Spielplan-Abstimmung war "Lobbyismus von Einzelnen"

Joachim Lux im Gespräch mit Frank Meyer · 12.04.2013
Der Sieger einer öffentlichen Spielplan-Mitbestimmung hat jetzt am Hamburger Thalia Theater Premiere. Die Abstimmung sei nicht tatsächlich demokratisch gewesen, resümiert Joachim Lux. Er sehe dies als Abbild anderer scheindemokratischer Phänomene unserer Gesellschaft, so der Intendant.
Frank Meyer: Kunst und Demokratie passen einfach nicht zusammen. So kommentiert das Hamburger Thalia Theater sein eigenes demokratisches Mitbestimmungsexperiment. Im November 2011 hatte das Thalia Theater sein Publikum dazu aufgerufen, über den Spielplan der folgenden Spielzeit mitzubestimmen. Auf dem ersten Platz bei dieser Abstimmung ist ein Stück gelandet, dass ansonsten schon lange von den Bühnen verschwunden ist: "Die Ehe des Herrn Mississippi" von Friedrich Dürrenmatt. Und dieses Stück, dieses vom Publikum ausgewählte Stück, wird morgen seine Premiere am Thalia Theater haben. Am Telefon ist jetzt Joachim Lux, der Intendant des Thalia Theaters. Herr Lux, seien Sie uns willkommen!

Joachim Lux: Herzlich willkommen Ihnen, und ich freue mich, dass ich bei Ihnen bin.

Meyer: Jetzt haben wir also folgenden Vorgang: Sie versuchen, über Ihre Kunst – oder Sie lassen über Ihre Kunst, Ihren Spielplan demokratisch mitbestimmen. Und schreiben dann, offenbar ja enttäuscht, Kunst und Demokratie passen einfach nicht zusammen. Was hat Sie denn enttäuscht?

Lux: Na ja, enttäuscht ist etwas kurz gegriffen. Also, Kunst und Demokratie passen zunächst mal in der Tat nicht zusammen. Weil, Kunst geht davon aus, jedenfalls im traditionellen Begriff, dass der Künstler autonom und selbst bestimmt, was er tut. Demokratie heißt, dass er tut, was andere wollen, dass er tut, und deswegen passt das nicht zusammen. Nun ist die besondere Situation von Theatern, die das – wir natürlich trotzdem in Permanenz tun, was das Publikum auch möchte, weil sonst säße nämlich niemand unten im Saal. Insofern ist diese ideologische Konfrontation natürlich gar nicht mal so richtig.

Enttäuschend ist im Grunde genommen, aber wahrscheinlich eben auch vorhersehbar, dass ja diese Abstimmung sozusagen per – wie soll man sagen – per Lobbyismus von Einzelnen entschieden worden ist. Sei es über das Internet oder sonstige Zusammenballungen von Menschen und nicht tatsächliche demokratische Abstimmung. Aber darin ist sie auch Abbild von vielen nur scheinbar demokratischen Dingen, mit denen wir mittlerweile zu tun haben. Also von Internetforen und anderem oder auch von Radioumfragen im Übrigen, wo das überall so ist und von echter Demokratie im eigentlichen Sinne gar keine Rede sein kann.

Meyer: Lassen Sie uns das mal konkreter machen. Ihr eigener Dramaturg, Karl Hegemann, hat erzählt, dass es einen sehr aktiven Menschen gab bei dieser Abstimmung, der nannte sich Friedrich Thalia Wilder, und der habe offenbar tausend Menschen dazu gebracht, seine Vorschläge zu unterstützen, und das war eben das Stück von Dürrenmatt und ein anderes von Thornton Wilder. Also, im Prinzip hat er diese Abstimmung gekapert und seine Lieblinge nach vorn gestimmt. So hatten Sie sich das nicht vorgestellt?

