Sonderwirtschaftszone neue Bundesländer

12.09.2007
Wie ist dem Osten Deutschlands wirtschaftlich am besten zu helfen? Norbert Peche fordert eine demonstrative Privilegierung des Ostens: Reduzierung der Mehrwertsteuer in den neuen Ländern und die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone. Nicht zu vergessen die Ostbürger selbst: Eine neue Bürgerbewegung muss her, meint Peche.
Was hat man nicht alles schon probiert, um Deutschlands Osten zu retten. Die Politik setzte auf uralte Mittel: Know-how aus dem Westen und Geld, verteilt nach dem Gießkannenprinzip. Soziologen und Ökonomen hingegen entwickelten Ideen. Die Sachbuch-Bibliothek "Aufbau Ost" füllt mittlerweile ein ganzes Regalbrett. Das Besondere an all diesen Texten und Versuchen: Noch keiner führte zum Erfolg. Nun kommt wieder ein Experte mit gutem Rat. Er kenne Wege, behauptet er, "wie der Aufschwung Ost doch noch gelingen kann".

Zunächst: Die Materie kennt er gewiss. Norbert Peche, Jahrgang 1950, studierte Außenwirtschaft an der als besonders "rot" verschrienen DDR-Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst. 1987 – mit 37 Jahren – wurde er Professor an der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1990 gewählter Direktor des Wirtschaftinstituts der Akademie. Seit langem ist er Berater für Marketing, Management, auch für Politik.

Sein gut lesbares Buch über den kranken Osten gliedert der Autor in drei Teile – Bestandsaufnahme, Zustand, Vorschläge. Oder richtiger: Anamnese, Diagnose, Therapie.
Die Krankengeschichte laut Dr. Peche: 1994 wurde nicht mal mehr halb so viel produziert wie 1989. Nie zuvor erlebte eine Industrienation einen derart starken Einbruch. Der Osten wurde zwar üppig gefördert, doch die Förderung floss in die falschen, weil nicht-produktiven Bereiche. Zu wenige Betriebe entstanden und ihre Zahl sinkt wieder.

Peche entdeckt auch Gutes, blühende Landschaften und sanierte Städte, der Grauschleier ist fort. Doch das alles sei nur bunte Hülle, ohne Kern: "Der Osten gehört mehrheitlich den Westlern, und zwar einer überschaubaren Zahl von ihnen." Besonders schlecht steht die Ex-DDR im Vergleich mit den "Reformländern" Osteuropas da: Estland kam von 1990 bis 2004 im Jahresschnitt auf 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum, Tschechien noch auf 2 Prozent – Ostdeutschland auf 0,8.

Die Diagnose des Verfassers: Die "neuen Länder" sind von der Entwicklung im übrigen Deutschland abgekoppelt. Die Region lebt von Transferzahlungen. Den Befund untermauert Peche mit erschreckenden Zahlen. Das "Prekariat" stellt im Westen vier Prozent der Bevölkerung, im Osten ein Viertel. Die Arbeitslosenquote im Osten ist doppelt so hoch wie im Westen. Der "Wanderungssaldo" von Ost nach West erreicht den Umfang der Jahre vor 1961 oder des Jahres 1989.

Nicht das marode Erbe der DDR sei schuld am Zustand; die Wachstumsschwäche wurzele in Umständen, die erst nach der Wende entstanden. Als grundlegendes Problem erkennt Peche die Tatsache, dass Produktion im Osten schlicht nicht gebraucht wird: Was konsumiert wird, liefert der Westen. "Der Markt wird hier auch zukünftig nichts richten können." Wer oder was ist schuld an der Krise? "Die Politik", sagt Norbert Peche, "das egoistische Streben nach Machterhaltung, ein tiefes Misstrauen gegenüber der Bevölkerung und vielleicht auch bornierte Unwissenheit."

Der Aufschwung Ost ist gescheitert. Das ahnen die Herrschenden, das meint auch die Mehrheit der Bundesbürger. Peche hält dagegen. Er sieht eine Kraft, die das Unmögliche, nämlich ein selbsttragendes Wachstum, noch erreichen könnte: die Masse der Ostdeutschen. Lautstark sollen sie ihre Interessen artikulieren. "Selbst ist das Volk!"

Und dies sind Peches Therapievorschläge: Demonstrative Privilegierung des Ostens – etwa durch bevorzugte Auftragsvergabe seitens Bund und Ländern, durch Reduzierung der Mehrwertsteuer sowie Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone. Promotion ostdeutscher Produkte, um Nachfrage zu schaffen. Aufbau eigener Handelsketten, die die Ostwaren vertreiben. Massive Hilfe für Firmengründer. (Laut Helmut Schmidt fehlen 140 000 Unternehmen.) Länderfusionen; zwei östliche Bundesländer wären genug.

Und der wichtigste Therapieschritt: Die Leute im Osten sollen sich engagieren, sollen Politikern und westlichen Großunternehmern die Stirn bieten. Wie? Durch eine neue Bürgerbewegung, als Träger einer "Bewusstseinskampagne", die den Kauf von Ostprodukten forciert.

Die Anregungen – in der Mehrheit schon aus anderen Büchern bekannt – klingen gut. Und angesichts der Lage wäre es sinnvoll, sie auszuprobieren. Nur: Einige Empfehlungen sind unpopulär, andere schlicht unrealistisch, weil gegen Markt und Macht gerichtet.

Die Idee der "Sonderwirtschaftszone" etwa sei von führenden Politikern – der Verfasser sagt es drastisch – längst "nach ganz unten in die Mülltonne getreten" worden. Und das Volk, der faule Lümmel? Konsumiert und schweigt. So fehlt die Kraft, den utopischen Text in Taten zu verwandeln. Wie sagte Hendrik Ibsen, von Peche zitiert? "Das ist das Verdammte an den kleinen Verhältnissen, dass sie die Seelen klein machen."

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Norbert Peche: Selbst ist das Volk. Wie der Aufschwung Ost doch noch gelingen kann
Ch. Links Verlag, Berlin 2007
240 Seiten, 16,90 EUR