SPD-Politikerin: Älteren mehr Zeit bei der Jobsuche geben

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der SPD-interne Streit um eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I für ältere Menschen läuft laut Angelika Krüger-Leißner auf einen Kompromiss zu. Eine Verlängerung der Auszahlung sei kein Zurückdrehen der Reformen, erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.
Birgit Kolkmann: Was passiert derzeit in der Sozialpolitik? Rolle rückwärts bei den Reformen der Agenda 2010? Und stellt sich bei der Diskussion um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere die Frage nach sozialer Gerechtigkeit ganz neu? Die Frage entzweit nicht nur die Sozialdemokraten. Auch in der Union gibt es Uneinigkeit. Jürgen Rüttgers trägt schon den Spitznamen "Arbeiterführer". Und in der Koalition ist das Thema folglich ähnlich kontrovers. SPD-Chef Kurt Beck war noch vor einem halben Jahr ganz anderer Meinung, aber jetzt will er älteren Arbeitslosen wieder länger Stütze geben und weiß damit eine Mehrheit in der Partei hinter sich.

Vor dem Parteitag am Wochenende muss heute der SPD-Vorstand über diesen Vorschlag befinden. Wir sind jetzt verbunden mit Angelika Krüger-Leißner von der SPD. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Schönen guten Morgen!

Angelika Krüger-Leißner: Guten Morgen!

Kolkmann: Frau Krüger-Leißner, wird sich im Vorstand das Beck-Lager gegen das Müntefering-Lager sehr wahrscheinlich durchsetzen?

Krüger-Leißner: Also, ich glaube, die Idee wird sich durchsetzen, dass wir diese Regelung, die wir getroffen haben, etwas korrigieren, und zwar zugunsten der Älteren.

Kolkmann: Es geht ja um die Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Krüger-Leißner: Richtig.

Kolkmann: Ist das gerecht, wenn man den Älteren hilft auf Kosten dann der Jüngeren?

Krüger-Leißner: Das wollen wir auf keinen Fall. Das ist ja der Vorschlag der CDU, das auf Kosten der Jüngeren zu machen. Wir werden für die Jüngeren keine Abstriche machen, aber wir werden die Staffelung nach Lebensalter machen, weil viele Menschen in diesem Lande das als ungerecht empfinden. Und ich glaube, die Chancen der Älteren sind auch nicht gleichzusetzen mit denen der Jüngeren, und das ist genau der Punkt.

Kolkmann: Entscheidet sich denn nun die Frage der sozialen Gerechtigkeit allein beim Arbeitslosengeld?

Krüger-Leißner: Die entscheidet sich vor allen Dingen bei der Frage, welche Chancen haben die Menschen, arbeiten gehen zu können und ihren Lebensunterhalt selbständig zu erarbeiten. Die Chancen sind bei Älteren nicht gleich gut wie bei Jüngeren.

Kolkmann: Wie gerecht wäre es denn, länger zu zahlen, oder wie ungerecht für andere?

Krüger-Leißner: Wir sehen, dass Ältere länger brauchen, um wieder in den Job hineinzukommen. Dem geben wir also Recht, und wir wollen das vor allen Dingen auch daran knüpfen, dass Arbeitgeber auch nicht so ohne weiteres Ältere entlassen können. Wir werden die Erstattungspflicht wieder einführen für Arbeitnehmer.

Kolkmann: Was heißt Erstattungspflicht?

Krüger-Leißner: Das heißt, dass die Unternehmen, wenn sie Ältere entlassen, dass die Arbeitgeber dann Leistungen an die Sozialversicherung zahlen, und damit bauen wir eine Hürde auf.

Kolkmann: Nun hatte ja die Agenda 2010 eigentlich mit in Gang setzen wollen, dass man nicht in Arbeitslosigkeit investiert, sondern in Arbeit. Und nun wird das ja wieder zurückgedreht. Also vorwärts zurück. Warum macht Kurt Beck das?

Krüger-Leißner: Also, wir haben in Arbeit investiert. Wir haben gute Programme auch für Ältere, und die Beschäftigungsquote hat sich ja enorm verbessert für Ältere. Aber es reicht noch nicht aus. Und ich sehe das ja auch in meinen Bürgersprechstunden. Gerade Ältere kommen zu mir und suchen Unterstützung, wieder in den Job zu kommen. Und das dauert einfach für diese Personengruppe viel, viel länger als wir auch geglaubt haben. Wir müssen denen mehr Zeit geben, damit sie flexibler sind und Übergänge schaffen in Arbeit.

