Spielfilm "Fuchs im Bau"

Kein Ort für Zukunftsperspektiven

09:32 Minuten
Samira (Luna Jordan) schreit ihre Wut heraus.
Innerer Widerstand: Samira (Luna Jordan) schreit ihre Wut heraus. © Golden Girls Film
Arman T. Riahi im Gespräch mit Susanne Burg und Patrck Wellinski · 23.01.2021
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Als Regisseur Arman T. Riahi eine Gefängnisschule in Wien entdeckte, war er fasziniert. Hier konnten die Jugendlichen für wenige Stunden Freiheit spüren. Sein Film "Fuchs im Bau" erzählt von diesem ungewöhnlichen Ort – aus der Perspektive der Lehrer.
Susanne Burg: Wir stellen in dieser Stunde unsere Lieblingsfilme aus dem diesjährigen Programm des Max-Ophüls-Filmfestivals vor. Dazu gehört der österreichische Spielfilm "Fuchs im Bau" von Arman T. Riahi. Der Regisseur ist kein Unbekannter beim Festival: 2018 hat er mit der Komödie "Die Migrantigen" den Publikumspreis gewonnen.
Sein neuer Film ist keine Komödie, eher ein Drama. Wir folgen dem Lehrer Hannes Fuchs in eine Wiener Gefängnisschule. Dort erlebt er den unkonventionellen Unterricht seiner Kollegin Elisabeth Berger und gerät schnell zwischen die Fronten von Häftlingen und Gefängnisleitung. Wir konnten vor der Sendung mit Regisseur Arman T. Riahi sprechen und wollten eingangs von ihm wissen, wie die Idee zu "Fuchs im Bau" entstand.
Arman T. Riahi: Interessanterweise war es so, dass die Idee zu "Fuchs im Bau" sogar noch vor den "Migrantigen" da war. Sie entstand eigentlich während der Recherche zu meinem ersten Kinodokumentarfilm, der hieß "Schwarzkopf", und der handelte von Jugendlichen in Wien, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind und die inhaftiert waren und die auf dem Papier Österreicher waren, aber sich nicht als Österreicher gesehen haben.

Hören Sie auch das Interview mit unserem Filmredakteur Patrick Wellinski zum Max-Ophüls-Preisträger "Borga" von Regisseur York-Fabian Raabe, der von Ghanaern erzählt, die es im Ausland zu Wohlstand bringen wollen - sowie zu "Fuchs im Bau", der drei Auszeichnungen erhielt:
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Mich hat damals interessiert, warum das so ist, und ich wollte unbedingt ins Gefängnis, mit jugendlichen Inhaftieren sprechen und hab dann einfach angerufen in der größten Justizanstalt Österreichs, in Wien-Josefstadt, und wurde dann sofort vom damaligen Leiter an die Gefängnisschule vermittelt.

Wo die Inhaftierten ihre Probleme kurz vergessen

Ich war total überrascht, weil ich nicht gewusst habe, dass es überhaupt im Gefängnis eine Schule gibt. So habe ich den damaligen Sonderpädagogen zur Justizanstalt Josefstadt, Wolfgang Riebniger, kennengelernt, dessen Leben die Inspiration zu diesem Film ist. Ich wusste vom ersten Tag an, dass ich einen Film über die Gefängnisschule machen wollte.
Nachdenklich: Regisseur Arman T. Riahi spricht über seinen neuesten Film.
Nachdenklich: Regisseur Arman T. Riahi spricht über seinen neuesten Film.© Michael Mazohl
Burg: Die Gefängnisschule ist ja noch mal ein sehr spezifischer Ort innerhalb eines Gefängnisses. Welche Stellung hat der in dem Universum Gefängnis und was ist besonders an ihm?
Riahi: Die Gefängnisschule ist normalerweise im Jugendtrakt, und für mich war die Gefängnisschule sofort der einzige Ort in dem ganzen Gebäude, wo die Jugendlichen frei sein konnten, wo sie so etwas wie Freiheit spüren konnten und auch mal für vier, fünf Stunden ihre Probleme vergessen konnten – durch den Unterricht, durch den Lehrer, durch seine Art und Weise, oder ihre. Es gab auch eine Gefängnislehrerin, die auch als Inspiration stand für den Film, in Salzburg. Das war für mich einfach der ausschlaggebende Punkt, warum dieser Ort so wertvoll ist und so besonders und warum man darüber unbedingt einen Film machen muss.

