Spiritualität für Religionslose

"Bei uns hat niemand recht"

Blick auf einen Teil des Deckengewölbes der Nikolaikirche in Leipzig
Blick auf einen Teil des Deckengewölbes der Nikolaikirche in Leipzig: Auch für Nichtgläubige und Religionslose ein erhebender Anblick. © dpa / picture alliance / Peter Endig
Von Josefine Janert · 31.05.2015
Wie kommt man mit Religionslosen und Atheisten ins Gespräch? Eine Frage, die sich die Kirchen inzwischen häufiger stellen müssen, denn die Zahl der konfessionslosen Menschen wächst. Eine Gruppe in Leipzig versucht, Spiritualität für Religionslose zu praktizieren.
Also gibt es immer wieder mal Diskussionen und Konferenzen. Aber was viel schwerer ist: diesen Austausch zwischen Nichtglauben und Glauben auf Dauer zu stellen – und beide Seiten zu ihrem Recht kommen zu lassen. Josefine Janert hat eine Gruppe in Leipzig getroffen, die genau das versucht: Spiritualität für Religionslose zu praktizieren – und dabei alle Teilnehmenden mit dem ernstzunehmen, was sie umtreibt.
Karin: "Diese Tierliebe kommt daher: Also ich bin mit Tieren großgeworden. Und ich komm aus einem Elternhaus, das nicht gerade als glücklich genannt werden kann. Und ich kann sagen, dass mir Tiere, die haben mir die Liebe gegeben, die ich im Elternhaus nicht bekommen hab."
Karin ist 58 Jahre alt. Als Kind wurde sie evangelisch getauft und konfirmiert. Aber in den Sonntagsgottesdienst zieht es sie seit langem nicht mehr:
"Ja, und da ich einen starken Bezug zu Tieren hab, hat mich das immer sehr gestört, dass in der Kirche immer nur die Menschen berücksichtigt werden. Und die Tiere, also die Schöpfung, die fällt so außen vor. Und ich hab in der Tierschutz-Initiative versucht, das irgendwie miteinander in Verbindung zu bringen und hab gesehen, wie schwer das ist, so 'nen Gottesdienst für die Schöpfung zu arrangieren – also dass die wenigsten Pfarrer dafür ein offenes Ohr haben."
Geborgenheit im Gesprächskreis
Gern würde Karin mal ihren Hund mit in die Kirche nehmen. Doch in den meisten Gemeinden ist das undenkbar, was Karin nicht so ganz versteht. Vor zwei Jahren lernte die Wahl-Leipzigerin, die ursprünglich aus Hessen stammt, den Jesuitenpater Bernd Knüfer kennen.
Er kam 1991 als Studentenpfarrer nach Leipzig. Später baute er dort die Kontaktstelle der katholischen Kirche für Lebens- und Glaubensfragen mit auf. Mittlerweile arbeitet der 76-Jährige dort ehrenamtlich. Knüfer leitet drei Meditationskurse und den Gesprächskreis "Spiritualität für Religionslose". Etwa zehn Männer und Frauen aus allen Altersgruppen treffen sich dort einmal im Monat. Karin gehört zum festen Kern. Ihren Hund muss sie zwar zu Hause lassen. Aber dank Bernd Knüfers unkonventioneller Art fühlt sie sich trotzdem geborgen:
"Er hat so was, ja: Mütterliches, er versorgt einen. Er gibt einem das, was man vielleicht grade im Elternhaus nicht bekommen hat. Er hört einem zu."
Bernd Knüfer stellt zwei Kannen mit Tee auf den Tisch. Er trägt eine Strickjacke über dem karierten Oberhemd. Viele Teilnehmer kennt er gut und weiß um ihre Lebensgeschichten. Doch er bleibt beim formellen Sie.