Lux: Nee! Aber wir haben das vorher schon debattiert. Also, es gab da zwei Meinungen. Die eine Meinung war, wir lassen das so laufen, wie es allgemein gesellschaftlich auch läuft: Diese Meinung hat sich durchgesetzt. Ich war der Meinung, man solle sozusagen das alte preußische Dreiklassenwahlrecht wieder zu seinem Recht verhelfen. Nicht über Steuerquotierungen, sondern darüber, dass man sagt, wer tatsächlich physisch im Theater seinen Stimmzettel abgibt, hat drei Stimmen und der Abonnent vier Stimmen. Und wer es nur über Internet macht, eine Stimme, oder so. Um da eine Gewichtung hinzukriegen, die irgendwie eine gewisse Ernsthaftigkeit hat. Das hat sich nicht durchgesetzt. Sozusagen so eine qualifizierte Abstimmerei, sondern es hat sich die allgemeine durchgesetzt als Spiegelbild dessen, wie es ja in der Gesellschaft auch tatsächlich läuft.

Meyer: Wir haben schon einmal mit Ihnen gesprochen über diesen ganzen Vorgang, als das anfing im November 2011, und damals haben Sie gesagt, die eigentliche Niederlage für Sie wäre, wenn sich ganz wenige Leute beteiligen. Wenn die Leute dadurch zeigen, wir interessieren uns eigentlich nicht für euren Spielplan. Jetzt haben mitgemacht – 5529 gültige Stimmen hatten Sie am Ende. Ist das denn jetzt für Sie viel oder wenig?

Lux: Also das fand ich überraschend viel, muss ich ehrlich sagen. Weil es ist ja auch in einem relativ kurzen Zeitraum das Ganze gewesen. Also das finde ich durchaus erheblich. Wobei, wir hätten das natürlich auch noch – das haben wir ja nicht gemacht – wir hätten das Ganze ja natürlich auch noch pushen können, eben alleine bei den Theaterbesuchern, die hier ständig im Haus sind. Haben wir aber nicht gemacht, sondern haben das dann im Grunde genommen so laufen lassen.

Die größte Schmach ist, dass es uns trotz Einschaltens von CIA oder KGB nicht gelungen ist, Friedrich Thalia Wilder zu enttarnen. Wir wissen bis heute nicht, wer das ist. Waren Sie es?

Meyer: Nein, keineswegs! Ich war nicht dabei. Aber dahinter steckt ja auch die Frage, auch nach dieser Frage, wie viel machen eigentlich mit, wie viele interessieren sich dafür, die Frage nach der Legitimation dessen, was Sie tun. Offenbar hatten Sie ja das Bedürfnis, sich legitimieren zu lassen durch so eine Abstimmung. Fühlen Sie sich jetzt danach, weil sich über 5000 Leute beteiligt haben, jetzt besser legitimiert, wie ein Politiker, der sagen kann, ich bin doch gewählt für das, was ich tue?

Lux: Nein, das kann ich nicht sagen. Legitimiert werden wir dadurch, dass wir gute Arbeit machen. Und legitimiert werden wir dadurch, dass sich für die Arbeit, die wir machen, Menschen entscheiden und bereit sind, dafür Geld auszugeben, also sprich, ins Theater zu gehen. Das legitimiert uns. Diese Wahl ist aber auch nicht die, um ein angenommenes Legitimationsdefizit zu füllen.

Ich finde, diese Wahl ist eher eine Art politische Kunstaktion gewesen. Nämlich: Wir leben in einer Zeit, in der Demokratie wahnsinnig viel und oft defizitär wahrgenommen wird von den Menschen, die sagen, die Institutionen sind so entfremdet. Und ich will mehr Bürgerbeteiligung, ich will mehr Internetforen. Ich will mehr mitbestimmen, was passiert. Und das führt sofort zu der Problematik, ob denn diese neuen Beteiligungsformen überhaupt geeignet sind, dieses Defizit auszugleichen.

Und ich glaube, dass diese Aktion, ich sag mal wirklich, als Kunstaktion, dieses Dilemma im Rahmen von einem kleinen und gar nicht wichtigen Bereich, nämlich dem eines Theaters, dieses Dilemma noch mal besonders plastisch und deutlich gemacht hat.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, über ein Mitbestimmungsexperiment. Das Publikum konnte über den Spielplan des Thalia Theaters mitbestimmen, eigentlich ja der Versuch – Sie nennen es jetzt eine Kunstaktion, aber es ist ja auch der Versuch, einen engeren Kontakt zu finden mit der Öffentlichkeit, mit der Gesellschaft einer Stadt. Das machen andere Häuser ja auf andere Weise, die gehen zum Beispiel raus in Problemkieze, versuchen zum Beispiel, Jugendliche mit reinzuholen ins Theater, in Theaterprojekte zu verbinden. Oder es gibt Bildungsprojekte – wie wollen Sie das in Zukunft weiter betreiben, diese Methode der Öffnung in die Stadt hinein.

