Sophia Fritz: "Steine schmeißen"

Alles suggeriert Coolness und Exzess

05:39 Minuten
Das Cover zeigt das gemalte Porträt einer jungen Frau mit grüngefärbten Haaren. Sie zieht sich mit geschlossenen Augen ein Pflaster von der Lippe.
Sophia Fritz' Roman ist ein scharf gezeichnetes Generationenporträt mit satirischen Zügen. © Deutschlandradio/Kanon Verlag
Von Meike Feßmann · 06.09.2021
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Vom Cover bis zum Text: Sophia Fritz bedient mit ihrem Roman "Steine schmeißen" eine Ästhetik der starken Reize. Sie erzählt von der Welt der jungen Erwachsenen, zwischen Aufputsch- und Beruhigsmitteln, Internetsucht und hartem Sex.
Sie sind Anfang zwanzig, studieren, machen Kunst, probieren sich aus, nebenbei jobben sie als Moderatorinnen, nehmen Aufputschmittel zum Durchhalten, Beruhigungsmittel zum Runterkommen oder Antidepressiva gegen die Angst.
Um ein paar Ecken kennen sich alle, zumindest vom Hörensagen, und Silvester ist eine gute Gelegenheit, sich näher kennenzulernen. Anna, die Ich-Erzählerin, ist vor knapp zwei Jahren zum Studium nach Wien gezogen, zusammen mit Alex, ihrem Freund, der aus demselben Dorf stammt.
Seit vier Wochen geht er eigene Wege. Sie hat niemandem davon erzählt, ihren Freundinnen nicht, ihrem Liebhaber nicht, und ihre Mutter hat es nur deshalb erfahren, weil es Anna am Handy rausgerutscht ist.
Sophia Fritz, 1997 in Tübingen geboren, studiert Drehbuch an der Filmhochschule in München. Das merkt man ihrem Debütroman an. Das Setting steht im Vordergrund, die Dialoge sind pointiert, die Effekte theatralisch.

Unausgesprochenes wird sichtbar

Der größte Teil des Romans spielt in einer stilvollen Villa mit Steinway in Wien. Sie gehört den Eltern von Marie und Samir. Marie bezeichnet sich als "woke und Girlboss". Mit Samir trifft sich Anna heimlich, wenn sie härteren Sex will.
Fede, Annas bester Freund, früher ihre beste Freundin, ist aus Frankfurt angereist. Als Jara und Lukas und schließlich Alex mit seiner neuen Freundin in der Villa auftauchen, kommen die unterdrückten Konflikte zum Ausbruch.
Bei einem therapeutischen Spiel sollen alle auf Steine schreiben, was sie loswerden wollen. Aber natürlich landen die Steine nicht als Wurfgeschosse in der Donau, wie es gedacht war. Sie werden zu Objekten des Verrats und machen Unausgesprochenes sichtbar.

Das Porträt einer Generation

"Steine schmeißen" ist ein scharf gezeichnetes Generationenporträt mit satirischen Zügen. "Ich bin ja nicht für die Welt, ich bin nur gegen den Klimawandel", sagt Marie am Beginn der Party beim Versuch ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Und schon absorbiert ein Bildschirm ihre Aufmerksamkeit: Es begeistert sie, dass man Lagerfeuer streamen kann.
Von Büchern lassen sich Marie und Anna, die beide Germanistik studieren, schon lange nicht mehr faszinieren. "Nicht mal von Worten lassen wir uns berühren, damit etwas Spuren hinterlässt, muss es uns am Kiefer packen, in den ersten drei Sekunden explodieren oder sehr persönliche Fragen stellen."

Ein Roman geht auf die Zwölf

Sophia Fritz, die auch journalistisch schreibt, bedient mit ihrem Roman eine Ästhetik starker Reize. Vom Cover, das eine Frau mit aufgerissener Lippe zeigt, bis zum Titel und den Narrativen suggeriert alles Coolness, Exzess und Gewalt.
Man staunt nicht schlecht, wenn man liest, dass die Autorin vor zwei Jahren bei Herder ein Sachbuch mit dem Titel "Gott hat mir nie das Du angeboten" veröffentlicht hat. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur sprach sie damals vom fehlenden "Idealismus" ihrer Generation, von "Zynismus und Sarkasmus" in den sozialen Medien, und davon, dass auch sie "uneigentlich" schreibe, um "Rückmeldung" zu bekommen.
Wie Katharina Volckmers Debüt "Der Termin" gehört "Steine schmeißen" zum ersten Programm des neu gegründeten Kanon Verlags. Volckmers Roman über eine Transition leuchtet mit seinem Thomas-Bernhard-Sound ein. Bei Sophia Fritz wünscht man sich, jemand würde ihr verraten, dass Romane gar nicht zünden müssen. Sie dürfen auch still und nachdenklich sein.

Sophia Fritz: "Steine schmeißen"
Kanon Verlag, Berlin 2021
232 Seiten, 22 Euro

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