"Spiele sind Kulturgut"

Moderation: Dieter Kassel · 23.08.2007
Der Spielpädagoge Jürgen Fritz hält eine Förderung von Computerspielen durch Bundesinstitutionen für denkbar. So könne etwa die Bundeszentrale für politische Bildung eigene Konzepte für Spiele im Sinne der demokratischen Grundordnung entwickeln und fördern, sagte der Kölner Professor für Spiel- und Interaktionspädagogik anlässlich der heute beginnenden "Games Convention" in Leipzig.
Dieter Kassel: Mindestens 200.000 Besucher werden von heute bis Sonntag auf der Games Convention in Leipzig erwartet. Einige davon reisen mit Sonderzügen an aus Köln und München. Und sie alle werden auf 115.000 Quadratmetern Fläche spielen.

Den Menschen, die so etwas grundsätzlich immer mit Sorge beobachten und Computerspiele für unnütz, wenn nicht sogar gefährlich halten, stehen dabei immer mehr gegenüber, die den Wert von Computerspielen anerkennen und einige Spiele sogar fördern wollen. Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat zum Beispiel. Er will eine Computerspielförderung in Deutschland einrichten. Ob das Sinn machen kann, darüber reden wir jetzt mit Jürgen Fritz, er ist Professor für Spiel- und Interaktionspädagogik an der Fachhochschule Köln. Schönen guten Tag, Herr Fritz.

Jürgen Fritz: Schönen guten Tag.

Kassel: Ich habe es erwähnt, Olaf Zimmermann hat das in der vergangenen Woche schon gefordert, eine Art Förderorgan für Computerspiele. Er hat in unserem Programm in Deutschlandradio Kultur auch erklärt, was er sich da genau vorstellt und warum.

Zimmermann: "Wenn wir sagen, wir fördern Filme, weil wir auch gute Filme haben wollen, und wir wollen Filme haben, die nicht ausschließlich in Hollywood produziert werden. In der selben Idee kann man, finde ich, und muss man auch Computerspiele unterstützen. Und wir müssen uns einfach auch in diesem Bereich überlegen, wie wir eine Förderstruktur aufbauen können. Es sollte auch eine öffentliche Förderungsstruktur sein, die eben besonders die guten Computerspiele fördert."

Kassel: So weit Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Wir reden, wie gesagt, jetzt gerade mit Professor Jürgen Fritz. Herr Fritz, eine solche Förderung von Computerspielen nach dem Vorbild der deutschen Filmförderung, halten Sie so etwas für sinnvoll?

Fritz: Sicherlich ist so etwas sinnvoll, weil der Markt sich entwickelt. Und wenn wir den amerikanischen Markt uns anschauen mit den immer ständig sich wiederholenden Spielformen, Updates, wäre es natürlich gut, in Deutschland etwas zu etablieren, was Alternativen setzt und auch die Entwickler-Landschaft in Deutschland beflügeln könnte.

Kassel: Wenn es eine Förderung nach diesem Vorbild Filmförderung wäre, dann würde das ja bedeuten, es müsste Gremien geben, da kann man dann Anträge stellen, Menschen müssten dann beraten, es muss Kriterien geben, nach denen gefördert wird. Halten Sie so etwas denn für denkbar, solche Strukturen?

Fritz: Denkbar schon, bloß ungemein schwierig. Man kann ja, wo wir jetzt miteinander so locker reden, auch darüber nachdenken, ob es vielleicht etwas anderes auch daneben geben könnte. Wir haben ja sehr vortreffliche Bundesinstitutionen, wie etwa die Bundeszentrale für politische Bildung, oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die ja zum Teil auch Software herstellen.

Die könnten natürlich dann Spiele entwickeln und fördern, die im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgelegt sind und könnten dann diese Aufträge, diese Konzepte, als Softwarefirmen geben, die hier in Deutschland ansässig sind. Grundsätzlich meine ich, Herr Zimmermann hat Recht, Spiele sind, auch wenn ich mich jetzt unbeliebt machen sollte, ein Kulturgut.

