Space is the place

Der Sonnengott des Jazz

Cover des Re-Issue-Albums "Jazz in Silhouette" und "Sound Sun" von Sun Ra Arkestra
Cover des Re-Issue-Albums "Jazz in Silhouette" und "Sound Sun" von Sun Ra Arkestra © Gambit Records
Von Ralf bei der Kellen · 22.05.2014
Er behauptete, er stamme vom Saturn. Auch wenn viele Sun Ra als durchgeknallten Spinner belächelten, seine Musik, die er mit seinem "Arkestra" entwickelte, beeinflusst heute noch viele Musiker.
22. Mai 1914: In Birmingham, Alabama erblickt der Afroamerikaner Hermann Poole Blount das Licht der Welt. Wäre es bei diesem Namen geblieben, wäre die Jazzwelt heute um ihre vielleicht schillerndste Figur ärmer. Denn aus dem jungen Hermann wird nicht nur ein begabter Jazz-Pianist, sondern bald auch "Sonny" und schließlich – in Anlehnung an den ägyptischen Sonnengott – "Sun Ra".
Als er in den 1950er-Jahren seine ersten LPs veröffentlicht, scheiden sich die Geister: Sein mehr als ungewöhnlicher Stil als Arrangeur und Bandleader, seine frühen Experimente mit Vorläufern des Synthesizers und nicht zuletzt seine Behauptung, er stamme vom Saturn, bringen ihm bei vielen Jazzkritikern den Ruf eines Scharlatans ein.
Seiner Band gibt er den Namen "Arkestra", geprobt wird täglich, oft zwischen 10 und 14 Stunden. Nachts komponiert er, kommt mit einem Minimum an Schlaf aus. Trotz seines eher autoritären Führungsstils lässt er seinen Musikern viel Raum für Improvisation. Und viele spielen nur mit ihm, Saxofonist John Gilmore zum Beispiel bleibt über 40 Jahre bis zu seinem Tod exklusives Mitglied des Arkestra.
1961 zieht die Gruppe von Chicago nach New York. Sun Ra nimmt seine Musik selber auf und veröffentlicht sie immer häufiger in Kleinstauflagen auf seinem eigenen Label "El Saturn Records".
1969 erscheint er als Ikone der US-amerikanischen Counterculture auf dem Cover des "Rolling Stone". 1970 spielt er auf den Donaueschinger Musiktagen, 1971 tourt er mit dem Arkestra durch Ägypten und spielt vor den Pyramiden.
Flucht in den Weltraum vor dem alltäglichen Rassismus
Viel ist darüber spekuliert worden, wie Hermann Poole Blount zu Sun Ra wurde. Nach eigenen Aussagen hatte er bereits Mitte der 30er-Jahre Kontakt zu Bewohnern des Saturns. Andere glauben, dass seine Kriegsdienstverweigerung 1942 und der darauf folgende Gefängnisaufenthalt ihn so schwer traumatisiert hatten, dass er sich zunehmend von der Welt abwandte. Vielleicht flüchtete Sun Ra vor dem tagtäglichen Rassismus in den USA auf den Saturn.
"I am from another dimension, I don't call my self a man, I call myslf an angle."
("Ich stamme aus einer anderen Dimension, ich bezeichne mich nicht als Mensch, sondern als Engel.")
Was vielen als esoterische Schrulligkeit erschien, hatte auch einen politischen Hintergrund: Denn bei Sun Ra waren solche Aussagen auch als Kommentare zur Situation der Afroamerikaner in den USA zu verstehen. In dem 1972 gedrehten Spielfilm "Space Is The Place" wird Sun Ra expliziter, wenn er seinem schwarzen Gegenüber erklärt:
"I'm not real, I'm just like you – you don't exist in this society. If you did, your people wouldn't be seeking equal rights. You're not real – if you were, you'd have some status among the nations of the world. So we're both myths. I do not come to you as a reality, I come to you as the myth. Because that's what black people are – myths."
("Ich bin nicht real, ich bin wie Du – Du existierst in dieser Gesellschaft nicht. Wenn Du es tätest, würde Dein Volk nicht für Gleichberechtigung kämpfen. Ihr existiert nicht – wenn ihr es tätet, hättet ihr einen Status unter den Völkern dieser Welt. Also sind wir beide – Mythen. I komme zu Dir nicht als Realität, ich komme zu Dir als Mythos. Denn das ist es, was die schwarzen Menschen sind – ein Mythos.")
Als Sun Ra 1993 im Alter von 79 Jahren stirbt, lässt er ein großes Vermächtnis auf diesem Planeten zurück: neben den über 100 zu Lebzeiten veröffentlichten Alben, denen heute fast monatlich erscheinende Archivaufnahmen folgen, vor allem seine Big Band, das "Arkestra", das weiterhin besteht und seine Musik bis heute spielt.
Zu Lebzeiten vor allem abgelehnt oder belächelt, wird Sun Ra heute als Unikum des Jazz gefeiert – zu Recht.