SPD soll nicht "links blinken" und "wie ein Verkehrsrowdy" rechts abbiegen

Katja Kipping im Gespräch mit Nana Brink · 15.01.2013
Die Bundesvorsitzende der Partei "Die Linke", Katja Kipping, hat "kindische Abgrenzungsrituale" der SPD und der Grünen von den "Linken" kritisiert. Die Linke habe der SPD deshalb Maßnahmen für einen wirklichen Politikwechsel nach der Bundestagswahl unterbreitet.
Nana Brink: Was macht man, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht? Man streckt die Hände aus - ein Sport, in dem sich die Partei die Linke gerade übt. Ihre Umfragewerte sind ja nicht so rosig, ob sie bei der Landtagswahl in Niedersachsen nächsten Sonntag ins Parlament kommt, ist mehr als fraglich, und bundesweit stehen die Linken bei sechs bis acht Prozent, also weit unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009, da lag man fast bei 12 Prozent.

Da kann man schon mal die Hände ausstrecken, so wie Oskar Lafontaine es gemacht hat beim Neujahrsauftakt der Partei in Berlin am Wochenende: SPD und Grüne darf man nicht allein regieren lassen, sondern nur mit den Linken natürlich - aber auch realistisch? Am Telefon ist jetzt die Bundesvorsitzende der Partei die Linke, Katja Kipping. Guten Morgen, Frau Kipping!

Katja Kipping: Einen wunderschönen guten Morgen!

Brink: Blicken wir noch mal kurz nach Hannover auf die Wahl am Sonntag – schlafen Sie da gut?

Kipping: Ja, besonders, seitdem im "Focus" die Umfrage veröffentlicht wurde, wo wir in Niedersachsen bei sechs Prozent liegen und im Bund bei neun Prozent. Und das trifft auch so das, was ich an Stimmung mitbekomme, wenn ich jetzt im Wahlkampf in Niedersachsen bin.

Brink: Unser Korrespondent hat da andere Zahlen, aber es gibt ja mehrere Umfragen. Wir kommen jetzt mal zu sprechen auf Ihr Angebot, das Sie ja auch nicht ganz umsonst gemacht haben im Hinblick auf die Wahl in Niedersachsen, die Wahl am Sonntag: Sie sehen plötzlich politische Schnittmengen mit der SPD, dass Sie ihr Avancen machen auf eine Regierungsbeteiligung, ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene. Wo sind denn diese Schnittmengen?

Kipping: Ja, gut, wir haben gesagt, wir machen einen Vorschlag dafür, wie Selbstverständlichkeiten auch selbstverständlich werden. Und uns ist es sehr wichtig, dass auch die SPD nicht das macht, was sie häufig macht vor der Wahl, nämlich links blinken, um danach wie ein Verkehrsrowdy wieder rechts abzubiegen und sich womöglich in einer Großen Koalition einzulassen.

Und wir haben deswegen Maßnahmen, erste Schritte für einen wirklichen Politikwechsel unterbreitet, und dazu gehört unter anderem, dass wir sagen, wir wollen ein Verbot von Stromsperrungen, weil das eine stille soziale Katastrophe ist, wir wollen klare Maßnahmen gegen Mietenexplosion, und dazu gehört zum Beispiel die gesetzliche Regelung, dass die Nettomiete nur in dem Maße steigen darf, wie die Inflation steigt, und wir haben, zu unserem Reformprogramm gehört auch die Selbstverständlichkeit, dass kein Mensch in diesem Land unter die Armutsrisikogrenze fällt, ungefähr unter 1000 Euro. Und natürlich gehört für uns zu einem wirklichen Politikwechsel auch in der Außenpolitik das Credo: nie wieder Krieg.

Brink: Da möchte ich Sie gerne noch mal drauf festnageln, ich habe nämlich immer noch nicht verstanden, wo denn die Schnittmengen sind. Das ist jetzt Ihr Programm, aber Sie sprachen ja von Schnittmengen, dass Sie der SPD Avancen machen, und ich sehe da eher nur Unterschiede, also die Höhe des Mindestlohns zum Beispiel oder ich nenne die Eurokrise oder das, was Sie gerade angesprochen haben, die gesamte Außen- und Verteidigungspolitik.

Kipping: Ja, in der Tat ist für mich ... das finde ich sehr bedauernswert, dass die SPD jetzt auch mit wehenden Fahnen sich für den Militäreinsatz in Mali ausspricht. Aber ich will noch mal zu den Schnittmengen zu sprechen kommen, weil es ist ja doch sehr bemerkenswert, und ich finde, das ist auch ein Erfolg unserer Partei, dass immer mehr Punkte, die wir als Erste in die politische Debatte gebracht haben, wie Mindestlohn, jetzt auch bei der SPD aufgegriffen werden, und ...

Brink: Davon spricht die SPD - pardon, aber davon spricht die SPD auch schon lange.

Kipping: Ja, aber Sie wissen ja auch, dass der Mindestlohn einst von den Linken als erster Partei ins Gespräch gebracht wurde. Aber ich will mal auf ein aktuelles Beispiel eingehen: Vor wenigen Tagen haben wir unsere Vorschläge für eine Finanzpolizei veröffentlicht, weil wir halt finden, man muss couragierter gegen Steuerbetrug vorgehen, und jetzt gestern hat die SPD auch ein Konzept zur Verfolgung von Steuerflüchtigen unterbreitet, wo man sagen kann, das wirkt wie abgeschrieben.

