Späte Rache

Von Jörg Taszmann · 30.04.2007
Als kleines Kind hat Mélanie beim Vorspielen gepatzt, weil die bekannte Pianistin Ariane Fouchécourt währenddessen einer Verehrerin ein Autogramm gab und sie aus dem Konzept brachte. Jahre später schleicht sich Mélanie als Kindermädchen bei Familie Fouchécourt ein und übt subtil ihre Rache. Der französische Regisseur Denis Dercourt inszeniert Mélanies Rachefeldzug wie einen spannenden Thriller.
Es ist die Geschichte einer Rache. Als kleines Kind hat Mélanie beim Vorspielen gepatzt, weil die bekannte Pianistin Ariane Fouchécourt sich mitten in der Prüfung zum Konservatorium dazu hinreißen ließ, einer aufdringlichen Verehrerin ein Autogramm zu geben. Das ehrgeizige Mädchen bricht daraufhin voller Wut den Klavierunterricht ab. Nun 20-jährig und mit dem Gesicht eines blonden Engels, gelingt es Mélanie, sich als Kindermädchen bei der Familie beliebt zu machen und der bekannten Pianistin, die nach einem Unfall an sich selbst zweifelt, während wichtiger Auftritte die Seiten umzublättern.

Geschickt versteht es der Musiker und Regisseur Denis Dercourt, subtil Spannung aufzubauen. Es sind Blicke, kleine Gesten, und kaum merkliche Taten, die während des gesamten Films eine behaglich-unbehagliche Stimmung erzeugen. In den Hauptrollen sieht man Déborah Francois, bekannt aus dem Film "Das Kind", und als Pianistin Ariane Catherine Frot, die in Frankreich seit Jahren zu den bekanntesten Darstellerinnen gehört. Was gefiel Catherine Frot besonders an der Rolle?

"Es war einfach ein Gefühl, das mich angesprochen hat. Außerdem machte es Spaß, wieder einmal Klavier zu spielen. Die Melancholie dieser Frau, und dass sie einmal etwas war, was sie nicht mehr ist - das interessierte mich. Dass sie ihr sicheres Händchen verliert, und das bei einer Pianistin. Sie hat zuviel Angst. Das ist mehr als nur Lampenfieber, sie hat etwas in sich drin verloren. Das fand ich spannend."

Regisseur Denis Dercourt hat nicht nur jahrelang als Solo-Bratschist gearbeitet, sondern seit über zehn Jahren auch einen Lehrauftrag für Bratsche und Kammermusik am Conservatoire National in Strasbourg. Die Musik für seinen Film komponierte er selber. Er gibt zu, vor allem am Schreiben eines Filmes und beim Schnitt die meiste Freude zu haben, weniger beim Drehen. So war die Stimmung am Set hochkonzentriert und sehr gespannt. Ließ er bei aller Präzision auch zu, dass die Schauspieler noch Dialoge oder andere Dinge am Drehbuch verändern?

"Ich denke, das Drehbuch war schon sehr präzise, aber ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn, wie in diesem Fall, eine Schauspielerin etwas an dem Buch ändert. Catherine hat wohl Recht, wenn sie sagt, das Wichtigste ist das Leben. Ich neige dazu, etwas abstrakte Filme zu drehen, denen es vielleicht ein bisschen an Leben mangelt. Und so bat ich Catherine bereits bei unserem ersten gemeinsamen Gespräch darum, der Figur viel Lebendigkeit zu lassen, weil Catherine auch als Mensch sehr lebendig ist. Wenn das Leben in einem Schauspieler etwas anderes ausdrücken möchte, dann muss man das zulassen. Die Rolle hat immer Recht."

Catherine Frot ist vielleicht in Deutschland nicht so bekannt wie in Frankreich, allerdings hat man sie in letzter Zeit öfter in Filmen wie "Boudu" oder "Zwei ungleiche Schwestern" an der Seite von Isabelle Huppert gesehen. Beim Interview ist sie sehr natürlich und macht überhaupt nie auf Star. Im Gegensatz zu vielen Rollen- sie ist vor allem als Komödiantin in Frankreich populär geworden - wirkt sie fast zurückhaltend. Mag sie es überhaupt, sich auf der Leinwand zu sehen?

"Das kommt darauf an. Ich habe keine Angst, mich wiederzusehen, aber ich mache es einfach nicht. Ich schaue mir meine früheren Filme nicht an. Wenn ich jedoch zufällig Fotos sehe oder so, stört mich das nicht. Als ich noch Anfängerin war, ja, da hasste ich es, mich zu sehen. Ich fand mich unmöglich. So gesehen habe ich gelernt, mich zu akzeptieren."
"La Tourneuse des Pages" wie der Film im französischen Original heißt, feierte vor einem Jahr beim Filmfestival in Cannes in der Nebensektion "Un certain regard" seine Premiere und kam in Frankreich im besucherschwachen Monat August in die Kinos. Dennoch sahen den Film nach guten Kritiken über 700.000 Zuschauer: ein Erfolg für den Regisseur, dessen bisherige vier Filme viel weniger Beachtung fanden.

Denis Dercourt: "In Frankreich hatte der Film genau soviel Erfolg in den Programmkinos wie in den Multiplexen. Ich glaube wirklich, dass Kino in seinem Ursprung eine volkstümliche Kunst ist. Als wir Kinder waren, da haben uns die großen populären, amerikanischen Unterhaltungsfilme so begeistert mit den großen Stars. Heute mag ich auch Tarkowskij, aber als Kind mochte ich ihn nicht. Ich bin wirklich davon überzeugt, der Ursprung des Kinos liegt in seiner Volkstümlichkeit. Und dass mein Film beim Publikum so gut ankommt, hat mich sehr bewegt."