"Spiegel"-Affäre

Machtkampf der Alpha-Männer

Erbitterte Gegner: Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß (l) und "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein (r) im ZDF-Studio 1977.
Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß (l.) und "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein (r.) im ZDF-Studio 1977 © dpa / picture alliance / Fritz Fischer
Moderation: Dieter Kassel · 02.05.2014
Vor über 50 Jahren erschütterte die "Spiegel"-Affäre die Bundesrepublik. Vor allem der erbitterte Kampf zwischen Rudolf Augstein und Franz Josef Strauß habe ihn in seiner filmischen Aufarbeitung interessiert, sagt Roland Suso Richter.
Dieter Kassel: Im Herbst 1962 stürmten Polizei und Staatsanwaltschaft die Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", beschlagnahmten Unterlagen und nahmen mehrere Redakteure in Untersuchungshaft. Das war der Höhepunkt der sogenannten "Spiegel"-Affäre. Heute Abend ist bei Arte ein Film zu sehen, der die Geschichte dieser Affäre erzählt.
Der Regisseur des Films, Roland Suso Richter, den haben wir jetzt erreicht, mitten während der Arbeit an einem neuen, ganz anderen Projekt, und deshalb ist er ausnahmsweise per Handy zu uns geschaltet. Schönen guten Tag, Herr Richter!
Roland Suso Richter: Hallo, guten Tag!
Kassel: Sie haben, das ist auch gerade so ein bisschen klar geworden, Sie haben das Ganze ziemlich stark inszeniert als erbitterten Kampf zweier Männer, Rudolf Augstein und Franz Josef Strauß. Warum haben Sie sich darauf so konzentriert?
Richter: Na ja, also ein Film hat ja nur die Möglichkeit, ein kleines Fenster zu öffnen und die Arbeit jetzt in der Redaktion oder auch eine politische Arbeit zu zeigen, und da bleibt nicht viel übrig, und deshalb ist, glaube ich, der Fokus auf diesen Kampf zwischen den beiden Männern dramaturgisch richtig, weil man so in diesem Film – da wird viel gesprochen, ich hatte auch großen Respekt am Anfang davor, dass eben fast nur gesprochen wird –, ... dass das aber einen Zug kriegt, und dieser Zug wird natürlich durch das Bekämpfen der beiden, ich habe immer Antagonisten gesagt, natürlich angefeuert.
Kassel: Was ich sofort sagen muss, wer mich beeindruckt hat – auch, weil ich das so nicht erwartet habe, das gebe ich zu – ist Francis Fulton-Smith, der spielt Franz Josef Strauß, und was mich da doch ziemlich begeistert hat, ist, dass er ihn eben nicht zu seiner eigenen Karikatur werden lässt. Also er spielt ihn bewusst nicht so, wie Strauß immer wieder auf Kabarettbühnen zu sehen ist, natürlich mit bayrischem Dialekt, das kann er auch gut, aber sonst doch sehr, na ja, fast normal. War das auch was, worauf Sie Wert gelegt haben, dass Strauß da nicht zu so einer Art Karikatur wird?
Richter: Ja, absolut. Wir haben am Anfang so ein bisschen rumprobiert und gerade durch die Kabarettisten ist man ja gewohnt, dass jede Macke, die ein Politiker hat oder Strauß hat, die dann .... Alle paar Sekunden kommt die dann, und das entspricht aber nicht der Realität: Wenn man sich Interviews oder Sachen von Strauß anguckt, dann spricht der auch mal hochdeutsch und so, also ganz normal.
Und wir haben gesagt, wir wollen jetzt erst mal uns ein bisschen in die Richtung bewegen, aber wenn wir dann drehen, dann darf das keine Rolle mehr spielen. Ich will dann sozusagen dir, ich habe dann gesagt, dir bei der Arbeit zuschauen, also der Arbeit als Politiker, wie du das machst, da ging es dann nur noch um Haltung, dass du eben Engagement zeigst oder etwas durchsetzen willst, aber wir werden dann auf gar keinen Fall mehr an irgendwelchen kleinen Macken, Strauß-Macken rumpopeln, das will ich nicht. Ich will versuchen, dass man nach zehn Minuten einfach vergisst, dass das jetzt Francis Fulton-Smith ist, der Strauß spielt.
