SPD in Schleswig-Holstein

Zwischen Aufbruch und Abstiegsangst

Simone Lange, Kandidatin für den SPD-Bundesvorsitz
Für den SPD-Bundesvorsitz hat es nicht gereicht: Simone Lange könnte aber schon bald in der schleswig-holsteinischen SPD aufsteigen. © dpa / Peter Steffen
Von Johannes Kulms · 03.05.2018
Die Schlappe bei der letzten Landtagswahl steckt der SPD in Schleswig-Holstein noch in den Knochen. Rufe nach personellen Veränderungen werden laut. Als Hoffnungsträgerin gilt die Oberbürgermeisterin von Flensburg: Simone Lange.
Jo Blane ist eine Exotin. Nicht nur, weil sie als gebürtige Britin in Neumünster lebt – mit seinen 80.000 Einwohnern nun wahrlich keine Weltmetropole. Mehr noch: Sie ist eine EU-Bürgerin, die sich in Deutschland parteipolitisch engagiert. Menschen wie Jo Blane sind in der deutschen Parteienlandschaft bis heute eher die Ausnahme denn die Regel.
Seit fünf Jahren ist sie SPD-Mitglied. Inzwischen ist die 44-Jährige stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende von Neumünster und Flyer-Beauftragte für den Kommunalwahlkampf. An diesem Vormittag steht sie im Zentrum der Stadt zwischen anderen Genossen und vielen Luftballons. Vor Blane liegen die schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen am 6. Mai. Hinter ihr liegt eine Jugend in England.
"Also, meine Eltern sind beide immer Labour-Parteimitglieder gewesen. Und als Jugendliche – heute würde ich sagen, in einer Zeit des Wahnsinns – hatte ich überlegt, zu den Young Conservatives zu gehen."

Schmerzhafte Niederlagen

Heute ist die Lehrerin eine überzeugte Sozialdemokratin. Doch natürlich ist auch ihr nicht entgangen, dass die SPD seit Jahren mit gewaltigen Problemen kämpft. In jüngster Zeit auch in Schleswig-Holstein. Die Landtagswahl vor einem Jahr ging überraschend klar verloren, die SPD musste die Macht an die CDU abgeben. Auch bei der Bundestagswahl gab es für die Sozis im Norden eins auf den Deckel.
Blanes Eindruck: Bei der SPD sei nun weniger Erneuerung gefragt, sondern erst einmal Besinnung!
"Also, sie steht dafür, dass alle Menschen ein Leben führen können, mit dem, was sie brauchen. Also, dass jeder genug hat, vernünftig leben zu können. Also, das ist, wofür die SPD schon immer gekämpft hat, als Arbeiterpartei. Das, was man braucht, dass man das auch bekommt."
Doch nicht wenige glauben: Die schleswig-holsteinische SPD braucht dringend personelle Veränderungen. Vor allem an der Spitze. Bloß bekommt sie die nicht. Zumindest noch nicht. Für Ralf Stegner – seit elf Jahren Landesvorsitzender – soll die Neuaufstellung erst im kommenden Frühling abgeschlossen sein. Hat die Schwäche der SPD auch damit zu tun, dass Stegner bisher den Eindruck vermittelt, an seinem Stuhl zu kleben?
"Also, ich denke, dass diese Doppelfunktion ungünstig ist – Landesvorsitz und Fraktionsvorsitz."
Paul Weber ist 26 Jahre alt. Er ist Wahlkampfkoordinator der SPD in Neumünster und tritt als Kandidat im Wahlkreis Alte Gartenstadt an. Stegner sei ein guter Fraktionschef im Kieler Landtag, sagt Weber. Doch der Lehramtsstudent würde sich freuen, wenn es bei der nächsten Vorstandswahl im April 2019 eine Auswahl gebe für den Landesvorsitz.

Simone Lange wirbt für einen Aufbruch

"Ob das jetzt Ralf Stegner wird oder jemand anderes, das sei dahingestellt. Aber ich finde seine Rolle jetzt aktuell beim Erneuerungsprozess sehr gut."
Weniger gut war womöglich das Gerangel in den letzten Monaten in der Bundespartei. Zunächst die lange Hängepartie um das Für und Wider der Großen Koalition. Dann der Streit über den SPD-Vorsitz. Dass dieser anhielt, hat auch mit einer Frau aus Schleswig-Holstein zu tun. Genauer: mit Simone Lange, der Oberbürgermeisterin von Flensburg.
"Heute entscheidet die Sozialdemokratie um ihre zukünftige Ausrichtung. Wollen wir einen neuen Aufbruch wagen oder sagen wir, es geht auch weiter so?"
… fragte Lange beim SPD-Bundesparteitag in Wiesbaden am 22. April. Um den Delegierten dann zuzurufen …
"Mich zu wählen bedeutet Mut. Aber ohne den, liebe Genossinnen und Genossen, geht es nicht."
Am Ende konnte sich zwar wie erwartet Andrea Nahles durchsetzen. Doch Simone Lange fuhr mit 27,56 Prozent ein Ergebnis ein, das in dieser Höhe kaum jemand zu träumen gewagt hätte.
Vor allem im Stegner-Lager glauben viele: Simone Lange ging es in Wirklichkeit gar nicht um den Bundesvorsitz. Sondern darum, sich eine bessere Ausgangsposition im schleswig-holsteinischen Landesverband zu verschaffen und sich als Nachfolgerin von Ralf Stegner in Stellung zu bringen. Lange hat diese Vorwürfe stets zurückgewiesen. Inzwischen hat sie klar gemacht: Eine Kandidatur für den Landesvorstand im nächsten Jahr ist für sie vorstellbar. Aber nicht für den Vorsitz. Doch sie bleibt eine große Nachwuchshoffnung. Ihr Name wird oft genannt. Ebenso wie der des Kieler Oberbürgermeisters Ulf Kämpfer.

