Soziale Netzwerke

Die Sucht nach den Likes

03:49 Minuten
Ein Auto passiert eine Wellblechwand mit einem Graffiti, das in großer blauer Schrift verkündet: "All We Need Is More Likes".
Der Philosoph Krisha Kops sieht unsere Jagd nach Likes in den sozialen Medien kritisch. © Unsplash / Daria Nepriakhina
Ein Einwurf von Krisha Kops · 28.10.2020
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Ein Like, ein Love, ein Care: Schnell sind in den Sozialen Medien Zustimmung und Anerkennung verteilt. Mit echter Anerkennung hat das nichts zu tun – und dennoch machen Likes süchtig, hat der Philosoph Krisha Kops am eigenen Leib festgestellt.
Der Post darf nicht lang sein: ein cooler Spruch, am besten ein Bild, vielleicht sogar ein Emoticon. Eine Frage kommt auch immer gut. Dann um die richtige Uhrzeit online stellen. Fertig ist der perfekte Post. Wer noch mehr Tipps braucht, tauscht sich in Foren aus, besucht Workshops oder schaut sich Online-Tutorials an.
Früher achtete auch ich auf viele dieser Tricks. Ich muss eingestehen: Ich war süchtig nach Klicks. Alle paar Stunden … okay, ich gebe es zu, oft auch im halbstündlichen Takt schaute ich erneut nach, ob mein Post mehr Likes erhalten hatte. Vor dem Essen, nach dem Essen und dazwischen auch. Dann war irgendwann das letzte Like vergeben und ich wurde mit der Leere danach konfrontiert. Natürlich nur solange, bis ich mich an den nächsten Post machte.
Das Problem mit den Likes ist nicht nur, dass sie süchtig machen können. Denn mit jedem Like schüttet das Gehirn erneut Dopamin aus, das gleiche Glückshormon, welches auch bei Konsum von Alkohol und Zigaretten sowie beim Glücksspiel aktiviert wird. Vielmehr hat die "Like-Kultur" im Internet oft nichts mehr mit wirklicher Anerkennung zu tun, sondern mit kurzfristiger Aufmerksamkeit.
So schrieb der Historiker Thomas Welskopp etwas drastisch, doch trefflich: "Die 15 Minuten Ruhm, die Andy Warhol jedem Bewohner der Moderne zugestehen wollte, sind auf die Schwundstufe exhibitionistischer Medienauftritte herabgesunken, mit denen der 'ausgesteuerte' Teil der Bevölkerung weniger um Anerkennung als um Aufmerksamkeit bettelt."

Aufmerksamkeit statt echter Anerkennung

Denn Anerkennung setzt zumeist voraus, dass ich als ganzes Individuum anerkannt werde – mit all meinen Stärken, aber auch Schwächen. Hinter einem Post versteckt sich hingegen zumeist nur ein Bruchteil unseres Selbst. Ein Teil, der oft so geschönt ist, dass er kaum noch etwas mit uns zu tun hat.
Ferner reduziert das Like den Anerkennungsprozess aufs Einfachste: einen nach oben zeigenden Daumen. Dass man bei Facebook den Like-Daumen mittlerweile mit anderen Emojis wie einem Herz ersetzen kann, fügt der Kommunikation zwar ein paar Nuancen hinzu. An die Anerkennung einer wirklichen zwischenmenschlichen Begegnung aber reicht das bei weitem nicht heran.
Das erklärt auch, warum man hunderte, vielleicht tausende Likes erhalten kann. Einmal klicken ist weitaus einfacher, als die Zeit aufzubringen, jemanden von Angesicht zu Angesicht zu begegnen und wirkliches Interesse und Empathie entgegenzubringen. Wie viele der Menschen, die uns liken, würden sich die Mühe machen, uns ihr Gefallen persönlich mitzuteilen? Bei wie vielen können wir von wirklicher Achtung, Wertschätzung oder Liebe sprechen?

1000 Likes für 100 Euro

Wenn ich einer Freundin in einem Café gegenübersitze, wirkt sich allein schon der physische Raum auf uns aus. Auch unsere Körperlichkeit ist von Belang, unsere Gestik und Mimik, unser Lachen, die Pausen zwischen den Sätzen, unsere Stimmlagen. Natürlich ist auch der Inhalt des Gesagten wichtig: Was gefällt mir genau? Und warum?
Ein simples Like hingegen ist äußerst kurzlebig. Die fehlende Qualität der Begegnung versucht die Aufmerksamkeit der Likes durch Quantität zu kompensieren. Es nimmt nicht wunder, dass manche ihre Likes deswegen sogar kaufen. Diese werden sodann entweder von sogenannten Clickworkern vergeben oder automatisiert von Bots verteilt. Mit 100 Euro ist man bei 1000 Likes dabei. Wer viel investieren kann, steht am besten da. Lang lebe der Fake.
Ich jedenfalls werde nicht nachschauen, wie viele Likes dieser Beitrag erhält. Oder vielleicht nur ein einziges Mal?

Krisha Kops, deutsch-indischer Abstammung, studierte Philosophie und internationalen Journalismus an der Westminster University in London. Er promovierte über interkulturelle Philosophie und arbeitet als Journalist für Medien wie Times of India und verschiedene deutsche Medien.

© Grit Siwonia
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