Sonne auf Sparflamme

Von Dirk Lorenzen · 30.01.2011
Die Sonne ist mal etwas aktiver, mal etwas schwächer - die Sonnenstrahlung schwankt mit einer Periode von etwa elf Jahren. Obwohl eigentlich ein aktive Phase mit vielen Sonnenflecken derzeit zu beobachten sein müsste, schwächelt unser Energiespender und die Astronomen fragen sich, was mit dem Stern vor der Haustür los ist.
Im Tiefschlaf ist die Sonne nicht. Aber sie verhält sich jetzt schon seit einigen Jahren überraschend ruhig. Es zeigen sich kaum Flecken auf der Sonnenscheibe. Die Sonne scheint gerade wieder etwas aktiver zu werden - aber sehr, sehr langsam. Das hatten die Astronomen vor wenigen Jahren ganz anders erwartet: Da erwartete man für 2011 und 2012 ein besonders starkes Maximum.

Sonnenflecken sind kühlere Gebiete auf der Sonnenoberfläche. Die Sonnenoberfläche ist normalerweise knapp 6000 Grad Celsius heiß. Die Sonnenflecken sind etwa 2000 Grad kühler. Sie entstehen durch magnetische Störungen auf der Sonnenoberfläche. Dadurch kühlt sich dort die Materie ab. Wir sehen diese Bereiche als dunkle Flecken auf der Sonnenscheibe.

Manchmal platzt dort das Magnetfeld geradezu auf – dann werden explosionsartig große Mengen an Materie und Strahlung ins All geschleudert. Von der Sonne strömen immer energiereiche Teilchen hinaus ins Planetensystem – die Forscher sprechen vom Sonnenwind. Hin und wieder pfeifen der Erde aber himmlische Stürme um die Ohren, mit einem Tempo von mehr als 2000 Kilometern pro Sekunde!

Unsere Erde ist durch das Magnetfeld weitgehend geschützt. Im günstigsten Fall sorgen die Stürme nur für spektakuläre Polarlichter – manchmal eben auch in unseren Breiten. Aber es sind auch schon Satelliten zerstört worden. 1989 brach in weiten Teilen Kanadas das Stromnetz zusammen. Wenn sich die Atmosphäre zu sehr auflädt, droht ein Kurzschluss am Boden.

Zudem machen Sonnenstürme die Signale der GPS-Satelliten unscharf. Es gibt Theorien, nach denen etwa einmal im Jahrhundert mit einer so starken Explosion zu rechnen ist, dass alle Satelliten auf der Sonne zugewandten Seite der Erde zerstört werden können. Das hätte für unseren Alltag dramatische Folgen. Die Sonne kann mit ihrer Strahlung also durchaus verheerende Schäden anrichten, allerdings droht uns Menschen hier am Erdboden keine direkte Gefahr.

Wir Menschen bemerken von der ruhigen Sonne erst einmal nichts. Die Gesamtstrahlung der Sonne ist fast konstant. Von einem Maximum zum Minimum schwankt die Sonnenstrahlung insgesamt um nur etwa ein Promille. Allerdings gibt es Strahlungsbereiche, in denen das ganz anders ist: Bei hohen Energien, etwa im Ultraviolett- oder Röntgenbereich kann die Strahlung plötzlich zehn- oder sogar hundertmal stärker oder geringer sein. Bei der Sonne braucht man schon das Ganze Bild.

Seit Jahrtausenden gibt es Beobachtungen von Sonnenflecken mit bloßem Auge. Die sind manchmal zu sehen, wenn die Sonne glutrot am Horizont versinkt. Seit vierhundert Jahren gibt es Fernrohrbeobachtungen der Sonnenflecken und seit einigen Jahrzehnten gibt es spezielle Satelliten, die die Sonne rund um die Uhr im Ultraviolett- oder Röntgenbereich überwachen. Da zeigt sich eben, dass die Sonne kein ruhiger gelber ist, sondern auch sehr aktiver Stern, auf dem es buchstäblich brodelt.

