Sparmaßnahmen

Europas Armeen müssen enger kooperieren

An dem niederländischen Marineschiff "Karel Doorman" findet am 14.03.2016 in Warnemünde (Mecklenburg-Vorpommern) eine gemeinsame Übung von niederländischen und deutschen Marinesoldaten statt. Der Besuch der «Karel Doorman» gehört zum Ausbau der maritimen Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Deutschland.
Übung von niederländischen und deutschen Marinesoldaten. © picture alliance / Bernd Wüstneck
Von Peter Marx · 25.04.2016
Die Landesverteidigung zählt zu den wichtigsten hoheitlichen Aufgaben jedes Landes, trotzdem arbeiten Europas Militärkräfte immer stärker zusammen. Die Kooperationen sind weniger politisch gewollt als finanziell notwendig.
Langsam schält sich das graue Schiff aus dem Dunst und nähert sich, unterstützt von Schleppern, dem Anlegeplatz an der Warnemünder Hafenkante. Hier, wo sonst tausende Touristen die Kreuzfahrtschiffe begrüßen oder verabschieden, warten heute deutsche Soldaten und Panzerfahrzeuge des Seebataillons aus Eckernförde. Spring, Vor- und Achterleinen der Karel Doormann werden festgemacht. Am Heck weht die niederländische Flagge im Wind. Dieses Kriegsschiff teilen sich künftig deutsche und niederländische Marine, was einmalig ist. Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause findet das die logische Fortschreibung der bisherigen Zusammenarbeit:
"Die Kooperation zwischen deutscher und niederländischer Marine hat eine lange Tradition. Wir sind befreundete Marinen die sehr eng miteinander arbeiten. In diesem Bereich, der gesicherten militärischen Seetransport-Verlegefähigkeit oder Einstieg in amphibische Fähigkeiten betreten wir als Deutsche Marine Neuland. Die holländische Marine ist dort sehr erfahren. Das ist Amphibie letztendlich. Es geht also darum, dass man mit einem Schiff, mit einem Kriegsschiff Menschen, Material, Hilfsgüter, was auch immer man transportieren möchte, an einen anderen Ort bringen kann."

Bundeswehr ist eng vernetzt

Leopard-Panzer des Heeres rasen über das Manövergelände bei Münster in Westfalen, schießen ohne zu stoppen, durchqueren Flüsse oder verstecken sich hinter Erdhügeln: Die Kommandos kommen über Funk auf Englisch und Deutsch, die Antworten sind ein Mischmasch aus Holländisc h, Deutsch und Englisch. Die Verständigung klappt trotzdem. Im Panzer sitzen niederländische Soldaten des gemeinschaftlichen Deutsch-niederländischen Panzerbataillons 414. Das neue Bataillon gehört zur 43. Niederländischen Brigade und die wiederrum zur 1. Deutschen Panzerdivision. Kurz gesagt: Die Niederlande haben inzwischen große Teile ihres Heeres direkt der deutschen Militärführung unterstellt, was ebenfalls einmalig ist. Generalmayor Leo Beulen, stellvertretender Kommandeur des Deutsch-Niederländischen Korps bezeichnet diese Entwicklung als "völlig normal" und geht davon aus, dass die Zusammenarbeit beider Armeen noch intensiver wird:
"Ich muss mal eine kleine Geschichte erzählen. Vor 20 Jahren, wir bestehen jetzt schon seit 20 Jahren mit dem deutsch-niederländischen Korps hier in Münster, wo wir in den letzten Jahren auch noch andere Nationen dabei haben. Wir haben jetzt 12 Nationen. Aber der Anfang, 1995. Wenn man da zusammenkam, dann schaute man erstmal nach den Unterschieden. Und jetzt nach 20 Jahren, seit ich jetzt wieder hier arbeite, sieht man, dass die Unterschiede nicht mehr so wichtig sind. Dann sieht man mehr nach den Übereinstimmungen wie man zusammenarbeiten kann."
Oberleutnant Walid drängt seine Soldaten zur Eile. Während der Übung des Eurocorps auf dem Militärgelände bei Straßburg müssen sie einen Gefechtsstand für 500 Soldaten aus 61 Zelten zusammenstellen und mit Computern, Heizgeräten und Schreibtischen ausstatten. Der stellvertretende Kompaniechef kam vor zwei Jahren ins Hauptquartier des Eurokorps und ist seither von der Zusammenarbeit mit Soldaten anderer Nationen positiv überrascht:
"Wir haben spanische Kameraden in der Kompanie, polnische, deutsche, belgische und französische und die Dienstgrade sind bei allen gleich. Wir haben das Nato-Standardisiert. Ich bin nicht mehr der Oberleutnant sondern offiziell OF 1, Offizier 1 und das gilt für alle und das haben alle verinnerlicht. Sobald ich einen Befehl gebe wird er von jedem einzelnen Soldaten sei es welcher Nation auch immer umgesetzt."
Die Beispiele lassen sich beliebig erweitern: Kaum eine Armee ist so stark mit anderen europäischen Militärkräften vernetzt wie die Bundeswehr. Das Deutsch-Polnische Korps, das Deutsch-Niederländische Korps, das Eurokorps sind dabei gemeinsame militärische Großverbände, denen sich inzwischen immer mehr Nato-Staaten anschließen, wie es Generalleutnant Alfredo Ramirez Fernandez erläutert. Der spanische Drei-Sterne-General ist Kommandeur des Eurocorps in Straßburg:
"Im Korps haben wir fünf Rahmennationen. Das sind Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und Spanien. Und dann die assoziierten Nationen sind Polen, Griechenland, die Türkei und Italien. Ok, es ist schwierig die unterschiedlichen Mentalitäten unter einen Hut zu bekommen."