Kolkmann: Sie hatten jetzt aber weniger Zeit und ihre Situation am Arbeitsmarkt hat sich verbessert. Wenn Sie also das ganze wieder zurückdrehen, dann ist das doch eigentlich kontraproduktiv oder?

Krüger-Leißner: Ich glaube, wenn man die Zeit um ein halbes Jahr verlängert, weil Ältere einfach länger brauchen, heißt das ja nicht, wir drehen es zurück. Vor allen Dingen hat sich eines verändert, und das muss noch verstärkt werden, dass Unternehmen eingestellt haben, und zwar zunehmend auch Ältere. Es sind doch mal zwei Sachen: der Ältere, der in dem Job bleiben will, zur Weiterbildung bereit ist, sich neues Wissen aneignen will oder sich auf die Socken macht, um wieder in den Job hineinzukommen, und auf der anderen Seite halt eben auch der Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz für Ältere bereitstellt. Und da hat sich schon eine Veränderung ergeben, aber das muss noch viel besser werden.

Kolkmann: Nun ist heute das Thema im SPD-Vorstand. Sie rechnen dort mit einer Mehrheit. Auf dem SPD-Parteitag am Wochenende in Hamburg dürfte das ähnlich sein. Nun gibt es aber drei Minister im Kabinett, am Kabinettstisch, SPD-Minister, die sich eigentlich gegen Beck stellen und nicht möchten, dass die Agenda 2010 zurückgedreht wird. Wie werden die sich dann verhalten müssen?

Krüger-Leißner: Ich denke, dass wir da ein großes Einvernehmen haben. Es hat sich ja auch schon abgezeichnet, dass wir zu einem Kompromiss kommen. Ich denke, dass Franz Müntefering sehr aufrichtig und sehr ehrlich ist. Er ist überzeugt davon, dass unsere Reformen mit der Zeit auch noch besser wirken – ich übrigens auch -, aber dass diese Korrektur, die wir an der einen Stelle für die Älteren machen, glaube ich, wird diesen Trend auch nicht aufhalten. Ähnlich werden das die anderen sehen. Wir werden das gemeinsam schultern. Ich glaube zum Glück haben wir auch das Geld dafür aus den Überschüssen der BA. Dieses Geld ist da, das zu zahlen. Wir nehmen es keinen anderen weg.

Kolkmann: Aber die Bundeskanzlerin hat schon gesagt, das Ganze wenn überhaupt nur kostenneutral.

Krüger-Leißner: Ja, das sagt sie jetzt. Ich bin mir sicher - -

Kolkmann: Ja, das sagt sie jetzt. Das sagt sie schon länger, und das könnte sie auch in Zukunft sagen.

Krüger-Leißner: Aber sie hat auch nicht die ganze CDU hinter sich. Ich glaube, dass da auch noch ein Umdenkungsprozess passiert, dass wir die 800 Millionen, die wir dafür benötigen, auch aufbringen werden aus den Überschüssen der BA.

Kolkmann: Wenn Sie jetzt einmal darauf schauen, wie der Machtkampf abgelaufen ist zwischen Beck und Müntefering, hat sich Beck, der ja doch sehr stark kritisiert worden ist, hiermit jetzt sehr deutlich positioniert?

Krüger-Leißner: Ich glaube ja, und die Positionierung für die Arbeitnehmer, dafür etwas zu tun, dass wir die Arbeitssituation verbessern, dass wir die Arbeitslosigkeit noch weiter abbauen, dass wir uns für gute Arbeit und das heißt für Mindestlohn einsetzen, das ist doch schon sehr deutlich und wird auch mitgetragen von der SPD-Basis.

Kolkmann: Ist damit die SPD herangerückt an die Linke?

Krüger-Leißner: Nein. Wir sind auf unserem Kurs, und wenn Sie das verfolgen, dann haben wir in unseren Grundansätzen ja überhaupt nichts verändert, sogar eher noch verstärkt würde ich sagen.

Kolkmann: Gut! Vielen Dank für dieses Gespräch. Angelika Krüger-Leißner von der SPD, die stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.