Spekulationen um Taktik der Briten

Mehrere Motive für späten Rücktritt Camerons

Fahrgäste in der U-Bahn lesen am Tag nach der Brexit-Entscheidung die Zeitungen
Fahrgäste in der U-Bahn lesen am Tag nach der Brexit-Entscheidung die Zeitungen © picture alliance / dpa / Jean Nicholas Guillo
Axel Flemming im Gespräch mit Tanja Börzel · 25.06.2016
Die Europa-Expertin Tanja Börzel sieht gleich mehrere mögliche Beweggründe für den späten Rücktrittstermin von Englands Premier David Cameron. Zum einen müssten sich die Konservativen selbst zunächst ordnen. Und vielleicht schielten sie schon auf die Wahlen in Deutschland und Frankreich in 2017.
Nach der Brexit-Entscheidung der Briten muss das Land nun seine Beziehungen zur Europäischen Union neu definieren. Ein kompletter Ausstieg sei lediglich die "Maximaloption", so die Politikwissenschaftlerin und Europa-Expertin Tanja Börzel, Professorin am Otto-Suhr-Institut Berlin. Ebenso zur Verhandlung stehe aber auch die "assoziierte Mitgliedschaft", sagte sie im Deutschlandradio Kultur. "Großbritannien wird so oder so ein wichtiger Partner Europas bleiben."

Briten sollten nun über Einzelheiten befragt werden

Viele Briten hätten für den Brexit gestimmt, weil sie davon ausgegangen sind, dass ihr Land trotzdem im Binnenmarkt bleiben kann, so Börzel. "Was man den Briten nicht gesagt hat, ist: Wenn sie über den europäischen Wirtschaftsraum - gemäß dem norwegischen Modell - im EU-Binnenmarkt bleiben wollen, dass dann die Personenfreizügigkeit eine absolute Voraussetzung ist und gegen die hat sich nun einmal die Mehrheit der Briten und Britinnen entschieden", sagte Börzel. Wenn also nun die Bedingungen für den Austritt verhandelt werden, müssten die Bürger des Landes noch einmal über die Einzelheiten befragt werden.

Mehrere Deutungsmöglichkeiten für den späten Rücktrittstermin

Die Entscheidung David Camerons erst im Herbst zurückzutreten, sei nicht unbedingt ein Beleg, dass Großbritannien auf Zeit spielt, sondern vielmehr dem Fakt geschuldet, dass sich die Konservative Partei Großbritanniens nun neu ordnen müsse, schließlich sei selbst ihre Spitze in der Frage "Brexit - Ja oder Nein?" gespalten und müsse innerhalb ihrer Reihen entscheiden, wer der neu Premier wird, so Börzel.
Die Entscheidung Camerons, erst im Herbst abzutreten, könne aber ebenso der Taktik geschuldet sein, hier nun auf Zeit zu spielen und so Zugeständnisse bei den Verhandlungen um das zukünftige Verhältnis mit der EU zu erreichen. Denn sowohl in Deutschland als auch in Frankreich seien im nächsten Jahr große Wahlen, erklärte Börzel.