"Es gibt keinen wirklichen Überbau"

Die unterschiedlichen Mentalitäten spielen für Agnieszka Brugger bei der politischen Betrachtung der militärischen Kooperationen keine Rolle. Für die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen reicht die bisherige Zusammenarbeit aber nicht aus:
"Es gibt sehr gute und tolle Kooperationsprojekte der Bundeswehr, auch mit den Niederländern, Franzosen, Polen und auch mit den Tschechen ist einiges angedacht. Das sind sicherlich sehr schöne Modellprojekte der Zusammenarbeit und auch der geliebten europäischen Integration. Aber sie entstehen oft eher aus einer Notwendigkeit, weil Staaten bestimmte Fähigkeiten abbauen und dann feststellen sie können sie gar nicht weiter betreiben. Und es gibt keinen wirklichen Überbau, es gibt keine kluge, gemeinsame Definition von Zielen auf die man sich erst verständigen muss, wenn man dann über die Frage der Ausgestaltung der Instrumente spricht."
Die "schönen Modellprojekte" von denen die Bundestagsabgeordnete Brugger spricht haben aus ihrer Sicht nur einen Haken: Die Kooperationen sind nicht dem europäischen Gedanken geschuldet sondern der Finanznot. Jede Armee in West-Europa wurde in den letzten Jahren finanziell gerupft und mit einem - Stichwort Friedensdividende – Minimaletat ausgestattet. Und das bei gleichzeitig steigender Anzahl von internationalen Militäreinsätzen. Für Oberstleutnant Hartmann vom Eurocorps hat die Diskussion über eine europäische Armee allerdings nicht viel Wert, wenn militärischen Kooperationen ausschließlich über den finanziellen Aspekt bewertet werden:
"Denn ob man da wirklich Geld spart, vor allem kurzfristig Geld spart das wage ich zu bezweifeln. Wir fahren sehr oft, sehr schnell Renditen ein, ohne sie eigentlich wirklich zu haben. Denn anderen Aspekt, dass wir in Europa gemeinsam eine schlagkräftige Streitmacht bilden sollten ist davon völlig unberührt. Das halte ich für sinnvoll, dass wir unsere Kräfte und Ressourcen bündeln und damit was Ordentliches auf die Beine stellen. Aber gleich zu sagen, aber dabei sparen wir Geld halte ich für einen Fehler."
Der Kommandeur des Eurocorps, Generalleutnant Fernandez sieht dagegen in der Spar-Diskussion überhaupt nichts Nachteiliges:
"Kann sein, kann sein. Sie erzählen einem Junge von zehn Jahren heute von Mark, Pesetas oder Franc. Er wird sie nicht verstehen. Und er wird fragen? Was ist das, denn er kennt nur Euro. So ist das auch bei uns. Wir konnten uns den Euro vor fünfzig Jahren auch nicht vorstellen. Und so ähnlich wird es auch mit der europäischen Armee sein. Es könnte also sein, das jemand in 20, 30, 50 Jahren erzählt. Jedes Land in Europa hatte eine eigene Armee. Und jemand anders wird antworten: Das glaube ich nicht. Wir haben doch eine europäische Armee. Könnte sein, dass die Diskussion so verläuft."
Die Karel Doormann ist kein schönes Schiff: Hohe Aufbauten auf dem Vordeck, dahinter folgt nahtlos das Landedeck auf dem bis zu sechs Hubschrauber Platz haben. Darunter - in einem Zwischendeck - können zusätzlich bis zu 5000 Tonnen Fahrzeuge und Material untergebracht werden. Neben der normalen Besatzung von 129 Mann ist noch Platz für weitere 171 Soldaten auf dem Schiff. Über eine Rampe fahren deutsche Soldaten ihre gepanzerten Fahrzeuge ins Schiffsinnere.

