Speedrunner in Computerspielen

Der letzte Gegner ist die Zeit

06:34 Minuten
Gamescom Hände eines Spielers bedienen game controller über einer beleuchteten Tastatur auf der weltweit grössten Messe für Computer-und Videospiele Gamescom in Köln, NRW am 24.8.2018
Speedruns erfordern höchste Konzentration © imago stock&people
Von Friedemann Brenneis · 03.08.2019
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Es gibt einen neuen Weltrekord: Der Norweger Torje Amundsen hat das Computerspiel Zelda "Ocarina of Time“ in 17 Minuten beendet – ein Durchschnittsgamer braucht dafür um die dreißig Stunden. Amundsen ist aber auch kein normaler Spieler, er ist Speedrunner.
Computerspiele sind klasse. Man kann stundenlang in eine andere Welt eintauchen, Rätsel lösen und Abenteuer erleben. Doch irgendwann sind die meisten Spiele zu Ende. Der finale Bösewicht ist besiegt, das letzte Rätsel gelöst, der entfernteste Winkel erkundet. Was macht man dann?
Die meisten Spieler suchen sich ein neues Spiel. Andere bleiben jedoch und beginnen noch einmal von vorn. Immer und immer wieder. Denn fast jedes Spiel bietet einen Endgegner, der immer schwerer zu besiegen ist: die Uhr. Friedemann Brenneis über Speedruns und den Reiz, immer schneller durch Videospiele zu hetzen.

11.470 Anläufe für einen neuen Weltrekord

Mitte Juli hat der Norweger Torje Amundsen als erster Mensch das rund zwanzig Jahre alte Videospiel "The Legend of Zelda - Ocarina of Time" in weniger als 17 Minuten durchgespielt. Eine bemerkenswerte Leistung. Immerhin brauchen "normale" Spieler für das Spiel mit seiner riesigen 3D-Welt, einer umfangreichen Handlung und den vielfältigen Aufgaben um die dreißig bis fünfzig Stunden. Torje ist allerdings kein normaler Spieler. Er ist Speedrunner.
"Wir Speedrunner spielen auf Tempo, weil wir das Spiel auf dem üblichen Weg längst komplett durchgespielt haben und es daher keine Aufgaben und nichts mehr zu entdecken gibt. Der Speedrun gibt einem die Möglichkeit, trotzdem noch etwas zu machen. Immer schneller zu werden, ist ein ganz neues Ziel. Eines, mit dem du jedoch nie wirklich fertig wirst, im Gegensatz zu dem normalen Weg ein Spiel durchzuspielen", so Torje.
Seit fünf Jahren spielt der 19-jährige Schüler Videospiele nun schon auf Zeit. Wie ein Sportler trainiert er täglich um die vier bis fünf Stunden. Immer das gleiche Spiel. Um seinen neuen Weltrekord aufzustellen hat er 11.470 Versuche gebraucht. Mehr als tausend davon allein, um endlich die 17 Minuten-Marke zu unterbieten.

Der normale Spieler läuft, Speedrunner schweben rückwärts

Die Art, wie Speedrunner wie Torje spielen, hat mit dem ursprünglichen Spiel nur noch wenig gemeinsam. Wo der normale Spieler läuft, schweben Speedrunner rückwärts über den Boden. Anstatt den Schlüssel für eine verschlossene Tür zu suchen, fallen sie durch eine Wand in ein anderes Level.
Wenn nötig lassen Speedrunner ihre Figur auch absichtlich sterben, wenn sie dadurch ganze Handlungsstränge überspringen können. Auf der Jagd nach dem nächsten Rekord, versuchen sie die logischen und physikalischen Grenzen der virtuellen Welt, wo immer es geht, auszutricksen.
Möglich machen das Glitches – also kleine, unbeabsichtigte Fehler, die sich im Code befinden oder durch eine Überlastung des Speichers provoziert werden können. Zum Beispiel indem man die Figur springen lässt, sie dabei eine Flasche öffnen und noch vor der Landung einen weiteren Gegenstand aus ihrer virtuellen Tasche ziehen lässt. Das Spiel ist durch diesen komplexen Ablauf kurzzeitig überfordert, reagiert unerwartet, aber immer gleich.

Speedrunner dekonstruieren das Spiel

Das, was das ursprüngliche Spiel ausmacht - seine Story, die Rätsel, Kämpfe und Abenteuer - geht dabei größtenteils verloren. Durch die Glitches dekonstruiert der Speedrunner das Videospiel und zerlegt es in einzelne Fragmente aus Handlung und Herausforderungen. Anschließend reiht er diese Elemente so wieder aneinander, dass sie auf schnellstem Weg vom Startbildschirm bis zum Sieg über den Endgegner führen. Nicht alle Speedrunner sind dabei so extrem wie Torje und nutzen jeden möglichen Glitch für ihre Rekordversuche. Es gibt verschiedene Kategorien mit unterschiedlichen Regeln. In manchen sind gar keine Glitches erlaubt.
Beim Kampf um die Sekunden nutzen Speedrunner jede Möglichkeit, um irgendwie abzukürzen. Torje setzt dabei nicht nur auf Glitches. Sogar die Effizienz der Sprache spielt für ihn eine signifikante Rolle. Der Norweger spielt Zelda daher nicht in der englischen, sondern in der japanischen Version, weil dort der Text schneller angezeigt wird.

Speedruns sind ein Zuschauersport

Obwohl er allein und in einer Sprache, die er nicht versteht, spielt – einsam ist Torje bei seiner Jagd nach immer neuen Rekorden nicht. Während er zockt, ist er online, kommuniziert mit der Community und kommentiert Stärken und Schwächen seines aktuellen Laufs. Um die vierhundert Zuschauer haben Torjes neuen Weltrekord neulich im Netz live erlebt und mitgefiebert, während er in Windeseile wilde Tastenkombinationen drückte. Der Speedrun wird so zu einem sozialen Ereignis.
Und dann gibt es ja noch die anderen Runner: Auf sechzig bis hundert Spieler schätzt Torje die aktive Zelda – Ocarina of Time-Speedrun-Community. Doch ist das nur ein Spiel von vielen, das auf Zeit gespielt wird. Längst gibt es in der Szene auch übergreifende Speedrun-Podcasts, Speedrun-Marathon-Events und regelmäßige Conventions. Trotzdem: Am Ende bleibt der Kampf gegen die Uhr für jeden Speedrunner aber in erster Linie eine Auseinandersetzung mit sich selbst.
"Letztlich sucht jeder Spieler nach Perfektion. Es gibt zwar unterschiedliche Ansichten, wie diese Perfektion aussieht. Aber darum geht es am Ende. Jeder versucht, den immer perfekteren Run hinzulegen", sagt der Speedrunner Torje Amundsen.
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