Joachim Kühn feiert 75. Geburtstag

Spielen bis zum Umfallen

Der Pianist Joachim Kühn spielt auf einer blau erleuchtenden Bühne an einem Flügel.
Avantgardist, Free Jazzer und Freund des Piano-Trios: Joachim Kühn. © Getty Images / Christian Augustin
Von Matthias Wegner · 15.03.2019
In den 60er-Jahren gehörte der Pianist Joachim Kühn zu den interessantesten Jazzmusikern der DDR. Einen Musikwettbewerb im Westen nutzt er, um stiften zu gehen und eine internationale Karriere zu starten. Jetzt wird er 75 - und ist noch kein bisschen müde.
Nur wenige europäische Jazzmusiker agieren seit Jahrzehnten auf einem derart kreativen Niveau wie Joachim Kühn. Free-Jazz, Jazz-Rock, Post-Bebop, die Beschäftigung mit klassischer Musik. Solo-Alben und immer wieder: das Piano-Trio.
"Im Großen und Ganzen sehe ich da auch eine logische Entwicklung und das Ende ist noch ganz offen."

Egal, was Joachim Kühn musikalisch anfasst: Seine große Persönlichkeit, seine markante Art, Klavier zu spielen und seine Neugierde bleiben unüberhörbar. Bei aller Freiheit, die er sich nimmt: Ohne seine große Disziplin wäre vieles nicht möglich gewesen.

"Das haben wir von unserem Vater gelernt. Unser Vater war Akrobat. Wenn der nicht auf Tournee war, haben die jeden Tag geprobt (in der Turnhalle). Und da war ich als Kind oft mit. Und als es mit Piano losging, musste ich jeden Tag üben - und das tue ich heute noch."

Klavierwettbewerb in Wien

War Joachim Kühns 15 Jahre älterer Bruder Rolf schon 1950 in den Westen gegangen, um kurz danach Saxofonist im RIAS-Tanzorchester zu werden, setzte sich Joachim Kühn Mitte der Sechzigerjahre im etwa gleichen Alter in den Westen ab, wenn auch auf andere Art und Weise. Er nutzte seine Teilnahme an einem Klavier-Wettbewerb in Wien. Westdeutschland im Anschluss wurde für ihn nur zur Zwischenstation.
"1968 - ich war kaum in West-Deutschland - ging ich schon nach Paris. Ich hatte da meinen ersten Plattenvertrag, direkt mit Free Jazz. Ich spielte damals schon mit Jean-Francois Jenny Clarke und Aldo Romano zunächst. Später kam dann Daniel Humair und das war ja dann das Trio meines Lebens sozusagen. Die Franzosen gaben mir damals auch diese Art von Confidence."
Die Franzosen hatten nicht nur Vertrauen in Joachim Kühns Potenzial - sie liebten sein Spiel und bis heute ist der Pianist in Frankreich äußerst gefragt.
Nachdem es Kühn damals in nur wenigen Jahren geschafft hatte, sich durchzusetzen, zog es ihn weiter. Die nächste Herausforderung: die USA. Das Jazzmutterland.
"Ich kam damals nach Kalifornien und wollte mal sehen, ob ich es in die Billboard-Charts schaffte. Und zweimal hat es - bei den ersten beiden Platten - funktioniert."

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Joachim Kühn war genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Galt er in Europa vor allem als Free Jazzer und Avantgardist, konnte er in den USA ausprobieren, wie Jazz und Rockmusik zusammen gehen und damit ein großes Publikum erreichen. Die neue Elektronik gab viele Impulse: Keyboards, Synthesizer - Joachim Kühn probierte alles aus:
"Das war interessant. Vor allem die Lautstärke. Man konnte endlich so laut sein wie ein Gitarrist. Und man konnte lange Töne spielen. Das ist ja mit dem Piano auch nicht richtig möglich. Und es gab viele neue Klänge plötzlich. Man konnte seinen eigenen Klang kreieren auf dem Instrument. Das war für mich für zehn Jahre interessant."

Aber Joachim Kühn sagt heute: Die Elektronik sei ein abgeschlossenes Kapitel für ihn. Schon lange fokussiert er sich ganz und gar auf den Flügel, dieser biete noch immer genügend Möglichkeiten, neue Wege zu beschreiten. Nach Umwegen über Hamburg und noch mal Paris landete Kühn schließlich auf Ibiza, wo er bis heute lebt.

"Das war schon immer mein Traum. Mein Traum war in Leipzig schon als Jugendlicher: Irgendwann mal auf einer Insel zu leben, wo es warm ist und da Musik zu machen und von da aus in die Welt zu fahren und Deine Musik zu spielen und zu Hause ein Studio zu haben, wo Jamsessions und Aufnahmen und alles Kreative stattfinden kann. Tag und Nacht. Mir gefällt das Leben dort, weil ich da 24 Stunden am Tag improvisieren kann. Mein Leben improvisieren, nicht nur die Musik. Ich denke, man kann besser improvisieren, wenn man das ganze Leben so sieht. Also die einfachen wichtigen Verabredungen, die ich im Leben hab', sind die, wenn ich ein Konzert habe."

"Ich kriege keine Rente, ich muss spielen bis zum Umfallen"

Und natürlich ist 75 im Jazz kein Alter. Es geht weiter, immer weiter …
"Ich muss ja auch … Ich kriege keine Rente, ich muss spielen bis zum Umfallen."
Und wie das geht – in Würde zu altern und weiterhin kreative Musik zu spielen – hat sein Bruder Rolf, der im September dann 90 wird – vorgemacht:

"Absolut, das nehme ich mir auch zum Vorbild. Ich hoffe, ich kann das auch genauso machen wie der Rolf. Rolf war schon immer irgendwie Vorbild."
Mehr zum Thema