Spektakulärer Fossilfund

13.08.2009
Manche nennen es die bedeutendste wissenschaftliche Entdeckung der letzten Jahre: das exzellent erhaltene Fossil eines Primaten, gefunden in der Grube Messel bei Darmstadt, das eine gewaltige zeitliche Lücke füllt und die Verbindung zwischen Affe und Mensch herstellen soll.
Sie misst nicht mehr als 57 Zentimeter - mehr als die Hälfte davon sind Schwanzwirbel. Ihr Gesicht erscheint affenähnlich, mit den großen Augen eines nachtaktiven Tieres. Über der hohen Stirn wölbt sich ein runder Schädel. Von den kräftigen Händen steht ein kleiner Daumen ab - ebenso von den Füßen. Im Mund trägt sie Milchzähne: Ida war noch ein Kind, lebte vor 47 Millionen Jahren, starb und versteinerte in einem See bei Darmstadt und bringt seit kurzem Aufregung in die Welt der Primatenforschung. Das neue Buch des britischen Wissenschaftspublizisten Colin Tudge, erschienen im Piper Verlag, beleuchtet den Fossilfund von allen Seiten. Der Buchtitel signalisiert, was Ida so spektakulär machen soll: "Das Missing Link".

"Darwinius masillae" - so Idas wissenschaftlicher Name - soll das erste Bindeglied zwischen sonstigen Säugern und Menschenaffen markieren. Spannend erzählt der Autor die Geschichte des Fundes: 25 Jahre verbarg ein privater Sammler den Fund. Fossilienliebhaber, so erläutert Tudge, können eine besessene Spezies sein; sie horten alte Knochenfunde wie Kunstsammler berühmte Meisterwerke. Im Jahre 2006 zeigte ein Händler das Fossil dem norwegischen Paläontologie-Professor Jørn Hurum am Rande der Mineralien Messe Hamburg. Nach einigen schlaflosen Nächten trommelte Hurum ein Expertenteam zusammen, das die Echtheit des außergewöhnlich gut und vollständig erhaltenen Fundes überprüfte. Danach taufte Hurum die kleine Primatin auf den Namen seiner Tochter, und das Naturhistorische Museum Oslo legte die siebenstellige Kaufsumme auf den Tisch.

Als routinierter Wissenschaftsautor weiß Colin Tudge den Fund medial groß aufzubereiten: Spannend erzählt er von Idas Lebenszeit, dem milden Eozän mit seiner sprunghaften Weiterentwicklung der Säugetiere, spekuliert über die Umstände von Idas Tod, lässt die Evolution der Primaten umfassend Revue passieren und lenkt die Aufmerksamkeit - komplex und dennoch verständlich - auf eine Vielzahl aktueller Forschungsfragen.

Dennoch hinterlässt die Lektüre einen unguten Beigeschmack. Anders als sonst üblich wurde Ida der Öffentlichkeit nicht durch eine wissenschaftliche Publikation erstmals präsentiert, sondern durch einen reißerischen BBC-Dokumentarfilm und eben dieses Buch in seiner englischen Originalfassung. Dass Ida ein Bindeglied sei zwischen Affe und Mensch, gar das "achte Weltwunder", behauptet nur eine kleine Minderheit von Forschern. Jørn Hurum aus Oslo gehört dazu, wen wundert es. Er holte auch die Medienprofis in sein Team, um Ida groß auf die Bühne zu bringen. Mit dabei: Colin Tudge.

Die meisten Primatenforscher siedeln Ida am Übergang zwischen Feuchtnasenaffen und echten Trockennasen-Affen an, aus denen sich auch der Mensch entwickelte. Naturwissenschaft ist dann sympathisch, wenn sie Präzision mit Bescheidenheit verbindet und ihrem Forschungsgegenstand ein Mindestmaß an Respekt entgegen bringt. Ida - einer der schönsten und wichtigsten Fossilfunde der letzten Jahrzehnte - wurde leider zum Medienrummel degradiert.

Besprochen von Susanne Billig

Colin Tudge: Das Missing Link
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Piper Verlag 2009
280 Seiten, 19,95 Euro