Schwitzen und Dichten
Von Gerd Brendel · 06.10.2014
Eine Handvoll Poeten aus dem Buchmessen-Ehrengastland ist unterwegs nach Frankfurt. "Schweiß und Poesie" nennen die Finnen ihr Tourneeprogramm. Sie verbinden darin Sauna und Spoken Word Performances zu einem hautnahen Literaturerlebnis.
Ein Abend ein bisschen so wie in einem Kaurismäki -Film: auf einem alten Garagenparkplatz in Berlin Prenzlauer Berg Fackeln, eine brennende Öltonne, Männer mit Bärten. Eine Frauengruppe teilt sich eine Wodka-Flasche. Das Mikrofon scheppert. Die Rockabilly-Band spielt trotzdem munter drauf los. Und einer der Bartmänner, der Spoken Word Poet Harri Hertell, stellt die wichtigste Frage des Abends:
"When the sauna is ready?"
Und wann ist die Sauna soweit? Gleich, aber vorher treten noch Finnlands bekannteste Spoken Word Performer ans scheppernde Mikrofon.
Lyrischer Roadtrip zur Buchmesse
Das Gedicht über die Eins - "Üx" - zum Auftakt von Dirk Huelstrunk ist das experimentellste und das originellste des Abends. Der Soundpoet hat den poetischen Roadtrip mit finnischen Spoken Word Poeten quer durch Deutschland zur Buchmesse organisiert.
Dirk Huelstrunk: "Es ist eher nicht die lustige Geschichte, wie bei deutschen Slam Poeten."
Und auch nicht die Kommentare zu Gesellschaftspolitik, wie bei englischsprachigen Slammern. Stattdessen wird in den Texten aus Helsinki oder Turku nüchtern die eigene Umwelt beobachtet und die eigene Rolle reflektiert,
"Vielle Üx!"
Noch eins ! Ein Gedicht von Harri Hertell zum Beispiel:
"Für kurze Zeit habe ich einen Platz in der Welt
und es ist nicht irgendein Platz
sondern ein Fensterplatz
für zwei Stunden zwischen Turku und Helsinki
im Wagen vier, Sitz 85
verbuche ich den Ertrag meiner Reise
dunkle Ringe unter den Augen
Dörfer, Wälder, Reklameschilder rasen vorbei
wie aufgeschreckte Hasen"
und es ist nicht irgendein Platz
sondern ein Fensterplatz
für zwei Stunden zwischen Turku und Helsinki
im Wagen vier, Sitz 85
verbuche ich den Ertrag meiner Reise
dunkle Ringe unter den Augen
Dörfer, Wälder, Reklameschilder rasen vorbei
wie aufgeschreckte Hasen"
Ihren Platz zumindest in der literarischen Welt haben die anwesenden Vertreter der Spoken Word Szene als Buchautoren längst gefunden. Und auch anderswo: Kasper Salonen zum Beispiel verdient sein Geld als Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Sein Auftritt ist der charismatischste des Abends.
Noch ein Gedicht. Zufall oder nicht, auch Salonen hat einen Text mit dem Titel: "Mein Platz in der Welt" im Gepäck, aber dann entscheidet er sich wegen der heimeligen -Atmosphäre mit den Fackeln für ein Naturgedicht.
"Vor mir öffnet sich der Weg. Die Ruder tauchen ein ins Wasser, in ihr flaches Universum. Sie hinterlassen Spuren die verschwinden als fragten sie nach ihrem Ursprung."
Salonen beschreibt ein Sommerwochenende in einem typischen Mökki - einem Ferienhaus.
"Die Regeln und Gesetze von Wasser und Himmel klettern ineinander, fallen übereinander her."
"Drei von fünf Finnen haben ein Wochenendhaus auf dem Land - ein Ort zum Meditieren und einfach so sein. Und klar gibts da immer ne Sauna."
Mit der Bierflasche in die Saunakabine
Ach ja die Sauna! Die darf natürlich auch bei "Schweiß und Poesie" nicht fehlen. Der mobile Schwitzraum in einem umgebauten Feuerwehrauto steht gleich neben dem Mikrofon.
"Erst mal muss man verstehen, dass die Sauna ein heiliger Ort ist, an dem alle, egal wie sie aussehen und was sie glauben zusammen kommen um diese universelle Menschlichkeit zu teilen. Das ist echt tief, aber natürlich ist die Sauna auch einfach nur ne gute Entschuldigung um sich zu treffen und ein paar Bier zu trinken."
Erklärt Salonen beim Ausziehen.
"Oh shit, I forgot my beer!"
Bevor er ein paar Minuten später mit der Bierflasche in die Saunakabine steigt.
"Vielle Üx!"
Hinterher stehen er und seine Dichterkollegen nackt bis auf das Badehandtuch um die Hüfte mit "noch einem Bier" vor dem brennenden Ölfass:
"Ich schreibe über die Natur, die Jahreszeiten und die Menschen in meiner Umgebung. Denn je besser wir einander verstehen, desto besser verstehen wir uns selbst."
Schwitzen und dichten. Vielleicht sind die Texte von Salonen und Hertell so stark, wenn sie Naturerfahrung und zwischenmenschliche Interaktion beschreiben, weil sie die anderen und sich so hautnah erleben in der Sauna.
"Für mich ein perfektes Beispiel, wie sich Menschen einander verbinden."
Und mit der Natur wie in Salonens Mökki-Gedicht:
"Die Regeln und Gesetze von Wasser und Himmel klettern ineinander, fallen übereinander her, brüten Eierkuchen zum Mittagessen aus, am Rande einer Cumulus-Wolke."
Noch eins! Noch ein Gedicht? Nein erst noch ein Saunagang! Wie fasst Dirk Huelstrunk das Konzept von "Schweiß und Poesie" zusammen?
"Wir lesen vor der Sauna aber man kann zwischendrin in die Sauna gehen und die Poesie wieder ausschwitzen."
