Sozialerbe versus Bildungsinvestitionen

Welche Lösungen bietet die Politik gegen Armut?

Wenn es um Armut in Deutschland geht, wird oft die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gefordert - Geld, das in Bildung und Chancengleichheit fließen soll.
Wenn es um Armut in Deutschland geht, wird oft die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gefordert - Geld, das in Bildung und Chancengleichheit fließen soll. © picture alliance / dpa
Von Stefan Maas · 16.11.2015
60.000 Euro vom Staat, geschenkt zum 18. Geburtstag. So könnte der Staat jedem jungen Erwachsenen die gleichen Startbedingungen ins Leben garantieren. Klingt charmant, bringt aber jugendlichen Schulversagern nichts, monieren Kritiker. Sie setzen stattdessen auf höhere Investitionen ins Bildungssystem.
Was wäre, wenn jeder es hätte? Nicht nur die, die bereits geerbt haben oder irgendwann erben werden? Genug Geld für den Start ins Erwachsenenleben.
"Und zwar zur völlig freien Verfügung."
60.000 Euro bei Erreichen der Volljährigkeit. Grundsätzlich für jeden. Eine Idee aus den USA, die die Grünen-nahe Heinrich Böll-Stiftung-Stiftung 2006 für Deutschland übersetzte. Ute Brümmer hat sich damals dort mit dem staatlichen Startkapital, der Sozialerbschaft beschäftigt. Jeder bekommt das gleiche Startgeld - egal ob reich oder arm. Also Teilhabe nicht als abstraktes Bürgerrecht, sondern ganz konkret,
"um die Finanzierung für eine Ausbildung sicher zu haben, um Startkapital für eine Unternehmensgründung sicher zu haben oder auch ein Auto zu kaufen oder eine Eigentumswohnung."
Damit würden auch diejenigen eine Chance bekommen, die nicht aus einem wohlhabenden Elternhaus kommen. Kosten pro Jahr, so die Autoren damals: 30 Milliarden Euro. Finanziert über eine neue Vermögenssteuer, getragen vom oberen Viertel der "Vermögensreichen".
"Der Charme dieser Idee liegt erst einmal in diesem Impuls, dass es über unternehmerisches, eigenverantwortliches, selbsterfundenes Handeln geschehen muss."
Kritik: Das so genannte Sozialerbe dient nur der Mittelschicht
Aufgegriffen hat die Politik die Idee damals nicht. Dass sich selbst bei den Grünen-Politikern so recht niemand fand, der die Idee ganz praktisch aufgreifen wollte, hat mehrere Gründe. Zum Konzept gehört nämlich auch, dass es später mit Zinsen zurückgezahlt werden soll. Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion und schon damals nicht überzeugt von der Idee, weist auf einen weiteren Schwachpunkt hin:
"Dieses Projekt geht davon aus, dass vor diesem 18. Lebensjahr alles gut gelaufen ist, dass ist aber leider nicht der Fall."
Bei dieser Idee stehe die Mittelschicht im Zentrum, moniert Pothmer. Wie aber entwickelt jemand, der in der Schule abgehängt wurde, kaum lesen oder schreiben kann, eine Gründeridee für sein Leben?
"Da hilft diese Sozialerbschaft nicht."
Und was würde passieren, wenn ein Sozialerbe sein Geld verprasst, statt es in seine Zukunft zu investieren?
Also lieber jeden Monat Geld statt einmalig? Und ganz bedingungslos – ohne Rückzahlung? Mittlerweile eine altbekannte Idee:
"Am bedingungslosen Grundeinkommen finde ich so reizvoll, dass es eine Ungeheuerlichkeit ist",
sagt Katja Kipping, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Partei Die Linke,
"weil sie sagt, einfach weil du ein Mensch bist, hast du einen Anspruch darauf, an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Es besteht keine Pflicht zur Gegenleistung."
Bedingungsloses Grundeinkommen: Die Grünen haben es ebenso diskutiert wie die CDU. Manchmal fand es seinen Weg ins Wahlprogramm – wie bei den Piraten – manchmal blieb es eine kurze Episode in der innerparteilichen Diskussion.
Wie hoch müsste ein solches Einkommen sein, damit es mehr ist als ein Almosen? Die Kosten jedenfalls wären gewaltig, sagen sogar die Befürworter. Selbst wenn dafür andere Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld 2 und die entsprechenden Bürokratie-Kosten wegfallen würden.
Unangemessen: Mit der Einkommenssteuer finanziertes Grundeinkommen
Aber selbst in Deutschland, wo die Vermögen laut einem OECD-Bericht besonders ungleich verteilt sind, wäre das Grundeinkommen wohl kein Wahlkampfschlager, sagt Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Denn nur die größten Einkommen zu besteuern, würde selbst bei einem geringeren Grundeinkommen nicht reichen:
"Das ist nur zu finanzieren, wenn man eben eine Einkommensbesteuerung macht, die bereits im mittleren Segment einsetzt, und das halte ich für völlig unangemessen."
Neben der Höhe des Grundeinkommens und seiner Finanzierung bleibt eine weitere grundsätzliche Frage offen:
"Wer macht dann die WCs sauber?"
Wenn es Geld einfach so gäbe, ohne Gegenleistung - würden die Menschen dann noch arbeiten, gerade in gering entlohnten Jobs? Würden Politik und Gesellschaft, sich dann noch anstrengen, die sozial benachteiligten mitzunehmen, sie zu fördern?
Wäre das Grundeinkommen nicht eine bequeme Entschuldigung, diese Menschen einfach zu vergessen?
Statt auf visionäre Ideen setzt auch die Opposition lieber auf schneller umsetzbare Ziele: Bessere Arbeitsbedingungen, bessere Absicherung im Armutsfall. Und für die ganz Jungen:
"Man kann das nur machen, indem man Institutionen hat, die eben diese Chancengleichheit auch ermöglichen."
Mehr Krippen, Kitas, Schulen, dazu die richtige Förderung. Bildung: Noch immer die beste Investition, die das die Gesellschaft machen kann. Dafür sollen die Vermögenden dann aber auch tiefer in die Tasche greifen.
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