Stegner - ein Teil des Problems?

Der bisherige SPD-Häuptling in Kiel gibt sich von diesen Diskussionen unbeeindruckt. Frage an Ralf Stegner: Sieht er sich selber nun als Teil der Lösung oder Teil des Problems?
"Seitdem ich Politik mache, erlebe ich, dass man kritisiert wird, das ist mit im Job drin – egal, was man tut! Und da sind immer alle daran aufgefordert, sich an der Diskussion zu beteiligen, der stelle ich mich auch mit großer Freude."
Doch auch Stegner redet die Lage der Partei vor der Kommunalwahl nicht schön. Seit einem dreiviertel Jahr wird das Land nun von einer Jamaika-Koalition regiert. Und das Bündnis aus CDU, Grünen und FDP funktioniert bisher ziemlich reibungslos. Mehr als zwei Drittel der Schleswig-Holsteiner sind mit der Arbeit der Landesregierung zufrieden, so eine NDR-Umfrage vom 20. April. In dieser Erhebung landete die CDU mit 34 Prozent klar vor der SPD, die gerade mal auf 22 Prozent kam. Dahinter: die Grünen mit 18 Prozent.
"Ich glaube, keiner wünscht sich in Deutschland Wahlen zu einem Zeitpunkt, wo die eigene Partei in bundesweiten Umfragen deutlich unter 20 Prozent liegt. Und ohne dass jetzt sozusagen als Generalentschuldigung zu nutzen, muss man sagen: Jeder weiß, wenn wir bei Umfragen bei 17 Prozent liegen, dann schaffen wir vielleicht fünf Prozent mehr, wenn wir gut sind, haben auch schon mal sieben geschafft, wenn wir sehr gut sind. Aber mehr ist dann in so einem Rahmen ehrlich gesagt auch nicht drin."

Glaubwürdige Politik mit Spaß

Hoffnung setzt Stegner auf jene Ecken des Landes, in denen die SPD zuletzt überraschende Erfolge holen konnte. Zum Beispiel in Lübeck.
Die alte Hansestadt ist zwar SPD-Hochburg. Doch nach 18 Jahren wollte der Oberbürgermeister Bernd Saxe nicht noch einmal antreten. Als Nachfolger stand Jan Lindenau bereit, der bis dahin die SPD-Fraktion in der Lübecker Bürgerschaft geführt hatte. Lindenaus Problem: Seine Gegenkandidatin Kathrin Weiher wurde von einem ungewöhnlichen Parteienbündnis gestützt: CDU, Grünen, FDP und der Partei Die Linke. Doch in der Stichwahl konnte Jan Lindenau sich ganz knapp durchsetzen gegen die parteilose Kultursenatorin.
Vor wenigen Tagen hat er sein Amt als Oberbürgermeister angetreten. Was die Landespartei von der Lübecker SPD lernte könnte für den Kommunalwahlkampf? Dazu will Lindenau nichts mehr sagen und verweist auf seine frisch gewonnene Neutralität als Oberster Lübecker Verwaltungschef. Doch Peter Petereit will was sagen. Er ist Lindenaus Nachfolger als Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft. Und Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl.
"Ich glaube, dass wir hier gute Leute haben, gute Politik machen, vor allem auch sachbezogen und glaubwürdig auftreten."
So weit, so allgemein. Doch dann sagt Petereit etwas, was dann doch nicht so ganz selbstverständlich klingt – für die SPD in diesen Tagen:
"Und auch gerade im Kommunalwahlkampf sieht man, wir haben kreative Leute, wir haben tolle Ideen, die auch bundesweit wahrgenommen werden. Und das ist auch schon etwas, das auch noch mit Spaß zu machen, das heißt, wir machen eine sachbezogene glaubwürdige Politik mit Spaß."

Optimismus trotz schlechter Umfragewerte

Einigen Spaß hatten die Lübecker Sozialdemokraten offenbar auch bei der Zusammenstellung ihres Kommunalwahlprogramms. "Wählst du schon oder überlegst du noch?" ist der auch im Layout an den Katalog eines großen schwedischen Möbelhauses erinnernde Prospekt überschrieben. Die Kandidatinnen und Kandidaten posieren darin auf Stühlen, Sofas und bequemen Sesseln, wobei hier mancher etwas großzügig ausfallender Bauchumfang ganz unkaschiert in Szene gesetzt wird. Die Lübecker SPD scheint zu zehren von ihrem Selbstbewusstsein. Fraktionschef Petereit will sich bei der Debatte über die Führungsdiskussionen auf Landes- und Bundesebene lieber zurückhalten und scheint froh darüber, einfach nur Kommunalpolitiker zu sein. Er hofft darauf, dass die SPD am 6. Mai zumindest in Lübeck zumindest wieder stärkste Kraft wird. Ob das gelingt, ist offen.
Und Jo Blane? Die britisch-stämmige Sozialdemokratin aus Neumünster hat seit kurzem auch den deutschen Pass. Das hat vor allem mit dem Brexit zu tun. Blane hofft darauf, dass es sich die Briten noch einmal anders überlegen. Und sieht den Brexit für die in Umfragen geschwächte SPD gleichzeitig auch als Ermutigung. Dafür, dass es am Ende doch anders kommen könnte, als gedacht.
"Die Umfragen haben auch gesagt, dass Trump nicht gewinnt und dass wir nicht aus der EU aussteigen. Insofern: Ich halte da gar nichts von."
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