Peinlicher Auftritt der GSG-Elitepolizisten in Kenia

Die Doormann ist in der Fachsprache ein "Joint logistic support ship" mit 200 Meter Länge, 30 Meter Breite und einer Verdrängung von 17 200 Tonnen. Es ist ein Schiff von dem die deutsche Admiralität seit fast 30 Jahren träumt, aber den Bau nie vom Parlament bewilligt bekam. Ein großer Befürworter für diese Art von Schiffen, die Tanker, Transporter, Lazarett und Hauptquartier gleichzeitig sind, war der ehemalige Generalinspekteur Klaus Naumann.
Seither werden die Supportschiffe von deutschen Verteidigungspolitikern als "Naumann-Archen" verspottet.
"Allerdings! Hätte die Marine vor sieben Jahren über so ein Schiff verfügt wäre der Auftritt der GSG –Elitepolizisten in Kenia nicht so peinlich verlaufen."
Im Frühjahr 2009 wurden 200 GSG-9-Elitepolizisten und sechs Hubschrauber nach Kenia transportiert um den von Piraten entführten deutschen Frachter "Hansa Stavanger" zu stürmen. Damals fehlte der Marine ein Schiff in dieser Größe. In der Not half die amerikanische Marine mit dem Hubschrauberträger Boxer aus.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre niederländische Kollegin unterzeichneten eine Vereinbarung zur engeren Kooperation der Streitkräfte.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre niederländische Kollegin unterzeichneten eine Vereinbarung zur engeren Kooperation der Streitkräfte.© picture alliance / dpa - Evert-Jan Daniels
Das soll nun künftig verhindert werden. Wenn die Deutschen ein Support-Schiff für Krisen-, Kriegs- oder Katastrophen-Einsätze benötigen, wollen die Niederländer die Doormann künftig zur Verfügung stellen. So steht es jedenfalls in einem "Letter of Intent", den die beiden Verteidigungsministerinnen Jeanine Hennis-Plasschaert und Ursula von der Leyen am 4. Februar in Amsterdam unterschrieben haben.
"Wir legen heute zugleich einen weiteren Grundstein für ein außergewöhnliches Pilotprojekt, einen Leuchtturm innerhalb der maritimen Kooperation. Wir wollen nämlich dieses beeindruckende außergewöhnliche niederländische Schiff um deutsche Soldatinnen und Soldaten durch niederländische Soldatinnen und Soldaten ausblinden zu lassen. Wir werden dazu das Seebataillon der deutschen Marine in die niederländische intergieren. Beide zusammen werden das niederländische Schiff gemeinsam nutzen.
Es ist ein Zeichen des Vertrauens, dass wir so tief verzahnt Streitkräfte miteinander aufstellen. Dies ist ein Beispiel nicht nur unseres gemeinsamen Vertrauen sondern auch unseres Verständnisses wie unser gemeinsames Europa auf dem Feld der Streitkräfte auf dem Feld der Verteidigung aufgebaut werden kann, so dass wir gemeinsam Verantwortung übernehmen. In meinen Augen ist das ein Musterbeispiel für den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion, was wir heute erleben."