Kassel: Mir ging es das erste Mal in meinem Leben – ich muss sagen, '62 war ich noch nicht auf der Welt, aber ich habe dann Franz Josef Strauß als gefühlt 200 Jahre lang Ministerpräsident von Bayern erlebt –, mir ging es bei Ihrem Film, und ich bin ein bisschen jetzt hin- und hergerissen mit meinen Gefühlen, bei Ihrem Film das erste Mal so, dass ich Franz Josef Strauß teilweise sympathisch fand. Können Sie das nachvollziehen?
Die emotionalen Seiten des Franz Josef Strauß
Richter: Das hat natürlich damit zu tun: Er hat ein paar emotionale Szenen, und das hat Augstein jetzt zum Beispiel nicht. Ich habe ja vorhin schon gesagt, ich habe keinen Protagonisten, sondern ich habe zwei Antagonisten, zwei Anti-Helden, und ich versuche, die aufeinander loszulassen.
Er hat aber durch das Drehbuch ein paar Szenen bekommen, wo er Emotionen zeigt, wo er wirklich eine menschliche Seite zeigt, und das in der Addition führt jetzt tatsächlich zu so einem kurzen Momentum, dass man den fast sympathisch findet. Aber letztendlich finde ich es ja auch nicht schlecht. Es geht ja nicht um eine Richtigstellung jetzt, dass Strauß nicht so schlimm war, sondern es geht auch darum, dass der Zuschauer einfach einen Zugang zu dem Film bekommt, der ihn interessiert und der vielleicht auch die eine oder andere Frage aufwirft. Das ist ja auch mit gewollt.
Also hätte ich jetzt gesagt, Strauß ist per se der Doofe und dem hauen wir permanent eine Watschen, dann wäre das, glaube ich, nicht so gut gewesen, und hätte ich Augstein hier zum Helden gemacht, hätte das nicht so gut funktioniert. Ich habe versucht, mich halt in der Mitte einzunorden.
Kassel: Es gibt, Sie werden es wissen vermutlich, Kritik an diesem Film von Franziska Augstein, die sagt eine Menge, womit ich als Regisseur leben könnte, da geht es um Authentizität, nun gut, es ist ein Spielfilm, aber eines hat mich dann doch nachdenklich gemacht. Die sagt, ... Wir haben ja angefangen, darüber zu reden, dass Sie das sehr fokussieren auf diesen beiden Alphatiere, die einander in Feindschaft verbunden sind und gegeneinander kämpfen. Und sie sagt – und da hat sie doch nicht unrecht: Es ging im Grunde genommen nicht um zwei Männer, die sich nicht mochten. Es ging im Grunde genommen um Pressefreiheit, es ging um den Kampf eines Staates gegen bestimmte Formen der Demokratie. Sie sagt auch, der eigentliche Kampf fand im Bundestag statt und nicht in der "Spiegel"-Redaktion. Können Sie mit der Kritik was anfangen?
Richter: Jein. Ich würde sagen, also Thema ein bisschen verfehlt, weil der Film ist keine Dokumentation, sondern eine Fiktion. Und dann muss ich ja wirklich die Frage stellen von Befangenheit, weil ob sie jetzt die Richtige ist, eine Kritik zu schreiben über einen Film, in dem ihr Vater vorkommt, das halte ich eigentlich erst mal für falsch und ist journalistisch auch letztendlich nicht der ganz gerade Weg. Wir haben es ja auch nicht nur auf den Kampf der beiden Männer abgesehen, und Pressefreiheit ist ja auch erst im Nachhinein entstanden. Also das ist dieser ganze Vorlauf, dass Augstein wirklich nach Momenten, journalistischen Momenten gesucht hat, um Strauß zu Fall zu bringen oder zu schädigen, diesen ganzen Vorlauf, denn das war ja noch lange bevor das Thema Pressefreiheit überhaupt so auf dem Tisch lag.
Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Roland Suso Richter über seinen Film "Die Spiegel-Affäre", der heute Abend bei arte zu sehen ist, später dann in der ARD. Das ist ein Film, Herr Richter, der spielt natürlich, was die Kernhandlung angeht, 1962, es gibt einen Rückblick fünf Jahre zurück – und so sieht es dann auch aus.
Also bei Strauß ist es so: Wenn der nicht im Bundestag ist, gibt es, glaube ich, keine einzige Szene, wo er nicht ein Glas Bier neben sich hat, in der "Spiegel"-Redaktion wird immer geraucht, die Frauen sind nur Beiwerk und man darf ihnen auch immer auf den Po klapsen. Sind Sie wirklich überzeugt davon, dass die 60er-Jahre komplett so eindimensional waren, oder spielen Sie da absichtlich mit Klischees?
