Sondersendung zum Tod von Egon Bahr

Ein Mann der Diplomatie

Foto des SPD-Politikers Egon Bahr
Der SPD-Politiker Egon Bahr ist im Alter von 93 Jahren gestorben. © afp / John Macdougall
Von Winfried Sträter · 20.08.2015
Aus aktuellem Anlass haben wir unser Programm geändert und erinnern in den Zeitfragen an Egon Bahr. Er starb trotz seines hohen Alters plötzlich und unerwartet. Egon Bahr galt als Architekt der Neuen Ostpolitik, als einer der Wegbereiter der deutschen Einheit.
Programmtipp: Aus den Archiven | Sendung am 22.08.2015 um 05:05 Uhr
Zum Tod von Egon Bahr - Fundstücke aus den Archiven des RIAS und des DLF
Egon Bahr: der Journalist beim West-Berliner Rundfunksender RIAS, der Pressesprecher des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt in der Zeit des Mauerbaus, ein Kalter Krieger - wie Willy Brandt - und nach dem Mauerbau Vordenker und Chefdiplomat der Neuen Ostpolitik. Ein Politiker, der in seiner aktiven Zeit Argwohn wie kaum ein zweiter auf sich zog – und der sich, ähnlich wie Willy Brandt, erst viel später allgemeiner Würdigung erfreute.
Den Krieg hatte er erlebt und überlebt, 1922 geboren, 1941 Abitur, ein Soldat, der aus der Wehrmacht verbannt wurde, weil er eine jüdische Großmutter hatte, ein Mann jener Generation, für die das Leben 1945 erst richtig anfing. Ein Mann, der gerne Musiker geworden wäre, aber nach 1945 Journalist wurde, bei dem von den Amerikanern gegründeten RIAS – Rundfunk im amerikanischen Sektor.
Ein karrierebewusster Journalist mit außergewöhnlichem politischen Instinkt. 1953 war er Chefredakteur des RIAS, als am 16./ 17. Juni in der DDR der Aufstand ausbrach. Ein Schlüsselerlebnis für ihn. Denn der RIAS war natürlich auf Seiten der Aufständischen, befeuerte den Aufstand mit Originalton von Aufständischen im Funkhaus – aber Bahr als Verantwortlicher hatte nicht begriffen, wie das Spiel der Großmächte in Wahrheit funktionierte.
1960 machte Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister in Berlin, Egon Bahr zu seinem Pressechef. Damit begann seine politische Karriere, sein Weg zum Chefunterhändler der Neuen Ost- und Deutschlandpolitik in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren.
Ein diplomatisches Meisterstück - die Neue Ostpolitik
Ein regierender Politiker war er nie, sein Chef war Willy Brandt – ihm war er in einer Loyalität verbunden, die ihresgleichen sucht. Bahr kannte seine Grenzen: eine charismatische politische Leitfigur wie Brandt hätte er nie werden können. Seine Karriere hing an der Karriere Brandts, deshalb war sie im Grunde auch beendet, als Brandt 1974 als Bundeskanzler zurücktrat. Doch in den Jahren davor hatten beide die Welt verändert, als sie gegen alle Widerstände in der Bundesrepublik die Anerkennung der Existenz der DDR durchsetzten und im Gegenzug den Status West-Berlins regelten und deutsch-deutsche Kontakte ermöglichten. Bahr war in dieser Zeit der Tabubrüche einer der meistgehassten SPD-Politiker der Bundesrepublik. Aber wer gegen den mainstream politisch etwas durchsetzen will, muss das in Kauf nehmen. Erst mit historischem Abstand ist deutlich geworden, welch ein diplomatisches Meisterstück die Neue Ostpolitik gewesen ist.
Das Konzept hatte er schon 1963 entworfen und Brandt in die Hand gedrückt. Im historischen Rückblick war die damalige Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing ein Wendepunkt im Kalten Krieg: da hatte jemand begriffen, auf welchem Boden der Tatsachen sich die Deutschen befanden, und er hatte die Phantasie, Auswege zu suchen.
Er galt als Architekt der Neuen Ostpolitik, als einer der Wegbereiter der deutschen Einheit. Sein politischer Verstand war gefragt, wenn es um deutsche und internationale Politik ging. Mit manchen Einschätzungen zur Politik nach 1989 – etwa seiner Skepsis gegenüber der Öffnung der Stasi-Akten – provozierte er Widerspruch. Bahr war ein Mann, dessen Politik auch die DDR von innen verändert hat – aber mit den oppositionellen Kräften in der Bürgerschaft, die sich in den 80er-Jahren regten, konnte er nicht viel anfangen. Bahr war ein Mann der Diplomatie auf staatlicher Ebene und hatte mehr mit den Funktionsträgern der DDR und des Ostblocks zu tun als mit der Opposition. Das zeigte sich auch nach 1989 in seinem Verhältnis zu Bürgerbewegten.
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