Soziale Ungleichheit

Wie können wir die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden?

Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
Die Armut in Deutschland nimmt zu © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Moderation: Gisela Steinhauer · 30.01.2016
"Einkommensungleichheit ist eine Wachstumsbremse", sagt Daniela Kolbe (SPD). Ulrich Schneider spricht von einem "Verteilungsskandal". Die SPD-Politikerin und der Geschäftsführer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband diskutieren "Im Gespräch" über Armut und Reichtum in Deutschland.
Die soziale Ungleichheit nimmt zu. Nicht nur weltweit, wie eine aktuelle Studie der Hilfsorganisation Oxfam belegt: Ihr zufolge besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – rund 3,5 Milliarden Menschen. Auch in Deutschland klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Nach neuen Zahlen des Bundessozialministeriums verfügten die oberen zehn Prozent der Haushalte im Jahr 2013 über fast 52 Prozent des Nettovermögens.
"Wenn bis zu 16,7 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, dem viertreichsten Land der Welt, als arm oder abgehängt gelten, ist das nicht nur ein Verteilungsproblem, sondern ein Verteilungsskandal", sagt Ulrich Schneider. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wird nicht müde, die soziale Ungleichheit in Deutschland anzuprangern. Armut in Deutschland sei sehr facettenreich, oftmals auch versteckt. Sie sei aber dennoch vorhanden, das zeige die wachsende Zahl der "Tafeln".
"Koalition hat Umverteilung ausgeschlossen"
"Man bräuchte viel mehr Begriffe. Man darf zugleich auf diesen Armutsbegriff aber auch nicht verzichten. Denn wo der Armutsbegriff wegdefiniert wird, wird auch in der Regel jegliche Verpflichtung zum Handeln und zum Teilen auch wegdefiniert. Das ist häufig auch Absicht." Er spart nicht mit Kritik an der Politik: "Diese Koalition hat Umverteilung in jeglicher Form ausgeschlossen, hat Steuererhöhungen zum Tabu erklärt."
"Diese Ungleichheit ist in vielerlei Hinsicht ein Problem", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe. "Zunächst einmal für die Betroffenen, für die Ärmsten in den Gesellschaften, die nach den Studien nicht nur relativ, sondern auch in absoluten Zahlen ärmer werden. Es ist aber auch ein Problem für ganze Volkswirtschaften. Studien über die OECD besagen glasklar: Einkommensungleichheit ist eine Wachstumsbremse – auch in Deutschland."
"In Ostdeutschland wird fast nichts vererbt"
Daniela Kolbe, Jahrgang 1980, sitzt seit 2009 im Bundestag, unter anderem ist sie Generalsekretärin der SPD im sächsischen Landtag. Die soziale Kluft sei besonders in den neuen Bundesländern zu spüren, mit einer höheren Arbeitslosigkeit, niedrigerem Durchschnittsverdienst und Renten als in den alten Bundesländern: "In Ostdeutschland wird fast nichts vererbt, das ist ganz anders als im Westen; wir haben eine ganz andere Vermögensverteilung." In Sachsen erlebt sie hautnah mit, dass sich immer mehr Bürger der "Pegida"-Bewegung anschließen, auch aus Angst, ihre soziale Sicherheit zu verlieren. Umso wichtiger sei es, die Flüchtlingsfrage in den Griff zu bekommen: "Wie kriegt man die Integration so gebacken, dass sich am unteren Rand nicht die Verteilungskämpfe verstärken?"
Die Politikerin beschäftigt aber auch die globale Dimension der Verteilungsungerechtigkeit: "Wir müssen stärker gegen die Steueroasen vorgehen, damit es den Superreichen nicht mehr möglich ist, ihr Vermögen dorthin zu schaffen. Und wir müssen massiv in die Arbeitsentwicklung investieren, in Entwicklungshilfe, in Bildung vor Ort."
Wie können wir die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden?
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer am Samstag, den 30. Januar von 9.05 Uhr bis 11 Uhr mit Ulrich Schneider und Daniela Kolbe. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de – und auf Facebook und Twitter.
Literaturhinweise:
Ulrich Schneider (Hrsg.): Kampf um die Armut: Von echten Nöten und neoliberalen Mythen, Westend Verlag, Frankfurt a.M. 2015
Ulrich Schneider: Mehr Mensch! Gegen die Ökonomisierung des Sozialen, Westend Verlag, Frankfurt a.M. 2014
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