"Immer nur leere Absichtsbekundungen"

Die Ministerin liebt vollmundige Beschreibungen, Agnieszka Brugger, Mitglied der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestages, dagegen nicht:
"Ich habe es langsam satt, immer nur leere Absichtsbekundungen zu hören und den nächsten Letter of Intent zu sehen Und dann stellt man doch wieder fest in der Praxis gibt es große Hürden und es mangelt am politischen Willen um wirklich eine gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik auf den Weg zu bringen."
Agnieszka Brugger von den Grünen
Agnieszka Brugger von den Grünen sieht zunächst mal kaum Chancen für eine gesamteuropäische Armee.© dpa / picture-alliance / Michael Kappeler
Die Interessen bei der geplanten Zusammenarbeit sind sehr unterschiedlich. Während die Deutschen ihre militärische Handlungsfähigkeit steigern und Erfahrungen mit Amphibienschiffen sammeln wollen, sind die Niederländer erst einmal am Geld der deutschen Marine interessiert. Denn das Schiff – Freundschaft hin – Nato-Mitgliedschaft her – gibt es nicht umsonst. Die niederländische Marine muss heute eisern sparen und verkaufte bereits seit 2004 sechs Kriegsschiffe um überhaupt finanziell noch handlungsfähig zu sein. Hinzu kommt ein Modernisierungsstau von mehreren Milliarden Euro. So sollte auch die Karel Doormann, immerhin das modernste Schiff der Niederländer, verkauft werden. Aber niemand fand sich bereit, die gewünschten 400 Millionen Euro – so hoch waren die Schiffsbaukosten, zu übernehmen.
So blieb Plan B – die Zusammenarbeit mit den Deutschen. Wer nun künftig entscheidet, welche Nationen zu welchem Zeitpunkt das Support-Schiff erhält und vor allem wie lange sind Fragen, die Fregattenkapitän Arne Krüger nur am Rande interessieren. Krüger ist zwar Kommandeur des Seebataillons, doch gefragt wird er dazu nicht. Er erfüllt Befehle.
"Letztendlich wird das auf der politischen Ebene gemacht. Das ist nicht meine Ebene. Was wir machen hier auf der Ebene Truppe ist, das wir im engen Kontakt mit den Holländern stehen, dass wir auf Arbeitsebene freundschaftlich und gut zusammenarbeiten. Die üben jetzt schon zusammen. D.h. Wir stehen auch regelmäßig in Kontakt mit den Kameraden, sprechen unsere Übungspläne ab, gehen an Bord des Schiffes, üben mit denen zusammen. Das findet regelmäßig statt. Die anderen Dinge, das sind politische Entscheidungen, die werden auf höherer Ebene auch gefällt, wenn es darum geht Schiffe dann vertraglich in Anspruch zu nehmen usw."

