Sonnenaufgang in Dresden

Von Claudia Altmann · 29.01.2013
1920 schenkte Otto Dix sein Gemälde "Sonnenaufgang" der Städtischen Galerie Dresden. Doch dann kamen die Nazis und beschlagnahmten das Bild. Ende 2012 tauchte es plötzlich in der Herbstauktion der Villa Grisebach auf - und der Dresdener Galerie gelang ein großer Coup.
"Das isses!"

Überglücklich und stolz präsentierte Gisbert Porstmann – Direktor der Museen der Stadt Dresden – heute das so lange Zeit für die Städtische Galerie verloren geglaubte Kunstwerk. Für Porstmann gerinnt in dem Bild in dem Zeitgeschichte.

"Wir sehen einen Sonnenaufgang, aber es ist kein Sonnenaufgang. Wir sehen eine Winterlandschaft und die Sonne bricht zwar hindurch, aber eigentlich hat sie ein kaltes, ein fahles Licht. Und wir sehen diesen Schwarm von diesen Krähen, die über dieses vereiste Feld fliegen."

Das Bild wirkt wie eine Vorahnung des damals noch kriegsbegeisterten Künstlers auf die apokalyptischen Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Seine Erlebnisse als Freiwilliger an der Front lassen ihn später zum Kriegsgegner werden. Für die frühe dunkle Vorahnung spricht auch die deutliche Parallele zu van Goghs "Weizenfeld mit Krähen". Das Kornfeld, in dem sich van Gogh in die Brust schoss.

Die Begegnung mit van Goghs Werken in einer Dresdner Galerie war ein prägendes Erlebnis für Dix. Zusammen mit Conrad Felixmüller und anderen Künstlern gründete er die "Dresdner Sezession – Gruppe 1919" und lehrte bis 1933 an der Kunstakademie. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten setzte nicht nur seiner Lehrtätigkeit ein jähes Ende. Auch die 18 Dix-Werke des Stadtmuseums wurden zusammen mit 470 anderen Kunstwerken des Expressionismus als "entartet" beschlagnahmt. Im Lichthof des Dresdner Rathauses wurde in vorauseilendem Gehorsam in Deutschland die erste Schau verfemter Werke veranstaltet.

Dix’ "Sonnenaufgang" landete dann 1937 in der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst", schließlich im Berliner Depot des Reichspropagandaministeriums, bei einem Kunsthändler in Güstrow und gelangte nach Kriegsende in westdeutschen Privatbesitz. Für die Dresdner Städtische Galerie unerreichbar. So schien es. Bis deren Direktor Gisbert Porstmann im November vergangenen Jahres die Zeitung aufschlug und den "Sonnenaufgang" als Aufmacher für die bevorstehende Herbstauktion der Villa Grisebach in Berlin entdeckte.

"Da ich natürlich die Marktpreise von Dix kenne, war ich dann erstmal einen kurzen Augenblick auch mutlos und ratlos."

Ein Dix – das wusste er - kann bei einer Auktion durchaus durch die Decke gehen. Sprich: Die Millionengrenze überschreiten.

"Wie soll es gelingen, eine solch große Summe aufzutreiben, um es eben aus einer Auktion zurückzuerwerben. Ich hab dann gesagt: Okay, ich muss es versuchen."

Und das obwohl ihm nur zehn Tage bis zum Auktionstermin blieben. Er griff zum Telefon und rief bei der Kulturstiftung der Länder an. Es ist die erste Adresse, wenn es um schnelle Rückholaktionen geht. Es wurde ein Wettlauf gegen die Zeit, erinnerte sich heute deren Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen:

"Wir haben eine kleine To-do-Liste erstellt: Wen rufen wir an? Und in kürzester Zeit hatte er das getan und hat alle Menschen überzeugt und das ist nicht überall so. Das wollte ich dann an dieser Stelle gerne auch mal sagen. Das war ganz wunderbar."

Aber nicht einfach. Drei private Stiftungen hatte Porstmann ins Boot holen können. Das Auktionshaus zeigte sich gesprächsbereit. Aber drei Tage vor dem Termin reichte diesem die Summe nicht. In letzter Minute legte eine vierte Stiftung noch etwas drauf. Damit waren die nötigen 800 000 Euro zusammen. Während der Auktion wurde die Nummer des Bildes aufgerufen, aber mit dem Zusatz:

"Es wird nicht verauktioniert, sondern es kann durch dieses gemeinsame Engagement zurück nach Dresden gekauft werden. Und das war schon ein Moment mit Gänsehautqualität. Es gab dann plötzlichen spontanen Applaus in allen Auktionssälen."

Obwohl einige Kunden sehr enttäuscht gewesen seien, war es für das Auktionshaus die richtige Entscheidung, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin Micaela Kapitzki:

"Das war für uns keine Frage. Als die Diskussion da aufkam, war uns sehr schnell klar, dass es nur einen einzigen Ort gibt, wo das Bild hingehört. Und das hat uns Spaß gemacht - auch möglicherweise unter dem Verzicht von einigem Gewinn – da mitzuwirken, dass es wieder hierherkommt, wo es hingehört."

Für den Dresdner Museumsdirektor war der Ausgang der Rettungsaktion deshalb erfolgreich:

"… weil dieses Bild die Leute wirklich anfixt. Wir waren verrückt nach diesem Bild. Das war einmal schön, aber einmal auch eine Gefahr, weil es gab internationales Interesse an diesem Bild."

Er bedauere, weder vom Besitzer noch vom Auktionshaus über die geplante Versteigerung informiert worden zu sein. Aber auf dem Kunstmarkt liefe das heute eben so. Solche Aktionen seien die Ausnahme. Denn:

"Einmal kommt es selten vor, weil die Bilder nicht auftauchen. Wenn sie auftauchen, sind wir manchmal zu langsam, wir erfahren es gar nicht, dann sind sie wieder in Privatbesitz und wir wissen nicht, wo."

Bundesweit war die 1988 gegründete Kulturstiftung der Länder bisher an der Rückführung von etwa 20 Kunstwerken beteiligt. Auch die Stadt Dresden hat bislang nur sehr wenige der vielen verlorenen Bilder wiederbekommen können. Umso größer die Freude über den "Sonnenaufgang", der der Galerie und damit der Öffentlichkeit ein zweites Mal geschenkt wurde. Ganz im Sinne von Otto Dix.


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