Kolumne

Die kuratierte Käsetheke

Käse in einer Käsetheke in Offenburg (Baden-Württemberg) in einer Filiale eines Edeka-Marktes
Längst ist selbst die Käsetheke kuratiert. © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Anette Schneider · 21.01.2016
Überall wird kuratiert. Selbst Getränkekarte und Label-Stores sind heute kuratiert. Damit scheint das "kuratieren" das neue "philosophieren" zu sein, jedes Unternehmen hat natürlich eine eigene Philosophie. Die Kunstkritikerin Anette Schneider blickt auf die inflationäre Ausweitung des Kuratierens.
Zitator: "Content Curation - also das Zusammentragen und Aufbereiten von Inhalten zu einem bestimmten Thema - erfreut sich immer größerer Beliebtheit."
Kuratieren ist eine Angelegenheit von Ausstellungsmachern? Das war gestern!
Zitator: "Das Kuratieren von Inhalten ist im Social Web eine Selbstverständlichkeit."
Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wird neuerdings intensiv kuratiert.
Zitator: "Julian Schnabel kuratiert die 'Welt-Ausgabe' vom 10. Dezember 2015. 'C't' kuratiert Computerspiele. Google Play Musik kuratiert Playlisten nach Stimmunglage."
Lesungen werden kuratiert, Gedichtbände und DVD's. Wer heute noch einen Laden betritt, um möglichst schnell das Nötigste einzukaufen, katapultiert sich ohnehin ins Aus: Längst ist selbst die Käsetheke kuratiert. Und "Concept-Stores" kuratieren ihr Warenangebot exklusiv für ganz bestimmte Zielgruppen.
Zitator: "Das sorgfältig kuratierte Sortiment von STUDIOTIQUE ist auf städtische Jäger und Sammler zugeschnitten."
Was hat es auf sich mit dieser Inflation des Kuratierens? Wieso scheint plötzlich jeder alles kuratieren zu müssen? Schlägt man im Duden von 1986 nach, sucht man das Verb "kuratieren" vergeblich. Immerhin taucht der "Kurator" auf:
Zitator:

1) (veraltet) Vormund, Pfleger
2) Verwalter einer Stiftung
3) Staatsbeamter in der Universitätsverwaltung zur Verwaltung des Vermögens.
Einer Aura des für Normalsterbliche nicht mehr Verständlichen
Den Ausstellungskurator gibt es noch gar nicht. Kein Wunder: Das Organisieren von Ausstellungen war seit Jahrhunderten Sache von Museumsfachleuten. Es gehörte zu ihren Aufgaben ebenso wie das Sammeln, Bewahren und Erforschen.
Der freie Kurator trat erst in Erscheinung, als den staatlichen Museen massiv die Gelder gekürzt wurden, sodass sie nur noch das Notwendigste leisten konnten. Damals erkannten private Sammler, Galeristen und andere Unternehmer, dass sich mit Sonder-Ausstellungen Geld machen lässt. Viel Geld.
Seitdem kuratiert der freie Kurator für private Institutionen oder öffentliche Mammutprojekte wie die documenta "Superausstellungen" mit "sensationeller Kunst" und "großen Namen", die die Massen anlocken, die Kassen füllen und ihm Folgeaufträge sichern.
Zitator: "SUPERNOVA wird von der Kreativagentur KEMMLER KEMMLER kuratiert, die jede Saison spannende Partner in einem Pop-up-Store kombiniert."
Um sich weiterhin unentbehrlich zu machen, entwickelte der freie Kurator noch einen Trick: Er versah die von ihm als vermeintlich einzigartig ausgewählte Kunst mit einer Aura des für Normalsterbliche nicht mehr Verständlichen. Erst der Auftritt des freien Kurators sorgt seit den 80er-Jahren dafür, dass über Kunst möglichst verschwurbelt, pseudo-philosophisch und abgehoben geredet wird. So machte er sich als Vermittler zwischen Kunst und Öffentlichkeit unverzichtbar. Die Medien nahmen diese Rolle dankbar an und versahen ihn mit den Weihen des "Kunstverstehers".
In den vergangenen Monaten gingen in Deutschland immer mehr kuratierte Journalismus-Plattformen online ... Auf Blendle wird jeder Artikel mit ein paar Sätzen des Kurators eingeleitet.
Wenn heute Duftkerzen, Drinks und Speisekarten kuratiert werden, spiegelt das auch die fortschreitende Prekarisierung unserer Gesellschaft: Was für Kreative und Künstler schon seit Langem notwendig ist - sich als Freiberufler Nischen zu suchen und sich in ihnen unentbehrlich zu machen - greift auf immer weitere gesellschaftliche Bereiche über.
Zitator: "Viele neu eröffnete Lokale in Zürich-West und Aussersihl legen Wert auf eine sorgfältig kuratierte Speisekarte."
Gleichzeitig soll das "Kuratieren" die eigene Tätigkeit, wie auch die Dinge, aufwerten. So entpuppt sich das Kuratieren - ob von angeblich sensationellen Ausstellungen zwecks Profitmaximierung - oder von Gedichtbänden zwecks Profitmaximierung - als tendenziell undemokratische und damit ziemlich überflüssige Angelegenheit.
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