Militärischer Chef des Eurocorps ist skeptisch

Im Seebataillon sind mit Ausnahme der Kampfschwimmer alle spezialisierten Marinekräfte vereinigt: Minentaucher, Boarding- und Aufklärungskompanie. Die 800 Frauen und Männer dieses Bataillons gelten als deutsche Marine-Infanterie. Im Vergleich die niederländische Marine hat eine Marine-Infanterie-Brigade mit zirka 3000 Mann. In der Absichtserklärung – Letter of Intent – der Verteidigungsministerinnen ist auch geplant, dass das deutsche Seebataillon der holländischen Marine-Infanterie unterstellt wird. Weitergehende Pläne wonach das gesamte deutsche Bataillon etwa in holländische Kasernen einrückt, sieht der Kommandeur nicht:
"Es geht zunächst einmal um den Austausch von Personal. Das wir vielleicht Stabselemente austauschen, das wir hier einen Verbindungsoffizier haben auch im Verband. Das sind alles Ziele, die wir jetzt realisieren wollen. Und dann muss Ende 2017, 2018 entschieden werden, wie letztendlich die Integration des Seebataillons in die niederländische Marine konkret aussehen soll."
Neue Leo2-Panzer tauchen auf dem Manövergelände aus, bekämpfen Ziele am Horizont, zünden Nebengranaten. Hinter den Panzern bereiten sich Panzergrenadiere auf einen Angriff vor. Heute sind es polnische, gestern waren es spanische, morgen vielleicht belgische oder dänische Panzersoldaten. Der Drill und die Angriffsvarianten sind Nato-Standards, ganz gleich aus welchem Land die Uniformierten kommen. Trotzdem bleibt General Fernandez, militärischer Chef des Eurocorps, skeptisch:
"Oh ja, ein Soldat ist ein Soldat. Aber es gibt immer verschiedene Lösungsansätze, um die Probleme zu lösen. Grundsätzlich lässt sich sagen, was für einen Deutschen klar ist, muss nicht unbedingt für einen Spanier oder Belgier klar sein. Ich will nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber multinational ist schwierig. Ich meine für uns. Wir folgen der Nato-Doktrin und den Verfahren der Nato. Und für uns ist das ausreichend. Ausreichend genug um zu verstehen, innerhalb des Hauptquartiers und um uns mit der Nato-Gemeinschaft verständlich zu machen. Wir sind gerne bereit den Nato-Verfahren zu folgen."
Aus der Sicht des niederländischen Generalleutnant Leo Beulen steckt sehr viel Augenwischerei in der Diskussion über gemeinsame Kooperationen und einer gemeinsamen europäischen Armee:
"Finanzielle Gründe haben damit etwas zu tun. Das ist so. Wenn jedes Land genügend Geld hätte das ganz alleine zu machen. Und ich weiß nicht, ob man das dann versuchen würde. Man sieht immer mehr, das eigentlich keine einzige Operation ohne nationale Operationen oder nationale … Das man das zusammen macht. Und wenn man vorher weiß, wenn man das zusammen macht, dann ist es auch besser das zusammen zu üben. Man sieht eigentlich, dass die Zusammenarbeit, am besten wächst, wenn das button up und nicht wenn das top down aufgetragen wird."
Lächelnd fügt er noch hinzu, was er unter Zusammenarbeit oder Kooperation versteht:
"Wir nennen das eigentlich Mission Command. Die Leitung sagt, was wir erreichen wollen und nicht wie wir das erreichen wollen. Das ist dann bei den Leuten, an die wir den Auftrag geben, dass zu entscheiden. Aber man sieht auch kleine Unterschiede. Wir nennen das im deutsch-niederländischen Korps immer: Wir machen die Kombination der der deutschen Planungsfähigkeit mit dem niederländischen, wie sagt man das, Pragmatismus. Und das mit einer kleinen internationalen Soße der anderen Länder zusammen. Da sind wir eigentlich ganz zufrieden, was das uns bringt."

