die Bewegung ist wichtig. Es geht nicht um Medaillen, es geht nicht um Zeitvertreib. Es geht nicht einmal ums Treffen der Zielscheibe. Wer hier trainiert, hat ganz andere Probleme.
"Ich bin auf dem Nachhauseweg gewesen, ich kann mich da überhaupt nicht daran erinnern, weil ich so große Schäden hatte. Aber wie mir gesagt wurde, ich bin von meiner Fahrbahn auf die Gegenfahrbahn gekommen und da ist ein 40-Tonnen-LKW gewesen. Und mit dem bin ich kollidiert."
Ein Aufprall: PKW gegen LKW. Warum, wieso? Virgina Höf weiß es nicht. Sie weiß überhaupt nichts mehr, nicht, wie es zu dem Unfall kam. Und nichts von dem, was davor geschah – in ihrem gesamten Leben. Sie hat ihr Gedächtnis verloren. Elf Monate lag sie im Krankenhaus. Ihre Verletzungen mussten heilen, so gut es ging.
"Ich habe Gehirnschaden, den schwersten, den es gibt, mein rechter Arm, mein linkes Bein, da geht nichts mehr bei mir."
Und: Ihre Erinnerungen sind nicht zurückgekommen. Sie musste alles neu lernen: Sprechen, Lesen, wie sie die ersten 29 Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Und noch etwas lernte sie neu: das Schießen.
"Am Anfang habe ich 45 Mal gebraucht, um überhaupt die Scheibe zu treffen. So schlimm war das bei mir."
Pfeil und Bogen – das ist neu für sie. Schießen konnte sie schon vor dem Unfall, sie war Polizistin. Ihre Eltern haben ihr davon erzählt. Jeden Tag im Krankenhaus hat Virgina Höf Neues über sich erfahren – über ihr altes Leben. Sie spannt den Bogen, sie zielt. Sie trifft.
"Aber ist schon sehr gute Sache, hier Bogenschießen, weil man da wirklich sehr viel hat. Das Gedächtnis wird auf jeden Fall gefördert. Man muss sich ja alles merken und die ganze Koordination wird unterstützt. Und man kommt mit den Patienten auch super ins Gespräch, man kann sich unterhalten. Das ist einfach die beste Sportart, sagen wir, im Krankenhaus."
Erfolg durch Selbstvertrauen
Den Ärzten geht es aber um mehr als Sport. Um das Wiedererlernen von Bewegungsabläufen, um das Kennenlernen eines Sportgeräts, um Konzentration. Wichtig für alle Patienten: Selbstvertrauen. Das Beherrschen der anspruchsvollen Waffe ist oft ein erstes Erfolgserlebnis nach langwierigen und schweren Zeiten. Wenn ein Patient das kann, ist vieles möglich.
Angelika Schenk: "Also, das ist ein Bogen. Die gibt es in unterschiedlichen Stärken. Am Anfang schießt man immer mit einem sehr leichten Bogen, um erst einmal die Handhabung zu verstehen. Dann kommt es darauf an, auf die gesundheitlichen Aspekte. Manche können wirklich nur mit einem leichten Bogen auch anfangen. Und mit der Zeit kann man dann sich ein bisschen steigern auf die stärkeren Bögen.
"Also, es gibt für Links- und Rechtshänder Bögen. In meinem Fall, also ich bin Linkshänder, mit der linken Hand den Bogen halten mit gestrecktem Arm. Wobei der Bogen eigentlich nur zwischen Daumen und Zeigefinger liegt und nicht krampfhaft in der Hand gehalten wird. Dann wird der Pfeil eingelegt ... - es gibt unterschiedliche Pfeile von der Stärke, vom Gewicht, von der Länge. Der Pfeil wird eingelegt, ist immer so markiert mit so genannten Federn, die auch die Flugbahn entsprechend halten."
Angelika Schenk sitzt im Rollstuhl. Rechts neben ihr: die Kegelbahn des Unfallkrankenhauses, nur durch eine dünne Wand getrennt von der vielleicht dreißig Meter langen Schießbahn. An deren Ende hängen drei Zielscheiben.
"Man steht beziehungsweise sitzt im rechten Winkel zur Scheibe und dann eben die Sehne ausziehen, dabei den Kopf ganz gerade halten und die Sehne genau am Mittelkinn anlegen, die Hand muss unter dem Kinn sein, dann auf das Gelbe zielen und lösen, klappt nicht immer."
Sie musste für eine Operation ins UKB.
"Ich bin inzwischen 50 Jahre alt und bin 2010 stationär im UKB gewesen wegen einer Blasenoperation."
Angelika Schenk ist gelernte Maschinenbauzeichnerin, die nie vorhatte, Bogenschießen zu lernen. Warum auch? Heute spürt sie, dass es ihr geholfen hat.
"Das Bogenschießen selber hat mich psychisch stark aufgebaut. Erstens mal die Mitpatienten, mit denen man sich unterhalten kann. Man steht nicht mehr alleine da mit seinen eigenen Problemen. Man sieht anderen geht’s schlechter und die machen auch was draus."
Gottfried Zeipich: "Ich bin von der Leiter gefallen."
Arbeitsunfall kurz vor der Rente
So wie Gottfried Zeipich, der jetzt am Schießstand steht. Er will erzählen. Er ist Anfang 70. Kurz bevor er in Rente gehen wollte, hatte er einen Arbeitsunfall.
"Dadurch hatte ich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Zum Glück bin ich dann hierher gekommen in das Unfallkrankenhaus. Ich glaube, weiter weg, da hätte ich es gar nicht überlebt."

Er war ein Jahr lang im Krankenhaus.
"Da war ich in einem üblen Zustand. Man sieht es vielleicht hier noch auf den Bildern, da vorne, das bin ich, in der grünen Hose. Da hatte ich dann auch noch Doppelbilder und eine Augenklappe getragen, hatte einen Katheter, war im Rollstuhl und deswegen bin ich sehr stolz, dass ich den Zustand nicht mehr habe."
Hier zu stehen, über den Unfall zu reden, die Erinnerungen wachrufen – Gottfried Zeipich kann es noch immer nicht fassen, wenn er darüber spricht. Er ist froh – auch über jeden Tag, den er trainiert.
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