Soziologe Janosch Schobin

"Bei uns ist Einsamkeit sehr schambesetzt"

08:14 Minuten
Mann schaut auf das Lagerfeuer vor einem Zelt aufsteigen.
Nur allein oder auch einsam? Wie wir mit Einsamkeit umgehen, ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich, sagt der Soziologe Janosch Schobin. © Imago / Ikon Images / Bea Crespo
Janosch Schobin im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 13.03.2019
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Normalerweise befassen sich mit Einsamkeit vor allem Psychologen. Doch wie wir Einsamkeit wahrnehmen, hat auch viel mit Kultur zu tun, sagt der Soziologe Janosch Schobin. Seine Forschung weitet den Blick auf ein Phänomen, das vielleicht doch keine Volkskrankheit ist.

Sind heute mehr Menschen einsam als früher?

"Da sehen wir keine großen Veränderungen", sagt Schobin. Je nach Berechnung seien zwischen fünf und 15 Prozent der Menschen in Deutschland von Einsamkeit betroffen.

Sind Soziale Medien schuld, wenn Menschen vereinsamen?

Nach Ansicht Schobins haben Facebook, Whatsapp und Co. darauf weniger Einfluss. Denn die digitale Kommunikation finde häufig zu "Wegezeiten" statt, etwa in der S-Bahn: "Dass das tatsächlich Zeit ersetzt, in der man früher face-to-face mit Freunden kommuniziert hat, das sehe ich weniger."

Sind vor allem Ältere einsam?

Ja, sagt Schobin. Allerdings vor allem deshalb, weil im Alter die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass Ereignisse eintreten, die typischerweise einsam machen: der Tod des Partners oder der Eltern etwa.

Macht Einsamkeit wirklich krank?

Schobin würde nicht so weit gehen wie der Psychiater Manfred Spitzer, der Einsamkeit als "Volkskrankheit" beschreibt. Dennoch geht auch Schobin davon aus, dass Einsamkeit die Gesundheit negativ beeinflusst:
"Wie groß diese Auswirkung ist, ist aber sehr strittig."
Denn Befragungsergebnisse, die auf einen solchen Zusammenhang hindeuten, könnten dadurch verzerrt werden, dass es sozial akzeptierter ist, wenn Kranke sich über Vereinsamung beklagen, als wenn Gesunde das tun. "Das heißt, wir wissen nicht so genau, wie viel davon einfach ein Artefakt ist."

Ist Einsamkeit überall auf der Welt ein Problem?

Zumindest geht man dem Soziologen zufolge an unterschiedlichen Orten unterschiedlich mit Einsamkeit um. "Bei uns ist das Thema sehr stark schambesetzt", sagt er. Einsamkeitsfühle würden entweder gar nicht oder nur gegenüber einem ganz engen Kreis von Personen geäußert.
Ganz anders sei das beispielsweise in Lateinamerika, wo man das durchaus auch öffentlich sage: "Mir ist das selber während meiner Feldforschung passiert, dass ein Herr, den ich flüchtig kannte aus dem Supermarkt, weil ich mich da immer mit ihm unterhalten habe, und der eines Tages kam und er sagte zu mir: Bruder, die Einsamkeit bringt mich um!", so Schobin.
"Das Thema ist halt nicht schambelastet, weil es eher – wie soll man sagen – Appell an soziale Unterstützung ist, von dem man weiß, der trifft bei dem Anderen auf Wohlwollen. Und das ist bei uns eher nicht so."

Wie viel hat Einsamkeit überhaupt mit Alleinsein zu tun?

"Es gibt natürlich einen statistischen Zusammenhang, aber der ist nicht so stark, wie man sich den vorstellen würde", sagt Schobin.
"Weder sind Leute, die viele Freunde haben und ein starkes Netzwerk, automatisch nicht einsam, noch gilt das Umgekehrte. Aber es gibt so eine Art Untergrenze: Gar keine Freunde und gar keine Familie führt mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit zur Vereinsamung."

Janosch Schobin ist Soziologe und Mathematiker. Er forscht über Freundschaft, Netzwerke und soziale Isolation. Derzeit leitet er an der Universität Kassel die BMBF-Nachwuchsgruppe "Die Rolle digitaler Spielanwendungen in Freundschaftsnetzwerken zur Dekarbonisierung privater Konsumentscheidungen (DeCarbFriends)".

(uko)
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