Probleme mit Reisekosten

Beim Thema europäische Armee wird Oberstleutnant Reinhold Hartmann vom Straßburger Eurokorps leicht zickig. Denn der Alltag macht ihn immer wieder deutlich, was noch alles fehlt um überhaupt die Voraussetzungen für eine europäische Armee zu schaffen. Ihm geht’s um die ausufernde Bürokratie:
"Das Eurocorps hat für verschiedene Modelle Charakter. Es ist aber auf einem halben Wege. Den Modellcharakter hat es für mich darin, dass wir militärische Aufgaben gemeinsam lösen. Der halbe Weg ist für mich, dass wir noch viel zu viele nationale Einflüsse haben, die sehr viel Aufwand hier im Betrieb bedeuten. Um das an einem Beispiel zu nennen. Nicht nur das jeder Soldat seine nationale Uniform und sein nationales Gehalt bekommt. Das ist relativ problemlos. Aber jeder von uns unterliegt den nationalen Soldatengesetzen, jeder unterliegt nationalen Regelungen wie Dienstzeit, wie Aufwandsentschädigungen, wie Reisekosten, wie Trennungsgeld, wie Kosten für Verpflegung. Und das macht es unheimlich schwierig im Betrieb Dinge administrativ zu regeln."
Hartmann, nun in Fahrt, zeigt auf einen Stapel Reisekostenabrechnungen auf seinem Schreibtisch, die ihm vermutlich mehr Kopfzerbrechen bereiten als feindliche Panzer vor dem Kasernentor:
"Da das Eurocorps zwar ein multinationales Budget hat aus dem wir alles bezahlen können läuft einiges sehr gut. Da wir aber noch immer einen ganzen Anteil haben der national bezahlt wird, z. B. Reisekosten, ergeben sich daraus Probleme. Wenn ein kleines Team beispielsweise zu einer Dienstreise muss, dann schicken wir im Regelfall ein multinationales Team hin. Und es kann nicht sein, dass dieses Team nur oder aus den Nationen besteht die zufällig noch Geld im Reisekostentitel haben und die anderen Nationen die aus welchen Gründen auch immer keine Haushaltsmittel zur Verfügung haben, daran nicht teilnehmen können."
Der stellvertretende Brigadechef im Eurocorps stemmt sich zwar vehement gegen den Eindruck im Eurocorps gebe es arme Soldaten und Deluxe-Soldaten. Der Kompromiss liegt für ihn auch nicht in der Formulierung "Zwei- Klassen Armee"
"Soweit würde ich nicht gehen. Sicherlich gibt es eine Armee die in einem Jahr mal etwas mehr Mittel zur Verfügung hat als eine andere. Aber da würde ich einen grundsätzlichen Strich nicht ziehen. Aber es ist halt einfach so. Wir unterliegen den nationalen Zwängen und wenn eine Nation sagt für diesen Bereich habe ich keine Haushaltsmittel zur Verfügung, dann können wir mit den Soldaten aus dem Bereich den Auftrag nicht ausführen."
Die die nationalen Unterschiede im Eurocorps – sowas wie der Nukleus einer europäischen Armee - spüren die Soldaten in ihren Brieftaschen. So zahlt jede Nation ihren Soldaten einen unterschiedlich hohen Auslandssold. Manche Länder zahlen auch gar nichts. Trotzdem entsteht kein Ärger im Lager. Noch nicht!

Jede Nation hat spezielle Fähigkeiten

Die deutschen Soldaten im Eurocorps werden wie alle anderen ausländischen Soldaten auch am französischen Sturmgewehr, Typ Famas, ausgebildet – die Standardwaffe der französischen Armee. Und wenn sie ihnen fremde Laster fahren wollen, brauchen sie einen Extra-Führerschein.
"Wir haben hier spezielle Fähigkeiten, weil Nationen uns spezielle Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Jetzt nenne ich ein Beispiel. Die Polen haben uns ganz hervorragende Lkws geschickt. Natürlich ist das das Rückgrat unserer Transportkapazität. Von da her greife ich natürlich auf die zurück."
Das klingt gut und funktioniert im Alltag. Aber nur da. Das Horror-Szenario des Eurocorps sieht folgendermaßen aus: Das Corps erhält einen Einsatzbefehl, alle Nationen – bis auf die Nation, von der die Lastwagen für das Korps kommen, macht nicht mit. Ergebnis: Die Soldaten bleiben in der Kaserne oder müssen Taxis nehmen, um zum nächsten Flughafen zu kommen. Was anderes ist nicht vorgesehen. Aus der Sicht von Agnieszka Brugger ein weiteres Beispiel dafür, dass …
"…die Staaten versuchen dann doch immer ihre nationalen Egoismen zu folgen und das sieht man aus meiner Sicht im Beschaffungsbereich, wo eine internationale Zusammenarbeit dringend notwendig wär, aber dann doch die eigenen nationalen industriepolitischen Interessen immer wieder Ausschlag geben, das europäische Projekte nicht zustande kommen oder gar nicht funktionieren sogar wenn sie zustande kommen."
Vom Warnemünder Hafenrand aus beobachtet Vizeadmiral Andreas Krause das Manöver rund um die Karel Doormann. Für die Marine, sagt er, sind internationale Kooperationen Alltagsgeschäft und verweist auf die gemeinsamen europäischen Marine-Verbände die Minen in der Ostsee aufspüren, Frachtschiffe vor somalischen Piraten schützen, den Schiffsverkehr im Mittelmeer überwachen usw. Krause sieht dabei die Marine weit vor Heer oder Luftwaffe. Dazu kommen noch die internationalen Ausbildungslehrgänge:
"Deutsche Einheiten werden in England gemeinsam multinational ausgebildet um dort ihre höchste Einsatzfähigkeit für das Gefecht zu erwerben. Und das machen wir schon seit vielen Jahrzehnten letztendlich. Will damit sagen: Multinationale Zusammenarbeit, Kooperation bis hin zu Integration sind Wesensteile von maritimen Operationen."
Und umgekehrt kommen englische, dänische, holländische und polnische Soldaten an die U-Boot-Schule in Eckenförde oder nach Neustadt zum Einsatzausbildungszentrum Schadensabwehr. Es sind die Top-Schulen der deutschen Marine mit internationalem Ruf.