Kassel: Es gibt da eine Firma namens Cryptec, die stellt nun auch auf dieser Games Convention ihr neuestes Spiel vor. Laut eigener Auskunft soll allein die Entwicklung dieses einen Spiels 16 Millionen Euro gekostet haben. Es heißt Crysis und es ist ein Killerspiel, ein Ego-Shooter. Mit ähnlichen Spielen hat die Firma vorher schon Geld verdient, ist groß geworden. Glauben Sie denn, eine Art Computerspielkulturszene mit Gremien, mit Förderungen mit Auszeichnungen hätte auch Einfluss auf diese Seite des Spiele-Spektrums?

Fritz: Das kommt darauf an, was für ein Gremium sich da etabliert, mit welchen Vorstellungen, Normen, Wertmaßstäben dieses Gremium ausgestattet ist. Es sind ja verschiedene Bewertungsebenen denkbar. Es sollte natürlich ein Spiel sein, dass Spaß bringt, das Leute anspricht, das sie motiviert, sich auf das Spiel zuzubewegen. Es muss graphisch ansprechend gut sein. Es muss ein gutes Gameplay haben, es muss Werte transportieren, die in unserer Gesellschaft akzeptabel sind, sonst hätte eine solche Spielvorlage sicherlich keine Chance.

Kassel: Aber sehen Sie nicht die Gefahr, Herr Fritz, wenn es diese öffentliche Förderung gibt, dass es dann Nischen gibt, die werden gefördert, das hohe Kulturgut Spiel, ganz anspruchsvolle, wunderbare Spiele, die dann die Kinder der oberen Mittelschicht auch spielen und die andere Szene ist davon völlig unberührt. Wir haben ja ähnliche Erfahrungen mit Theater, mit Film, mit bildender Kunst auch immer wieder gemacht.

Fritz: Da teilt sich natürlich der Markt. Da gibt es sozusagen den Mainstream der Spiele, die einfach Spaß bringen, die auf die Entwicklungsaufgaben, Spielwünsche, aber natürlich auch Spielpräferenzen, die sich ausgebildet haben, aufsitzen. Und natürlich bestünde die Chance darin, dass man Spiele entwickelt, die ganz neue Muster bereit halten, an denen die Spieler eben auch Spaß haben, aber auf die die großen Entwickler noch nicht gekommen sind.

Ich bringe ihnen ein Beispiel. Wir hier in Köln an der Fachhochschule planen einen Masterstudiengang, Cologne Game Lab nennt sich das, da sollen also internationale Studenten ausgebildet werden, eben diese neuen Muster, diese kreativen Vorstellungen zu entwickeln, sie an die Öffentlichkeit zu bringen und große Label zu interessieren, diese Spiele zu produzieren. Das wäre auch eine Möglichkeit, in den Markt hineinzugehen.

Ich denke, wenn Deutschland eine Chance hat, besteht es nicht darin, mit riesigen Millionenbeträgen favorisierte Spielmuster weiter fördern, sondern dann haben Sie wahrscheinlich recht, ist es vielleicht zunächst ein Nischenmarkt. Aber denken Sie zum Beispiel an die Sims. Kein Mensch glaubte als die auf den Markt kamen, dass sie überhaupt eine Chance haben. Da ist sozusagen die amerikanische Mittelschichtfamilie, die simuliert wird. Und das ist der Renner geworden.

Nur wenn ein Unternehmen ein solches Risiko eingeht, muss dieses Unternehmen sehr finanzkräftig sein, damit es ein zwei, drei, vier solcher Verluste, wenn das Spiel dann eben nicht läuft, verkraften kann. Und die wirtschaftliche Situation der meisten Softwarehäuser hier in Deutschland ist nicht so, dass sie 100 Millionen Verlust locker wegstecken können.

Kassel: Herr Fritz, nun gibt es natürlich immer noch gewichtige Stimmen, die immer noch finden, es liegen auch Gefahren im Computerspielen. Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsens behauptet inzwischen, er könne tatsächlich einen Zusammenhang beweisen zwischen regelmäßigem Computerspiel und Nachlassen der Leistung in der Schule. Bayerns Innenminister Beckstein möchte auch gewisse Spiele verbieten. Ist diese Diskussion - reden wir nicht nur über Ego-Shooter, das meint zum Beispiel auch Herr Pfeiffer nicht - über Computerspielen und Dummwerden, ist die immer noch nicht vorbei?