Inzwischen kommen auch die Sonnenstürme nicht mehr so überraschend wie noch vor einigen Jahren. Die beiden Stereo-Satelliten der Nasa beobachten die Sonne aus dem Weltraum aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Erstmals sehen die Astronomen jetzt in 3D, wie die riesigen Explosionswolken ins All schießen und möglicherweise die Erde treffen. Da kann man dann ein, zwei Tage vorher vor so einem Sturm warnen – verhindern kann man ihn natürlich nicht.

Die genauen Ursachen für die schwankenden Sonnenaktivitäten sind unbekannt. Klar ist nur, dass es mit dem Magnetfeld der Sonne zusammenhängt. Es polt sich im Zuge dieses etwa elfjährigen Zyklus um und führt zu diesen Schwankungen. Das Magnetfeld entsteht irgendwo in den brodelnden Gasmassen im Innern der Sonne.

Aber die genauen Prozesse sind ein großes Rätsel. Vor einigen Jahren haben US-Astronomen groß verkündet, sie hätten verstanden, warum und wie die Sonne schwankt. Damals lautete die Prognose, es gäbe einen schnellen Anstieg und das stärkste Maximum seit 50 Jahren. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Die Sonne bleibt eine Diva, völlig unberechenbar.

In der Geschichte gab es schon immer auch längere Perioden mit einer verringerten Sonnenaktivität. Ganz berühmt ist das Maunder-Minimum, benannt nach einem britischen Forscher. Der hatte in alten Aufzeichnungen entdeckt, dass die Sonne um 1700 herum gut 50 Jahre sehr wenig aktiv war. Daran gemessen ist das, was wir jetzt sehen, also völlig unbedeutend. Vor gut einem Jahr haben auf einer Tagung die Sonnenphysiker abgestimmt, ob wir jetzt gerade wieder in so ein langes Minimum gehen. Immerhin ein Drittel hielt das für wahrscheinlich.

Die Sonne ist mit ihrer Einstrahlung natürlich der Klimamotor für die Erde. Unklar ist, ob und – wenn ja – in welchem Ausmaß die Sonne für den jetzt beobachteten Klimawandel verantwortlich ist. Es gibt Untersuchungen, nach denen bis zu 30 Prozent der Erwärmung des letzten Jahrhunderts auf die etwas gestiegene Sonnenstrahlung zurückzuführen ist. Hier ist vor allem die Ultraviolettstrahlung entscheidend. Die genauen Prozesse, die da in unserer Atmosphäre ablaufen, sind aber noch unklar.

Es ist schon erstaunlich, dass ein Stern so nah vor der Haustür immer noch so rätselhaft ist. Sterne sind aber nicht so einfach aufgebaut, wie die Astronomen lange geglaubt haben. Im Moment werden die Astronomen bei der Sonne vor allem "Opfer" der eigenen exzellenten Satelliten. Das neue Solar Dynamics Observatory der Nasa zeigt die Vorgänge auf der Sonne extrem scharfsichtig – und mit zeitlich hoher Auflösung. Da sehen die Forscher plötzlich Dinge, die sie nie für möglich gehalten haben.

Auf einer Tagung wurde mal ein Film abgespielt, der die Vorgänge auf der Sonnenoberfläche zeigte: Die brodelt wie kochendes Wasser auf der Herdplatte. Materieströme rasen wild hin und her. Gasschleifen schießen heraus, drehen sich, zucken und platzen auf. Die Sonne wirkt fast wie ein lebender Organismus. Nach dem Film stand ein Wissenschaftler im Publikum auf und sagte, für die anwesenden Theoretiker habe man einen psychologischen Notdienst im Foyer eingerichtet. Denn niemand versteht, was da genau abläuft.

Sicher ist nur, dass die Sonne auch morgen wieder scheint – aber es wird noch dauern, bis die Astronomen genau wissen, wie sie scheint.