"Da ist noch sehr viel Potential"

Aus diesem Grund hat das Marinekommando in Rostock zur engeren Zusammenarbeit der Ostsee-Anrainerstaaten aufgerufen. Seither treffen sich die Flottenchefs regelmäßig, wie es Vizeadmiral Rainer Brinkmann beschreibt:
"Dieses Treffen, das Zusammenziehen der Kräfte war motiviert durch drei Aspekte. Das eine war die Erkenntnis: Unsere Mittel sind so bescheiden, dass wir gut daran tun zu überlegen, wie wir uns gegenseitig helfen können. Das war das Eine. Das zweite Motiv war sicherlich die sicherheitspolitisch veränderte Lage in Folge der Ukraine-Krise. Haben wir da nicht auch zu reagieren. Und das dritte Motiv war: Einfach die Erkenntnis, dass wir nur partnerschaftlich die Probleme angehen können."
Brinkmann ist als Flottenchef für den Einsatz aller deutschen Kriegsschiffe verantwortlich. Im Zweifelsfalle auch für das niederländische Schiff, die Karel Doormann, wenn es im deutschen Auftrag unterwegs ist. Laut Absichtserklärung der beiden Verteidigungsministerinnen soll das Anfang 2018 der Fall sein.
Allerdings. Auch wenn der Eindruck erweckt wird hier werde ein gemeinsames Marine-Korps aufgestellt. Es geht nur um Kooperation und nicht um Integration. Zusätzlich fehlt ein gemeinsames Einsatzkonzept. Deshalb wird derzeit vom Marine-Kommando in Rostock als auch vom Verteidigungsministerium in Berlin der Ball flach gehalten. Militärische Landungsoperationen um feindliche Streitkräfte zu bekämpfen sind höchst unwahrscheinlich. Militärexperten schätzen, dass die Doormann höchstens für Evakuierungsmissionen verwendet wird. Vorausgesetzt- es wird politisch gewünscht von der deutschen wie von der niederländischen Seite.
"Es wäre an der Zeit, dass man sich auf gemeinsame Ziele und gemeinsame Punkte verständigt. Parlamentsbeteiligung ist natürlich aus deutscher Sicht ein sehr wichtiges Thema, was sehr unterschiedlich in den europäischen Staaten gehandhabt wird. Man muss all diese Themen bearbeiten und dazu auf ein gemeinsames Verständnis kommen. Dann muss man sich darüber unterhalten wie eben die riesigen Synergie-Potentiale und Abrüstungspotentiale, die es natürlich in Europa gibt auch sinnvoll ausgestaltet werden können. Gerade in den Bereichen Beschaffung, Ausbildung, Logistik kann man viel stärker zusammen arbeiten. Und da ist noch sehr viel Potential."

Wer trifft an Bord die letzte Entscheidung?