Dokumentarfilm wäre nicht möglich gewesen

Patrick Wellinski: Wenn man Sie jetzt so hört über Ihre Recherchen, Sie haben auch Wolfgang Riebniger schon erwähnt, stellt sich mir jetzt die Frage, wieso denn ein Spielfilm und kein Dokumentarfilm?
Riahi: Das lässt sich ganz einfach beantworten: Ein Dokumentarfilm wäre unmöglich gewesen, dafür hätten wir nicht mal die Drehgenehmigung und die Erlaubnis bekommen. Wie ich das erste Mal im Gefängnis war, in der Gefängnisschule, vor elf Jahren, war es schon relativ rigide und restriktiv im Gefängnis, und dort einen ganzen Dokumentarfilm zu drehen, das ging nicht. Mit dem Gedanken habe ich natürlich auch gespielt, aber das war nicht möglich.
Burg: Sie haben dann eben einen Spielfilm entwickelt. Es gibt eine Hauptlehrerin im Film, die heißt Elisabeth Berger, und ihr wird an die Seite gestellt Fuchs, zunächst erst mal als Assistent sozusagen. Elisabeth Berger, das merkt man schnell, ist sehr schlagfertig, kann gut mit den Jugendlichen umgehen, ist sehr eigenwillig und legt einen großen Wert auf den Kunstunterricht. Warum?
Riahi: Für die Elisabeth Berger ist der Kunstunterricht beziehungsweise das Gestalten eine sehr therapeutische Handlung, eine sehr beruhigende Handlung, sogar die wildesten Insassen beruhigen sich und entspannen sich beim Malen. Das ist einfach so und das ist auch erwiesen.
Geschützter Raum: Die Gefängnislehrer Elisabeth Berger und Hannes Fuchs mit Lernenden.
Geschützter Raum: Die Gefängnislehrer Elisabeth Berger und Hannes Fuchs mit Lernenden.© Golden Girls Film
Es gibt da auch mittlerweile sehr viele Studien dazu, dass Kunstunterricht auch bei Erwachsenen in amerikanischen Gefängnissen sehr wirksam ist und die Konflikte intern im Gefängnis zwischen den Häftlingen sehr stark reduziert. Es ist auch die Art und Weise, wie ich diese Figur angelegt habe, inspiriert und beeinflusst von der 68er-Bewegung, einfach eine Lehrerin, eine Pädagogin, die ins Gefängnis gegangen ist, um etwas zu verändern auch.

Keine klassischen Heldenfiguren

Wellinski: Welche Rolle spielt dahingehend für Sie Herr Fuchs? Er ist eine sehr interessante Hauptfigur, weil er uns mitnimmt in diese Welt. Wir gehen mit ihm ins Gefängnis quasi, aber er selbst kommt auch schnell an seine Grenzen, ohne gleich so ein klassischer Kinoheld zu sein. Er hat wenig Heroisches im ersten Moment. Was ist das für ein Mensch und wie würden Sie beschreiben, verändert er sich im Verlauf des Films?
Riahi: Die Idee zum Fuchs ist entstanden, weil ich unbedingt dieses Gefühl, das ich selber hatte, als ich in diese Welt eingetaucht bin, ins Jugendgefängnis und in die Gefängnisschule, vermitteln wollte. Es war mir relativ klar, dass ich eigentlich die Geschichte der Gefängnisschule durch die Augen eines Newcomers erzählen wollte. Ich wollte eigentlich zeigen, dass da jemand hineingeht, der sehr verletzt ist, jemand, der das Gefühl hat, etwas besser machen zu müssen, etwas vielleicht sogar büßen zu müssen für Fehler, die die Person in ihrem Leben gemacht hat.
Ich war gar nicht interessiert an so einer klassischen Heldenfigur. Mir war es ganz wichtig, dass es von Anfang an im Film niemanden gibt, für den man von Beginn an eine besondere Sympathie entwickelt. Ich wollte, dass sich das erst entwickelt mit der Zeit. Ich wollte, dass sich diese drei Schicksale – von der Berger, vom Fuchs und von der Samira – schön ineinander verweben, sodass wir verstehen, dass wir nicht alleine existieren können. Wir sind alle miteinander verbunden, und das war mir total wichtig.
Der Film ist auch ein Plädoyer für ein Miteinander und dass wir zusammen stärker sind und dass wir auch im Gefängnis, wenn wir an den richtigen Hebeln ansetzen, Dinge verändern können.