Lux: Also, ich glaube nicht, dass wir so eine Spielplanwahl, um die naheliegendste Schlussfolgerung vorwegzunehmen, ich glaube nicht, dass wir das wiederholen werden. Sondern das war eine einmalige Aktion, und damit ist es auch gut. Und alle anderen Formen von Partizipation, Einbeziehen der Menschen, machen wir ja auch. Sei es auf der Ebene von Sozialprojekten, seien es Internetforen, sei es der Versuch – wir haben so Initiativen "Abo international", also wo wir versuchen, andere Publikumsschichten ins Theater zu bekommen. Übertitelung in englischer Sprache, die Beteiligung von Bürgern bei den künstlerischen Produktionen etc. pp., da sind wir – also auch die ganzen theaterpädagogischen Programme natürlich, da sind wir – oder dass wir in die Schulen fahren und dort tatsächlich auch Stücke aufführen – da sind wir unendlich stark aktiv.

Und das werden wir alles ganz sicher fortsetzen, weil ich da auch tatsächlich der Überzeugung bin, dass das notwendig ist. Um nicht, wie ein Museum oder so in so einer vermeintlichen Abgeschlossenheit vor sich hinzuvegetieren, sondern um sich wirklich in gesellschaftliche Prozesse hineinzubegeben.

Meyer: Aber heißt das auch, das alte Stadttheaterprinzip, wir machen unser Programm und gucken dann mal, wer so kommt, das kann man so heute nicht mehr machen?

Lux: Das konnte man früher auch nicht so machen. Stadttheater ist grundsätzlich, oder subventionierte Kunst ist grundsätzlich ja etwas, was mit dem Markt nichts zu tun hat. Sondern es ist das Gegenteil: Hier wird ein Angebot geschaffen, das dann anschließend nach Nachfrage sucht. Das ist ja der entscheidende Unterschied zu wirklich marktgängigen Produkten. Und das Bemühen, diese Nachfrage zu schaffen, also nach künstlerischer Arbeit, nach Konzerten, nach Theater, nach ich weiß nicht was, das ist ohnehin unsere Aufgabe, aber: ohne uns anzubiedern, muss man auch sagen.

Also ein Rest von Autonomie des künstlerischen Schaffens ist unsere Aufgabe. Also das heißt auch im Idealfall, die Menschen mit Bedürfnissen oder mit Produktionen zu versorgen, von denen die Leute gar nicht wussten, dass es ihr Bedürfnis ist, die zu sehen, die sie dann aber anschließend mit Vergnügen, Interesse oder auch mit Verstörung begleiten.

Meyer: Im November 2011 gab es die Mitbestimmungsaktion am Hamburger Thalia Theater. Und das Stück, das bei dieser Aktion als Siegerstück ermittelt wurde, nämlich Dürrenmatts "Ehe des Herrn Mississippi", das wird morgen am Thalia Theater Premiere haben. Wir hatten am Telefon Joachim Lux, der Intendant des Theaters. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Lux: Gerne!

Meyer: Und wir werden Ihnen morgen in unserer Sendung "Fazit" erzählen, wie denn diese "Ehe des Herrn Mississippi" in Hamburg inszeniert wurde. Die Kritik dazu gibt es in Fazit nach 23 Uhr. Und wir würden auch gern von Ihnen wissen, was Sie denn von so einer Mitbestimmungsidee halten. Würden Sie gerne mit darüber entscheiden, was im Theater Ihrer Stadt gespielt wird oder was dort im Museum gezeigt wird, was im Konzerthaus zu hören ist? Darüber wollen wir mit Ihnen reden. Das ist das Thema in unserer Debatte um zehn vor vier.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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