Spielstraßen und breite Bürgersteige

Endlich Platz!

05:59 Minuten
Auf einer abgesperrten Straße spielen Kinder und unterhalten sich mehrere Personen.
Ein Kiez als Vorbild: Berlins erste temporäre Spielstraße wurde im August 2019 in Kreuzberg eingerichtet. © picture alliance/dpa/Jörg Carstensen
Von Katja Bigalke · 06.06.2020
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Wofür Stadtplaner, Anwohner, Bürgerinitiativen mitunter seit Jahren kämpfen – dank Corona ist es auf einmal binnen kürzester Zeit möglich geworden. Doch mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger bedeutet auch weniger fürs Auto.
In Berlin ist das noch eine relativ neue Geschichte: Dass Straßen zumindest an einem Tag in der Woche für ein paar Stunden gesperrt werden für den Autoverkehr. 19 Straßen dürfen sich seit Corona allein in Friedrichshain Kreuzberg offiziell Spielstraßen nennen.
Und das heißt, dass an einem sonnigen Sonntag auf einigen Berliner Straßen auf einmal Dinge passieren, die man sonst nur vom Dorf kennt:
"Wir malen mit Kreide, dass man die Straße ein bisschen bunter machen."
"Es schafft Raum für die Kinder."
"Es ist besser zum Rollschuh laufen oder Skateboardfahren."
"Ein paar nette Dinge aus Studententagen: Tischtennisplatte auf der Straße stellen, kegeln."
"Es gibt eine Hierarchie, wer kann sich wo frei bewegen und das ist hier auf einmal offen."
"Dass sich Leute Stühle hinstellen und dass man sich treffen kann, ohne Konsum."
"Es ist auch meistens nicht so dreckig."
Straßen werden zu Spielzonen. Zugeparkter Asphalt zu luftigen, überschaubaren Flächen. Eine Wiederaneignung des öffentlichen Raums, für den Menschen sich verantwortlich fühlen, den sie pflegen und schützen.

Gute Stimmung in Barcelona, verhaltene in Paris

Gute Stimmung auch in Barcelona, das ebenfalls ganz fix mit einem Plan für eine "neue Mobilität" auf die Coronakrise reagiert hat. Zwölf Kilometer zusätzliche Bürgersteige und 21 Kilometer mehr Radwege wurden quasi über Nacht mit Signalgelber Farbe auf die Straßen gepinselt. Und auch die am Wochenende für den Verkehr gesperrten Hauptstraßen erfreuen sich großer Beliebtheit.
"Ich finde das gut, das nutzt vor allem Kindern. Das hier ist eine Geschäftsstraße mit viel Verkehr, vielen Menschen. Das man jetzt hier in der Mitte spazieren kann, ist fantastisch."
"Zum Spazierengehen, ist das sehr viel angenehmer so."
Platz, um das zu tun, was gerade ein Revival erlebt: Spazierengehen oder auch ziellos durch die Stadt flanieren. Lediglich in Paris ist man nicht mehr ganz so aus dem Häuschen über die neuen, für Autos gesperrten Verkehrsachsen. Weil man hier derlei Eingriffe in den öffentlichen Raum auch schon eine Weile kennt.


Vor zwei Jahren wurden zum Beispiel die mehrspurigen Quais entlang der Seine endgültig für den Autoverkehr gesperrt. Bürgerstraßen statt Autobahnen könnte man quasi das Motto der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo nennen. Ganz in der Tradition französischer Revolutionäre die schon 1789 mehr Bürgersteige in den von Kutschen verstopften Straßen der Städte einforderten.
Menschen joggen auf einer breiten Straße entlang der Seine in Paris.
2018 wurde die mehrspurige Straße entlang der Seine für den Autoverkehr gesperrt.© picture alliance/Philippe De Poulpiquet/MAXPPP/dp/Philippe De Poulpiquet
Für die mit Platz nicht gerade verwöhnten Pariser bedeutet der neu eroberte Raum heute in erster Linie und sofort ein Mehr an Lebensqualität.
"Die Leute nehmen das sofort in Beschlag. Das ist echt lustig, in Paris gab es nie viel Platz für die Jüngeren. Als ich Jugendliche war vor 25 Jahren da sind wir nach immer nach Châtelet gegangen, das war der einzige Ort, wo man rumhängen konnte. Ein echt scheußlicher Ort. Und jetzt gibt es diesen Platz. Wo sich die Leute treffen. Wie auf einem Dorfplatz."
"Die Autofahrer haben sich natürlich total beschwert, das würde die ganze Stadt lahmlegen mit endlosen Staus aber das ist nicht passiert und man sieht jetzt wirklich Massen an Menschen auf den Quais. Das ist wirklich erstaunlich – Fahrradfahrer, Skateboarder, Jogger. Es gibt ein paar Sportgeräte auch ein paar Restaurants."

Ein Zuwachs an Lebensqualität – für alle

Die neu gewonnenen Freiräume machen die Großstadt lebenswerter und bieten vor allem mehr Platz für diejenigen, die keinen Balkon haben oder am Wochenende nicht in ihr Haus auf dem Land fahren können. Ob das erweiterte Raumgefühl, das die Menschen in Paris erleben, allerdings auch in Städten wie Berlin oder Barcelona, New York oder Bogota von Dauer sein wird, wird auch davon abhängen, wer letztendlich den Nutzungskampf um den Asphalt gewinnt. In Barcelona wird darum bereits gerungen:
"Es gibt viele Cafés und Restaurants, die das ausnutzen. Die haben jetzt da ihre Tische und Stühle hingestellt."
"Weniger Fahrzeuge ist immer besser, aber dann muss man aufpassen, wie das genutzt wird: Besser für Fußgänger, als wenn man dann einen Tisch und einen Stuhl dahinstellt."
Eines ist aber klar: Wenn alle mehr Platz wollen: Cafés, Kinder, Fahrradfahrer und Fußgänger – dann geht das nur mit mehr Spielstraßen, mehr Fahrradwegen und breiteren Bürgersteigen. Und einer wird dafür in Großstädten wohl dauerhaft Platz machen müssen: das Auto.
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