Zigaretten, Alkohol und Haarwasser - "ein Kolorit dieser Zeit"
Richter: Ich würde nicht sagen, dass ich mit Klischees spiele. Ich spiele damit, dass ich eben sage, klar, es wurde viel geraucht – das ist auch so –, und wenn man sich die Zeitschriften anguckt, also auch gerade die "Spiegel"-Zeitschriften und guckt, was für eine Werbung da drin ist, dann ist auf jeder Seite Zigarettenwerbung, Alkoholwerbung oder Haarwasser. Das waren die drei wesentlichen Punkte. Und das ist, wenn man das jetzt mal so sieht, wie diese Zeitung das schon rausstellt, das ist tatsächlich ein Kolorit dieser Zeit. Und ich glaube, dass es kein Klischee ist, klar, der Klaps auf den Po, Frauen waren damals ... hatten da kein wirkliches Standing in so einer Redaktion, das ist jetzt mal sozusagen ein Bild dafür. Es kommt ja auch dann nie wieder vor.
Kassel: Das ist Fiction einerseits, andererseits natürlich die wahre Geschichte der echten "Spiegel"-Affäre von 1962. Was fasziniert Sie eigentlich daran, sich an solchen wahren Begebenheiten abzuarbeiten? Eine andere Option wäre doch theoretisch auch gewesen, zu sagen: Ich nehme eine völlig frei erfundene Geschichte über Pressefreiheit und staatliche Einmischung.
Richter: Das hat was damit zu tun, dass das per se einfach schon mal einen Segen kriegt. Ich sage mal, der Segen liegt darin, dass man was darüber weiß und weiß, das hat irgendwie stattgefunden, das ist immer ... Das ist wie so ein Goodie, das man bekommt als Regisseur, schon mal per se als Bonus, wo man sagt, ja, ich habe da was in der Hand, ich kann selbst Dokumentarmaterial mir anschauen, ich weiß, es gab diese Zeit. Und wenn ich in die Fiktion gehe, also richtig in die Fiktion gehe und Sachen erfinde, dann habe ich ja das Problem, dass mir die Leute sagen, ja, das glaube ich euch jetzt nicht. Wir hatten das ja bei einem Film vor vielen Jahren mit dem Mengele-Prozess, "Nichts als die Wahrheit", gemacht, dass Mengele zurück nach Deutschland kommt. Das war eine reine Fiktion. Aber das wurde eben in der Luft zerrissen, weil man sagte, na ja, da habt ihr euch was ausgedacht.
Also insofern ist es oft so, dass die wahren Geschichten einfach die richtigeren sind und auch die besseren zu erzählen, weil dann zumindest dieser Vorwurf, da habt ihr euch aber was Tolles ausgedacht, erst mal schon mal gar nicht kommen kann. Und insofern finde ich das natürlich super-spannend, solche Stoffe zu erzählen.
Kassel: Frage zum Schluss: Es ist natürlich eine alte Geschichte, über ein halbes Jahrhundert her, eine ziemlich unerhörte, sowohl in der Realität als auch in dem, was Sie daraus gemacht haben. Aber wenn wir heute an die NSA-Überwachung, an Fragen nach Pressefreiheit denken – ist das, was damals passiert ist, so schlimm es für die damalige Bundesrepublik war, in Ihren Augen im Vergleich zu dem, was heute denkbar wäre, nicht sogar ein bisschen niedlich?
Richter: Es kommt alles wieder. Also ich habe immer das Gefühl, dass so in bestimmten Rhythmen bestimmte Dinge einfach wiederkehren und das, was damals jetzt als Kalter Krieg eine große Rolle und Gefahr darstellte, ist heute nicht anders, und was wir heute als Pressefreiheit kennen, wird heute auch permanent diskutiert und was wir heute auch von der Presse kennen, dass sie Politiker mit dem, was sie schreiben, eben auch wirklich aus dem Amt hebeln, das kennen wir auch. Also insofern ist es eigentlich, das, was damals so in diesen ersten Grundzügen stattgefunden hat, eigentlich auch sehr, sehr modern, weil das spiegelt eigentlich auch so die Welt, die wir heute kennen.
Kassel: Roland Suso Richter, Regisseur des Films "Die Spiegel-Affäre". Der Film läuft heute Abend bei Arte und am kommenden Mittwoch dann in der ARD, jeweils um 20:15 Uhr. Herr Richter, vielen Dank!
Richter: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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