Die Verzweiflung in den Augen

Burg: Die Samira, die Sie erwähnt haben, ist eine der Jugendlichen in der Klasse. Wir werden immer wieder hineingeworfen in den Unterricht. Da geht es teilweise sehr rau zu im Ton untereinander zwischen den Jugendlichen. Es herrscht Chaos, aber Ihr Ensemble hat dafür ein unglaubliches gutes Timing, diese ganzen Szenen wirken sehr authentisch. Wie haben Sie das erarbeitet?
Riahi: Zuallererst war ich natürlich relativ oft in der echten Gefängnisschule. Es war auch wirklich eine Herkulesaufgabe von Anfang an, dieses Gefühl, diese Stimmung in der Gefängnisschule einzufangen. Erstens, ich habe Kids gebraucht, die eben nicht nur das schauspielerische Talent haben, sondern auch etwas von dieser Verzweiflung, die alle jugendlichen Häftlinge, die ich getroffen habe, in ihren Augen gehabt haben. Und dann habe ich auch eine relative Sorge, wenn nicht sogar eine Angst davor gehabt, dass diese Gefängnisschulszenen nicht funktionieren und die Jugendlichen nicht glaubwürdig sind.
Mittelschullehrer Hannes Fuchs im Gespräch mit Kollegin Elisabeth Berger.
Fuchs und Berger im Gespräch: Mittelschullehrer Hannes Fuchs erfährt im Gespräch mit Kollegin Berger auch viel über sich selbst. © Golden Girls Film
Also hab ich relativ früh begonnen, mit ihnen zu proben. Mir war es ganz wichtig, dass die Szenen mit den Jugendlichen im Klassenzimmer chronologisch gedreht werden, damit die Kids – ganz viele von ihnen haben keine Schauspielerfahrung – nicht unterbrochen werden in diesem Flow, dass sie wissen, ich fange hier an und dort höre ich auf. Das hat natürlich eine Wirkung gezeigt. Und dann habe ich auch die Kids sehr früh in unser Originalmotiv, das ein altes aufgelassenes Gefängnis außerhalb von Wien war, gebracht und sie auch in diese Zellen hineingesteckt.
Sie haben die Isolationszellen gesehen, sie haben Stunden in diesen Zellen verbracht, in ganz normalen Hafträumen. Und dann letzter Punkt: Wir haben natürlich auch noch für jede einzelne Figur eine eigene Geschichte entwickelt, und alle Kids haben gewusst, warum sie im Gefängnis sitzen und was auf sie draußen wartet.

Wo das Absolute herrscht

Wellinski: Mit der Figur der Samira kommt in Ihrem Film noch eine ganz andere Ebene, ein ganz anderes Problem, ein anderes Thema hinein: die Intersexualität. Wieso hat sie das interessiert?
Riahi: Es war naheliegend, weil dieses Zwischen-den-Geschlechtern-sein, es ist einfach ein sehr schönes konterkarierendes Bild für das Gefängnis, wo nur Absolute herrschen, also Entweder-oder, Bub oder Mädchen, schwarz oder weiß. Das Gefängnis ist so eine absolute Institution, so eine fast totalitäre Institution. Es war sehr wichtig für mich, zu zeigen, dass jede Jugendliche ihre eigenen Nuancen hat. Dieses Zwischen-den-Stühlen-Sein, das drückt sich in der Figur der Samira aus. Sie ist nicht nur im Gefängnis gefangen, sondern auch in ihrem eigenen Körper gefangen. Das ist natürlich ein großes Thema: Wie gehen wir in einem binären System mit nicht binären Menschen um?

Die Jugendlichen bräuchten mehr Aufmerksamkeit

Burg: Auch die anderen Jugendlichen müssen sich natürlich in diesem System bewegen. Wenn sie sich untereinander unterhalten, merkt man irgendwie, wie desillusioniert sie eigentlich sind, was ihre Zukunftsperspektiven zum Beispiel angeht. Welche Perspektiven gibt ihnen eigentlich das Gefängnis, und wie sinnvoll ist Ihrer Meinung nach der österreichische Strafvollzug für Jugendliche organisiert?
Riahi: Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Für die meisten Jugendlichen, die im Gefängnis einsitzen, ist das nicht der richtige Ort, um irgendwelche Zukunftshoffnungen zu wecken. Ich halte überhaupt die Inhaftierung von Jugendlichen für relativ problematisch. Sie sind alle noch nicht ausgereifte Persönlichkeiten, und das Gefängnis macht bekannterweise mehr Verbrecher.
Ich würde jetzt auch auf keinen Fall irgendwie jemandem eine Schuld zuschieben oder die österreichische Justiz dafür schuldig machen. Die österreichische Justiz ist natürlich auch relativ unterbudgetiert. Aber es gibt definitiv Schrauben, wo man ansetzen kann, um das System zu verfeinern. Die Jugendlichen brauchen eigentlich mehr Aufmerksamkeit, sie brauchen mehr Betreuung, sie haben nur zwei Stunden täglich, in denen sie rauskommen.
Sie haben die Schule, wenn sie noch im richtigen Alter sind. Dann am Wochenende sind sie die meiste Zeit in den Zellen drinnen. Es ist meiner Meinung nach nicht das richtige System, und es wäre dringend an der Zeit, dass sich eben die Verantwortlichen gemeinsam mit der Regierung hinsetzen und überlegen können, wie sie der österreichischen Justiz und dem Strafvollzug unter die Arme greifen können. Es ist schwierig, und es braucht ganz viele Pädagogen und Menschen, die sich mit Jugendlichen wirklich auseinandersetzen wollen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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