Sozialethiker zur Armut in Deutschland

Soziale Gerechtigkeit – eine Illusion?

Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Deutschland immer weiter auseinander. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Moderation: Gisela Steinhauer · 04.04.2015
Die soziale Ungerechtigkeit in Europa ist politisch erzeugt, meint der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. "Im Gespräch" mit Gisela Steinhauer diskutiert er, wie man diese Schieflage korrigieren kann.
Alle Jahre wieder erscheint der Armutsbericht der Bundesregierung – auch der aktuelle Bericht belegt: Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland geht weiter auseinander. 2013 galten rund 12,5 Millionen Menschen als arm; daran ändert auch die derzeit niedrige Arbeitslosenquote nichts. Doch nicht nur innerhalb Deutschlands ist das Wohlstandsgefälle groß, auch innerhalb Europas wächst die Kluft zwischen den Staaten, die sozialen Spannungen nehmen zu.
Soziale Gerechtigkeit – eine Illusion?
"Gerechtigkeit ist die uralte Frage der gerechten Verteilung zwischen Arm und Reich",
sagt Friedhelm Hengsbach. Der Jesuit ist einer der bekanntesten Sozialethiker Deutschlands. Der ehemalige Leiter des Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik gehört zu den entschiedenen Kritikern der Agenda 2010 und der Hartz IV-Reform; sie hätten zu einer "sozialen Entsicherung" geführt.
Sozialethiker Friedhelm Hengsbach
Der Jesuit Friedhelm Hengsbach ist einer der renommiertesten Sozialethiker Deutschlands.© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Hartz IV sei von jeher eine Legende gewesen, auch, wenn man jetzt die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen präsentiere:
"Was steigt, ist die Schattenbeschäftigung, die Leiharbeit – das wird verschwiegen. Es gibt immer mehr Aufstocker, Menschen, die um ihre Altersversorgung bangen müssen."
Dies spalte die Gesellschaft.
"Soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa ist politisch erzeugt. Die krasse Schieflage der Verteilung des Einkommens und besonders der Vermögen schreit nach einer politischen Korrektur",
schreibt der Ökonom in seinem neuesten Buch "Teilen, nicht töten". Er beklagt eine zunehmende Ungleichheit, sei es auf dem Arbeitsmarkt, in der Geschlechterfrage, beim Zugang zu Bildung – aber auch im Umgang mit den Flüchtlingen an Europas Grenzen.
Gerechtigkeit und Gleichheit ist nicht dasselbe
Eine der Hauptursachen: Der Vormarsch des Finanzkapitalismus und der damit einhergehende Abbau des Sozialstaates. Solidarität werde der Wettbewerbsfähigkeit geopfert.
Seine Forderung: "Nicht die Demokratie soll marktkonform werden, sondern der Kapitalismus demokratiekonform."
Gerechtigkeit dürfe aber nicht mit Gleichheit verwechselt werden. Es könne durchaus soziale Unterschiede geben, sie sollten nur nicht zu groß sein. Wichtig sei indes, wer über diese Unterschiede bestimme:
"Sie müssen in einer Gesellschaft Differenzen zulassen, aber über die Differenzen entscheiden nicht die Höheren, sondern die, die unten sind. Übertragen auf die Deutsche Bank hieße das, nicht Fitschen und Jain entscheiden, sondern die Reinigungskräfte."
Soziale Gerechtigkeit – eine Illusion?

Darüber diskutiert Gisela Steinhauer am 4. April von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Friedhelm Hengsbach. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie auf Facebook und Twitter.

Informationen im Internet
Über Friedhelm Hengsbach: http://www.sankt-georgen.de/nbi/institut-wirtschaftsethik/team/hengsbach-sj/
Literaturhinweis
Friedhelm Hengsbach: "Teilen, nicht töten", Westend Verlag, Frankfurt am Main 2014
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