Spielen und spielen lassen

Von Jörg Taszman · 11.11.2013
Der fleißige französische Regisseur François Ozon hat schon wieder einen neuen Film herausgebracht. In "Jung und schön" erzählt er die Geschichte einer 17-Jährigen auf der Suche nach sich selbst, die vor allem über den Sex ihre Umwelt und sich selbst verwirrt.
Nicht das erste Mal setzt François Ozon in einem seiner Filme auf populäre Schlager oder Chansons, um einen dramaturgischen Kontrapunkt zur Geschichte auf der Leinwand zu setzen. Diesmal ist es Françoise Hardy, die so treffend über die Irrungen und Wirrungen der ersten Liebe zwischen Jungs und Mädchen singen konnte. Dabei geht es in "Jung und schön" eigentlich fast nie um Liebe, sondern mehr um das Erforschen der Sexualität. Der Beginn des Films ist reiner Voyeurismus. Ein sehr schönes junges Mädchen liegt im Sommer im Bikini am Strand, beobachtet durch das Fernglas ihres jüngeren Bruders. François Ozon macht den Zuschauer gerne zum Komplizen und steht auch zu seinem eigenen Voyeurismus, auch wenn es ihm in "Jung und schön" um weit mehr geht:

"Der Voyeurismus ist ein Teil unserer heutigen Gesellschaft. Heute werden Jugendliche sehr stark erotisiert. Jedes junge Mädchen kann sich auf der Titelseite einer Zeitschrift wiederfinden, als sei sie eine Frau. Ich finde, der jugendliche Körper steht im Mittelpunkt der heutigen Gesellschaft. Das wollte ich mit diesem Film zeigen."

François Ozon war noch nie ein Moralist. Er mag es, den Zuschauer zu verwirren, ihm auch gewisse Sicherheit zu nehmen. Klischees sind für ihn ein geeignetes Mittel, um seine Geschichten zu beginnen. Isabelle, so heißt das junge Mädchen im Film, wird 17 und sie möchte in diesem Sommer endlich entjungfert werden. Im Herbst fängt sie dann an, für Geld mit Männern zu schlafen, obwohl sie aus einem gut bürgerlichen Hause stammt und mit dem Geld nichts anzufangen weiß.

Marine Vacth in der Hauptrolle spielt Isabelle als eine geheimnisvolle junge Frau, deren Schönheit ebenso verzaubert wie ihre vermeintliche Undurchdringlichkeit und Kälte verwirrt. Sie ist weder Lolita noch Femme Fatale. Mal spielt sie mit Männern, dann lässt sie mit sich spielen. Das Geheimnis um ihre Absichten bleibt den ganzen Film lang gewahrt. François Ozon interessiert sich nicht für Antworten oder die Abbildung der Wirklichkeit:

"Der Realismus im Film interessiert mich als Ausgangsquelle. Die Wirklichkeit allein reicht im Leben nicht aus und auch nicht im Kino. Ich tue mich mit Filmen, die nur naturalistisch sind, sehr schwer. Das interessiert mich nicht. Ich glaube, das Kino muss eine Vision hinzufügen, über die Wirklichkeit hinausgehen. Oft reicht meinen Figuren die Wirklichkeit nicht. Das war auch in meinem letzten Film ‚In ihrem Haus‘ so. Die Figuren kamen mit der Realität allein nicht klar und brauchten Wunschvorstellungen und Visionen und Träume, um weiter zu leben. So geht es ein wenig auch Isabelle in ,Jung und Schön‘."

"Jung und Schön" ist einer der schönsten und komplexesten Filme von François Ozon und kommt doch mit einer unglaublichen Leichtigkeit daher. Es ist schon beeindruckend, wie der Franzose fast jedes Jahr einen neuen Film dreht und dabei anscheinend mühelos die Genres wechselt. Da sind ganz kleine, sperrige Werke wie "Ricky" um ein fliegendes Baby oder "Rückkehr ans Meer" um eine ehemals drogenabhängige Frau, die schwanger ist, und dann immer wieder auch große kommerzielle Erfolge wie bei "8 Frauen" oder "Das Schmuckstück" mit Stars wie Catherine Deneuve, Isabelle Huppert oder Gérard Depardieu.

François Ozon begann als reiner Autodidakt und drehte als Jugendlicher und junger Mann Filme auf Super 8, die er seiner Familie zeigte. Bis heute steht der Regisseur auch hinter der Kamera:

"Ja, ich glaube, weil ich mit einer Super-8-Kamera angefangen habe, immer alles selber machte und auch meine eigenen Filme geschnitten habe, führte es dazu, dass ich in gewisser Weise auch ein Handwerker, ein Techniker im Kino bin, der von der Praxis kommt. Außerdem fiel mir auf, dass ich, wenn ich hinter der Kamera stehe, die Schauspieler besser führen kann. Ich bin so konzentrierter und der erste Zuschauer meines eigenen Films. Die Schauspieler mögen es sehr, dass es der Regisseur ist, der die Kamera führt, weil so das Verhältnis direkter ist. Die Dialoge kommen schneller und alles wird einfacher."

In "Jung und schön" gibt es auch berührende, fast zarte Momente. Das Kino des einstigen Wunderkindes François Ozon ist im Laufe seiner Karriere bei aller Distanz und einer gewissen Kühle doch wärmer und reifer geworden. Mit wie viel Empathie und Liebe François Ozon seine überragende Hauptdarstellerin Marine Vacth als Isabelle filmt, gehört zu den schönsten Kinomomenten des Jahres. "Jung und schön" ist ein verwirrender, rätselhafter, aber auch sehr sinnlicher Film. Einfach wunderbares Kino und ein sehr guter Ozon!
Marine Vacth als Isabelle und Johan Leysen als Georges in "Jung und schön"
Marine Vacth als Isabelle und Johan Leysen als Georges in "Jung und schön"© dpa / picture alliance / Weltkino
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