Fritz: Die ist sicherlich noch nicht vorbei. Das, was Herrn Pfeiffer vorliegt, sind sehr seriöse Untersuchungen, aber es sind Korrelationsstudien. Das sagen auch seine Mitarbeiter. Diese Studien muss man ernst nehmen, sie sind nicht einfach vom Tisch zu wischen, aber sie zeigen im Grunde nur statistische Zusammenhänge. Wenn jemand in der Schule nicht gut ist und er überzufällig schlechte Leistungen zeigt und dann sehr viele Computerspiele spielt, dann weiß man natürlich nicht, wodurch das bedingt ist - durch das häusliche Umfeld oder ist das häufige Computerspielen der Grund oder sind es wechselseitige Eskalationskreisläufe. Das bekommt man durch Korrelationsstudien nicht heraus.

Dazu braucht man dann Längsschnittstudien, die es auch inzwischen gibt, etwa von Frau von Salisch. Sehr bemerkenswert, sehr empfehlenswert ihr neues Buch. Also da ist die Diskussion in der Wissenschaft natürlich im Gange. Aber ich denke, die Diskussion müsste man etwas abgehoben davon führen und müsste sagen, diese Gesellschaft, in der wir uns befinden, öffnet sich für virtuelle Räume, im Beruflichen, im Freizeitbereich, bei den Computerspielen.

Und diese Computerspiele sind im Grunde ein Zugang der jungen Generation zu diesen virtuellen Räumen, die sie auch besiedeln wollen, wie auch immer, mit Chatrooms, mit E-Mails, mit Kontobewegungen. Sie oszillieren ja auch, diese Räume, zwischen einer virtuellen Spielwelt und der realen Welt. Wenn ich also 1000 Euro überweise, sind das reale 1000 Euro, obwohl ich sie in einem virtuellen Raum hin und her schiebe.

Und diese Rahmungskompetenz erlernen natürlich Kinder, wenn sie sich mit Computerspielen auseinandersetzen. Diese Diskussion, denke ich, muss geführt werden. Die macht auch deutlich, dass Menschen Schwierigkeiten haben, diese virtuellen Räume richtig zu begreifen, angemessen mit ihnen umzugehen und sie auch angemessen zu rahmen, zu verstehen, wie Jugendliche diese Welt sehen, dass sie sie möglicherweise ganz anders sehen, ganz anders verstehen und ganz anders damit umgehen als Erwachsene.

Die schauen vielleicht dem Kind mal über die Schulter und sehen dann schreckliche Monster, die niedergemetzelt werden. Und dann treten bei diesem Beschauer natürlich sofort Assoziationen der schlimmsten Art auf, während der Jugendliche möglicherweise - er kann es auch ganz anders sehen - aber möglicherweise sieht er es nur als eine Herausforderung, mit der er handelt, umgehen muss, weil er sich in einem Regelraum befindet mit bestimmten Zielen, mit bestimmten Handlungen.

Kassel: Zum Schluss werden Sie doch bitte für uns für 30 Sekunden vom Sozialpädagogen zum Zukunftsforscher. Wir haben angefangen, über den Vorschlag von Olaf Zimmermann zu reden. Glauben Sie denn, dass eine entsprechende Förderung von Computerspielen, ob nun verbunden mit finanziellen Zuwendungen oder nicht, dass die schon relativ bald kommen könnte, oder ist eigentlich nach langer Diskussion die Gesellschaft dafür noch gar nicht reif?

Fritz: Die Gesellschaft wäre schon reif, sie muss nur Finanzierungsmodelle finden. Und sie muss eine Zielperspektive entwickeln, wohin diese Förderung gehen soll, was sie bewirken soll. Sollen Unternehmen gefördert werden, die sich im Markt durchsetzen wollen? Sollen Zeichen gesetzt werden, wir wollen diese Spiele, wir möchten, dass diese virtuellen Räume so und nicht anders aussehen.

Also darüber muss Politik sich klar sein, was sie denn eigentlich wollen. Geht es also eher in Wirtschaftsförderung oder geht es eher in die Richtung, ein Kulturgut zu entwickeln für virtuelle Spielräume, zu dem wir sagen, ja, da sollen sich Kinder aufhalten. Wobei dann natürlich das Problem entsteht, je faszinierender solche Welten sind, umso stärker wenden sich Menschen dann diesen virtuellen Spielräumen zu und wenden sich den realen Räumen ab, was auch wieder ein Problem mit sich bringen kann.