Also, da sehe ich schon eine Gemeinsamkeit, und das freut uns natürlich. Oder wenn es um die Begrenzung von Mietenexplosionen geht, auch da hat man das Gefühl, dass viele Vorschläge, die wir gemacht haben, aufgegriffen werden, und ich freue mich, wenn die Linke Ideengeber wird für die politische Debatte. Und wir sind ja da auch nicht kleinlich, was das Copyright anbelangt. Uns ist es halt nur wichtig, dass man nicht nur vor der Wahl, sage ich mal, einen rhetorischen Linksschwenk vollzieht, sondern dass es in der Tat auch nach der Wahl dann zu einem wirklichen Wechsel kommt.

Brink: Komisch nur, dass es bei der SPD nicht ankommt, die spricht nämlich von einem vergifteten Angebot, und gerade bei SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück beißen Sie auf Granit: Jede Koalition lehnt er mit Ihnen ja kategorisch ab. Wie wollen Sie den dann bezirzen?

Kipping: Gut, die Frage ist ja generell, wie lange die politische Halbwertszeit von Peer Steinbrück, den ja manche auch Pannen-Peer nennen, überhaupt ist. Also, er hat ja eine Große Koalition ausgeschlossen und hat in die Zusammenarbeit mit uns ausgeschlossen. Also insofern ist die Frage, inwieweit nach einem schlechteren Wahlergebnis er überhaupt noch bei den Verhandlungen dabei ist. Und was die Situation in Niedersachsen anbelangt, wenn man genau hinsieht ...

Brink: Aber pardon – da noch mal einzuhaken, ist es klug, denjenigen, mit dem man vielleicht zusammenarbeiten möchte, so, sagen wir mal, zu kritisieren?

Kipping: Ja, gut, ich habe ja jetzt bloß Fakten benannt, die er hat, und ich glaube auch, dass die Aussagen und die Handlungen von Peer Steinbrück ja für sich sprechen.

Brink: Bleiben wir auch noch mal bei den Grünen, denen haben Sie ja auch ein Angebot gemacht, da mangelt es ja auch nicht an Spott. Der grüne Spitzenkandidat und Fraktionschef Jürgen Trittin nannte Sie orientierungslos, wies dabei auf Ihre Haltung der Partei hin in Sachen Hauptstadtflughafen, also in Berlin forderten Sie ja die Abwahl des Regierenden Bürgermeisters, in Brandenburg haben Sie ihn unterstützt - das klingt ja auch nicht nach Beginn einer Freundschaft.

Kipping: Na gut, das jetzt im Wahlkampf Parteien erst mal miteinander konkurrieren, das ist ja eher Teil des demokratischen Systems und, finde ich, ist überhaupt kein Problem. So, die Frage ist, gibt es ... will man danach gemeinsam irgendwas verändern in dieser Gesellschaft. Und ich nehme mal ein Thema, was mir sehr am Herzen liegt, den sozial-ökologischen Umbau.

Ich glaube, hier braucht es, wenn man nachhaltig was verändern möchte, wirklich, ja, da müssen wir unsere unterschiedlichen Kompetenzen zusammenwerfen, weil eine wirkliche Energiewende, ein wirklicher sozial-ökologischer Umbau kann nur gelingen, wenn man einerseits konsequent den Wechsel hin zu erneuerbaren Energien vollzieht, aber eben auch nur, wenn es nicht heißt, dass die Ärmsten frieren müssen – also die sozialen Fragen müssen bedacht werden – und ein Umbau fordert, glaube ich, auch den Konflikt mit den großen Stromkonzernen, und es muss hier einen Wechsel zu einer dezentralen Energieerzeugung geben. Und hier wäre es gut, wenn SPD, Grüne und Linke ihre Kompetenzen und auch, sage ich mal, das, was sie an Menschen erreichen, wenn sie das zusammentun.

Brink: Aber trotzdem kommt immer noch eine klare Abfuhr, egal, was Sie auch sagen. Ist das nicht schon ein bisschen masochistisch, dass Sie immer wieder darauf hinweisen, mit denen doch vielleicht zusammen in ein Boot zu steigen?

Kipping: Na ja, wenn man genau hingehört hat, was der Kandidat der SPD beim letzten Fernsehduell gesagt hat, da hat er ja sich vor einer kompletten Absage sehr deutlich drum herum gedrückt. Also, da merkt man schon, dass sie sich Optionen offenhalten, und im Übrigen, ja, ich finde halt, das ist meine Überzeugung, dass diese kindischen Abgrenzungsrituale links von der CDU die beste Lebensversicherung dafür sind, dass es weiter Schwarz-Gelb gibt, und ich möchte nicht, dass weiter der Kurs von Schwarz-Gelb gefahren wird. Und insofern – ich habe schon mal gesagt, wir sind hier nicht bei einer Tanzstunde, wo man sich irgendwie beleidigt zurückziehen kann, sondern uns geht es darum, Gesellschaft zu verändern.

Brink: Die Bundesvorsitzende der Linken, Katja Kipping. Schönen Dank, Frau Kipping, für das Gespräch!

Kipping: Wiedersehen!


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