Spielplatz der Talente

Von Alexander Kohlmann · 03.07.2012
Es gilt als eines der größten Events für junge Regisseure im deutschsprachigen Raum: das Hamburger Kaltstart-Festival. Inmitten des alternativen Szeneviertels Sternschanze kann man sich bis zum 14. Juli einen Eindruck vom Theater der Zukunft machen.
Man gibt sich lässig in Hamburg und gleichzeitig sehr ehrgeizig, beim Kaltstart-Festival. In der achten Saison beschreibt man sich selbst als "größtes Nachwuchstheaterfestival im deutschsprachigen Raum" und weiter als "Einstiegsdroge für den Theaterjunkie von morgen". Über 100 Produktionen aus ganz Deutschland bietet das Festivalprogramm in den drei Teilsparten "Autorenlounge", "Kaltstart Pro", "Kaltstart Jung", "Fringe" und dem "Finale" der Hamburger Theaterakademie. Produktionen, die so unterschiedlich sind wie die Produktionszusammenhänge, aus denen sie stammen. Denn viele Wege führen in Deutschland zur Regie.

In der Sparte "Kaltstart Pro" kommen junge Regisseure zum Zug, die schon in professionellen Zusammenhängen an den Häusern arbeiten und nicht selten ihre Erstlinge in Studios und auf Probebühnen zeigen, die gerne mal von der Kritik übersehen werden. Zu Unrecht, beweist zum Beispiel die Produktion "Boat People - Antike Flüchtlingsdramen im Mittelmeer" vom Schauspiel Graz, der es gelingt das Problem der Mittelmeerflüchtlinge mit fatalistischem Humor ins weit über 1000 Kilometer entfernte Hamburg zu tragen.

Denn obwohl der Raum zu Beginn mit abgerissenen Körperteilen, Leichensäcken und schwarzen Rettungsinseln bedeckt ist, gelingt es der Regisseurin Christine Eder, das Thema ohne den moralischen Zeigefinger und das Volkshochschulflair anzugehen, dass Produktionen des dokumentarischen Theaters immer wieder anhaftet.

Im Gegenteil, erfrischend politisch unkorrekt spielen die vier hellhäutigen Schauspieler Bernhard Dechant, Marion Reiser, Franz Solar, Jan Thümer mit unseren Klischees, wenn sie die Rollen der afrikanischen Flüchtlinge übernehmen, und mitten auf dem Meer sogar eine schwarze Puppe gebären, um mit noch mehr Manpower die Festung Europa zu erobern. Angst macht das manchem Hanseaten, "alle sofort zurückschicken", murmelt ein älterer Mann im Publikum, bevor zum Schluss auch ihn echte Bilder aus Lampedusa zum Überdenken seiner Position anregen.

Ebenfalls mit den Archetypen und Klischees unserer Gesellschaft setzt sich nur ein Stockwerk weiter oben der Schauspieler Hendrik Vogt in Mark Ravenhills Satire "Das Produkt" auseinander. Die Inszenierung der Wuppertaler Bühnen von Anna-Lena Kühner ist einer der Abende, die von Festivals gerne übersehen werden, weil sie nicht auf vordergründige Regie-Gimmicks und gebaute Sensationen setzt, sondern mit ihrem in jeder Sekunde präsenten Schauspieler und genau kalkulierten Mitteln ein Hollywood-reifes Epos entwickelt, in dem Vogt eine komplette Liebesgeschichte mit einem Al-Kaida-Terroristen durchlebt, die spätestens beim geträumten Bombenanschlag in Disneyland vergessen lässt, dass wir nicht in einem Theater, sondern einem umfunktionierten Fotostudio sitzen.

Denn der Ort ist besonders beim Kaltstart-Festival, dass nicht in einem der großen Hamburger Theaterhäusern, sondern im Kulturhaus 73 inmitten des alternativen Szeneviertels Sternschanze stattfindet. Während in den Obergeschossen des im ewigen Umbau verharrenden Kulturlabyrinths Theater auf allen Kanälen stattfindet, geht im Erdgeschoss der Club- und Kaffee-Betrieb weiter. Hier bleibt der Austausch keine Behauptung, sondern es purzeln wirklich immer wieder ausgehfreudige Hamburger in die Produktionen, die sonst vielleicht nicht unbedingt die Orte der Hochkultur aufsuchen.

Zu denen vielleicht auch die Räume der Hamburger Theaterakademie in Altona gehören, wo in der Festivalsparte "Finale" auch in diesem Jahr junge Regiestudenten Höhepunkte des vergangen Studienjahrs zeigen. Und so sehr die ersten (und zweiten) Gehversuche der Regisseure von morgen manchmal von einer überfordernden Flut der eingesetzten Mittel geprägt sind, so spannend ist es auf diesem Spielplatz der Talente zu beobachten, wie das Theater der Zukunft aussehen könnte. Faust steht dieses Jahr unter anderem auf dem Programm, gekleckert wird hier naturgemäß nicht.


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