Spaghetti, Kaninchen, Mortadella

19.04.2012
Nach der Veröffentlichung von "Das Ende" in den USA wurde Salvatore Scibona mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sein Debütroman liefert ein vielschichtiges Porträt der italo-amerikanischen Wirklichkeit und knüpft an die großen erzählerischen Traditionen der Moderne an.
Es ist eine uramerikanische Geschichte, aber die Sache könnte sich ebenso gut in Italien zutragen. Genau darin liegt der Clou. Sämtliche Akteure haben uritalienische Namen und heißen Rocco, Carmelina Montanero, Enzo Mazzone oder Costanza Marini, stammen von der sizilianischen Küste, aus kalabresischen Dörfern oder Kleinstädten aus dem Latium, sprechen ihren regionalen Dialekt, doch leben seit den 10er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Cleveland/Ohio und bevölkern seither die Straßen am Elephant Park.

Hier geht es mindestens ebenso italienisch zu wie in der Heimat. Die Familien sind groß, auf den Tisch kommen Spaghetti, Kaninchen oder Mortadella, und der wichtigste Feiertag ist ferragosto, Mariä Himmelfahrt am 15. August.

Salvatore Scibona, 1975 in Cleveland geboren, vom "New Yorker" als vielversprechender Nachwuchsautor gekürt, ist in einer italienischen Community aufgewachsen, die sich ihre Eigenarten bis in die achtziger Jahre bewahrt haben muss. In seinem Debüt "Das Ende" legt er ein vielschichtiges Porträt der italo-amerikanischen Wirklichkeit vor und knüpft an die großen erzählerischen Traditionen der Moderne an.

Bewusstseinsströme bestimmen seinen Rhythmus, Reminiszenzen an Faulkner, Woolf oder Joyce klingen an, er schlüpft von einer Figur in die nächste und leuchtet virtuos ihre Innenwelten aus. Die Chronologie der Geschehnisse ist aufgelöst und muss vom Leser geschaffen werden. Scibona verfällt weder in Pizza-Mandoline-O-Sole-mio-Folklore, noch greift er auf das überstrapazierte Schema der Familiensaga zurück, noch entscheidet er sich für das schmissige Mafiagenre. Sein dickleibiger Roman setzt am 15. August 1953 ein.

Der Feiertag bündelt sämtliche Erzählstränge, die bis nach Italien ins Jahr 1873 zurückreichen und den Alltag, in den 50er-Jahre ebenso zum Gegenstand haben wie die Prohibitionszeit und die Jahrhundertwende. Geschickt inszeniert Scibona eine Art Cluster, bei dem kapitelweise seine Hauptfiguren in den Blick geraten und immer wieder in innere Monologe gleiten. Der erste ist der Bäcker Rocco, eine armselige Existenz, Vater dreier Söhne, für die er täglich um vier Uhr früh aufstand und ganz Elephant Park mit Brot, Brötchen, Kuchen versorgte.

Aber Frau und Kinder kamen ihm irgendwann abhanden. An jenem glühend heißen 15. August erreicht Rocco nun die Nachricht, dass sein mittlerer Sohn in Korea gefallen sei. Bevor er seine Autofahrt zur Beerdigung gen Norden antritt, ist er zu Gast bei der 93-jährigen, wohlhabenden Witwe Costanza Merini. Als Engelmacherin ist sie das geheime Zentrum die Frauenwelt. Die belesene Witwe, die nicht aus Not, sondern wegen eines Mannes Italien verließ, verkörpert das Bindeglied zur Neuen Welt.

Das Gewebe der Geschichten wird immer dichter, die Schicksalsfäden überkreuzen sich. Costanza Merini will ihre Künste weitergeben, und am Ende gelingt ihr das auch. Dass der Roman seine Spannkraft meistens beibehält, liegt vor allem an der farbenprächtigen Sprache. Von Steffen Jacobs fantasievoll ins Deutsche übertragen, entsteht ein Chor aus lauter Stimmen.

Besprochen von Maike Albath

Salvatore Scibona: Das Ende
Aus dem Amerikanischen von Steffen Jacobs
Arche Verlag Zürich - Hamburg 2012
350 Seiten, 22, 95 Euro