Schon seit seiner Jugend ist Bernd Knüfer offen für Einflüsse aus anderen Religionen. Seit er 16 Jahre alt ist, praktiziert er Yoga. Auch in der buddhistischen Zen-Meditation übt er sich seit langem. Sie soll den Geist zur Ruhe bringen. Über die Gruppe sagt Bernd Knüfer:
"Eigentlich heißt das ja 'Spiritualität für Religionslose'. Die meisten von denen sind aber nicht religionslos. Also die einen sind wirklich Christen. Die anderen betrachten sich als religionslos. Und dann gibt es noch eine Gruppe von Leuten, die eigentlich Christen sind, aber zu ihren Kirchen relativ viel Distanz haben: also mit der Organisation nicht zurechtkommen oder aufgrund ihrer Lebensgeschichte einfach den Kontakt zu ihrer Kirche verloren haben – aber dabei nicht das Interesse an Religion, an Gott, vor allem an ethischen Werten verloren haben. Und ich versuche immer sehr stark, die Regel einzuhalten: Bei uns hat niemand Recht. Und die Aussage, was du oder Sie da sagen, also das ist nun sicher falsch – die gibt es bei uns nicht, sondern: Ich sehe es anders oder ich empfinde das anders."
Diese Offenheit schätzt auch Thino, der evangelisch getauft ist. Der hochgewachsene Leipziger lebt seit Jahren von Hartz IV:
"Also ich bin zwar Zeit meines Lebens mit der Kirche in Berührung gewesen, bin aber auf meine Weise außerordentlich kritischer Geist. Ich verstehe vieles nicht, insbesondere zum Beispiel wenn Jesus übern See läuft. Das ist mir als Bauingenieur etwas schleierhaft, wie das stattfinden soll."
"Die reden Kirchisch"
Der Jesuitenpater versucht nicht, Thino irgendeinen Glaubenssatz einzutrichtern. Vielmehr will er erreichen, dass die Menschen zur Ruhe kommen und ihren eigenen spirituellen Weg finden. Wenn es sich anbietet, begleitet er sie dabei gern mit Meditationen und Gesprächen. Oder er verweist sie an einen Kollegen aus der Kontaktstelle, der auch als Therapeut tätig ist. Von den Dogmen der Kirche haben viele Menschen genug, weiß Bernd Knüfer:
"Warum die Leute zwar an Religion interessiert sind, aber nicht in Kontakt mit der Kirche stehen, das hat oft seinen Grund darin, dass sie, wenn sie in die Kirche gehen, evangelisch oder katholisch, in den Predigten im Grunde genommen sagen: Sie verstehen das nicht. Die Kirchensprache – die reden Kirchisch – also eine Sprache, die die Leute nicht im Alltag sprechen und deswegen auch zwischen der Predigt und ihrem Alltag keine Beziehung herstellen können. Das ist ein Grund, und der andere Grund ist: In der Kirche gibt es oft mehr Betrieb als Spiritualität. Es gibt, also gerade zum Beispiel hier in Leipzig gibt es sehr viel qualifizierte Musik. Es gibt Gottesdienste, es gibt karitativen Einsatz, aber spirituelle Angebote, Anleitungen – wie gehe ich einen spirituellen Weg? – da finden die Leute oft nichts."
Und so kommt Bernd Knüfer erst im Laufe des Abends auf Jesus zu sprechen. Statt mit der Bibel beginnt er die Gesprächsrunde mit ein paar Strophen aus der Bhagavad Gita, einem zentralen Text des Hinduismus, in dem es um Absichtslosigkeit geht.
"Du sollst bei dem, was du tust, keinen Lohn erwarten. Dass ich das, was ich für richtig halte, tue, aber nicht das mit Begier verbunden ist."
Mehr als 90 Minuten sitzen sie zusammen und reden. Am Ende resümiert Thino:
"Schön ist, dass man also, wie man sagt, alles fragen kann. Und man lernt auch viel. Man lernt auch mal zu schweigen. Weil ich könnte, wenn ich wollte, den ganzen Abend Selbstgespräche führen, aber das ist ja auch nicht so sinnvoll. Man muss also hier auch in der Gruppe lernen, sich ein bisserl zurückzunehmen."
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