Sorgenvolle Affen und heroische Raubkatzen

05.02.2013
Kaum einer schafft es, Tiere so zu porträtieren wie Tim Flach. Mit seiner Kamera holt er Seepferdchen, Affen und Raubkatzen so nah an den Betrachter heran, dass dieser sämtliche Details erkennen kann. Dazu schildert er die Besonderheiten der Arten und vermittelt so das Bild einer schönen, aber bedrohten Welt.
Von dieser Fotografie kann man lange nicht den Blick wenden. Sie zeigt Kopf und Rumpf eines Seepferdchens - extrem nah herangezoomt. Eine Doppelseite füllend und damit beeindruckende 30 x 60 cm groß, besticht diese Aufnahme mit Details, die sonst - winzig wie sie sind - im Verborgenen liegen. Eine blau-grün schimmernde Rückenflosse, eine zarte Hautmaserung, weißlich flimmernde "Nüstern" und schließlich seitlich hervorstehende Augen, die den Betrachter direkt anzublicken scheinen.

Auge in Auge mit einem Seepferdchen. Was in der Realität unmöglich ist, gelingt Tim Flach mit seiner Kamera scheinbar spielend. Seit Jahren spürt der vielfach preisgekrönte Fotograf der Beziehung von Mensch und Tier nach. Nach monothematischen Büchern über Hunde und Pferde versammelt Flach in seinem neuen Bildband nun fast die gesamte Tierwelt: Säugetiere, Fische, Insekten und Reptilien.

Flach lichtet seine Protagonisten nicht in freier Wildbahn ab, sondern inszeniert jedes seiner Bilder aufwendig im Studio. Fast immer vor schwarzem Hintergrund fotografiert er Ganzkörperporträts, Gesichter oder Details wie Pfoten, Schnauzen, Ohren oder Fellzeichnungen. Dabei gelingen dem Fotografen hinreißend schöne Kompositionen. Seien es Formationen von Quallen, Bilderreihen von farbenprächtigen Schmetterlingspuppen, mit Wasser um sich spritzende Elefanten, spielende Pandas oder segelnde Flughunde.

Doch Tim Flach, so sehr er sich selbst im Vorwort als Staunender offenbart, zeigt noch viel mehr als "das Wunder Erde". Viele seiner Aufnahmen werden ihm zu kunstvollen Porträts. Hier sind keine beliebigen Tiere abgebildet, hier sind scheinbar einzelne Persönlichkeiten eingefangen. Tatsächlich ist der Betrachter immer wieder versucht, Ausdruck und Haltung verschiedener "Porträtierter" zu interpretieren. Zwangsläufig sieht er sorgenvoll schauende Affen oder heroisch dreinblickende Raubkatzen.

Den Bildern zur Seite gestellt sind erläuternde Texte. Sie berichten zum einen von Eigenschaften und Besonderheiten der verschiedenen Arten und beschreiben zum anderen die weitreichenden menschlichen Interessen an der Nutzbarmachung der Tierwelt. Überfischung wird hier genauso thematisiert wie Gentechnik, Zoohaltung, der Verlust tierischen Lebensraumes oder achtlose Züchtung. Das farbenprächtige Seepferdchen etwa, das den Betrachter so intensiv anzublicken scheint, wurde als Rohstoff für die Traditionelle Chinesische Medizin "produziert" und drohte - wegen Schließung der Fischfarm - "entsorgt" zu werden. Tierschützer konnten es retten.

So zeigen Tim Flachs herausragende Fotografien keine Idylle. Sie zeugen vielmehr von einer einmalig schönen, doch extrem bedrohten Welt, wie die Texte unmissverständlich belegen - übrigens in angenehmer Sachlichkeit, ohne Pathos oder Anklage. Subtiler und eindringlicher als in dieser Kombination aus Bild und Wort, aus Herrlichkeit und Ernüchterung kann man nicht dazu aufrufen, jedwedes Leben zu achten und Verantwortung für den gesamten Planeten mit all seinen Bewohnern zu übernehmen.

Besprochen von Eva Hepper

Tim Flach: "Ganz nah. Porträts von Tieren"
Aus dem Englischen von Christa Broermann und Elsbeth Ranke
Knesebeck Verlag, München 2012
312 Seiten, 68,00 Euro

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