"Parlamentsbeteiligung!" Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion spricht das vermeintliche Unwort aus, weil es in der Absichtserklärung über die neue deutsch-niederländische Kooperation weitestgehend ausgeklammert worden ist. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wer entscheidet über die Einsätze. In Deutschland muss das Parlament einem militärischen Einsatz zustimmen; in den Niederlanden hat das Parlament nur das Recht, über Einsätze informiert zu werden. Somit sind Verzögerungen und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Partnern vorprogrammiert, wenn gemeinsame Entscheidungen anstehen, ob und wie man eine Militärmission durchführt.
Und! Wer trifft an Bord die letzte Entscheidung: der niederländische Kapitän oder der miteingeschiffte deutsche Admiral? Weiter! Welche Einsatzregeln gelten: die deutschen oder die der Holländern? Fragen auf die es bislang keine Antworten gibt.
Kritiker werfen Ministerium und Marinekommando vor, dass ein Schiff alleine nicht wirklich hilft. Sollte die Karel Doormann wegen Motorschaden in die Werft müssen – was aktuell gerade eingetreten ist – und das Schiff mindestens acht Monate nicht zur Verfügung steht, dann haben sich alle amphibischen Optionen erledigt. Außer die deutsche Marine hat Zugriff auf weitere niederländische Schiffe, was so bislang nicht festgeschrieben ist.
Ob der niederländische General Beulen in Münster, sein spanischer Kollege Fernandez in Straßburg oder der deutsche Vizeadmiral Brinkmann in Rostock: Europäische Armee, Europäische Marine oder europäische Luftwaffe – diese Schlagworte werden derzeit von hohen Militärs als auch von Sicherheitspolitikern skeptisch beurteilt. Wobei man den Eindruck hat, dass hohe Offiziere grundsätzlich nichts gegen ein gemeinschaftliches europäisches Militär hätten. Nur ihre täglichen Erfahrungen mit Politikern, Wirtschaftsvertretern und Militärangehörigen anderer Nationen haben ihre Zweifel am Traum "Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik" mehr gestärkt statt zerstreut.
Zunächst Generalleutnant Fernandez:
"Also, wir glauben, oder ich glaube, es wird nicht in der Hand es Militärs liegen. Es wird in der Hand der Politiker liegen. Wenn die Politiker eines Tages sagen: Wir wollen, wir stehen für eine europäische Armee. Dann bin ich mir sicher, dass wir bald eine europäische Armee haben werden. Die Politiker. Aber alle Politiker zusammen müssen es wollen. Was nicht immer einfach ist."
Vizeadmiral Rainer Brinkmann
"Wir sollten von der europäischen Vision nicht Abstand nehmen, wobei ich eine gehörige Skepsis auch mitbringe wie weit wir in der gegenwärtigen Situation schon kommen können."

Verständnis für die Skepsis der Offiziere

Generalleutnant Leo Beulen jetzt neuer Inspekteur des niederländischen Heeres und damit einer der höchsten Offiziere des Landes. Er legt Wert darauf zwischen Nato und europäischer Armee zu unterscheiden.
"All die Korps sind High-Reaction-Korps der Nato und auch die anderen Bestandteile der Korps werden von Nato geführt. Dass was man da sieht ist nicht eine europäische Armee, das ist immer noch Nato. Nein, das ist europäische Teilnahme an Nato, wie seit 50, 60 Jahren schon. Und das ist eine Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika. Das widerspricht sich nicht. Aber es ist was anderes, wenn man denkt, dass man übermorgen eine europäische Armee hat."
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Agnieszka Brugger versteht die Skepsis der Offiziere. Aus ihrer Sicht sind das alles Versäumnisse der europäischen Staaten. Und solange die nicht beseitigt sind, sieht die Abgeordnete auch kaum Chancen für eine gesamteuropäische Armee:
"Und deshalb glaube ich eine Vorstellung dass alles singulär und punktuell von unten wachsen wird, wird am Ende dazu führen dass eine europäische Armee und eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik nur schwer funktionieren kann."
Die Panzer sind längst wieder auf den Kasernenhöfe und werden von den Besatzungen gesäubert. Am Kreuzfahrt-Kai verlässt die Karel Doormann nach erfolgreichen Lademanövern den Hafen und verschwindet langsam am Horizont der Warnemünder Bucht.
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