"Sondeln" in Bayern

Die Freiheit der Sondengänger im Freistaat

09:12 Minuten
Ein Mann geht mit seinem Metalldetektor über ein abgeerntetes Feld bei Flensburg. Im Vordergrund ist die Sonde zu sehen, der Träger ist im Gegenlicht ebenfalls nur in Umrissen zu erkennen.
Ulrich Kowalski ist einer von wenigen zugelassenen Sondengängern in Schleswig-Holstein. In Bayern sind viel mehr Menschen mit diesem Hobby legal unterwegs. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Hannah Heinzinger · 08.06.2021
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Hobby-Archäologen suchen mit einer Metallsonde den Boden nach Gegenständen ab. Aber das Sondengehen ist umstritten, weil es die Fundsituation zerstört. In Bayern stehen die Regeln jetzt auf dem Prüfstand.
Miriam Scholz steht auf einem Acker in der Nähe von Zorneding im Osten Münchens. Sie trägt eine dicke, dunkelgrüne Jacke und feste Schuhe, ihre roten Locken hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. "Das könnte vielleicht was sein", sagt sie und schwenkt ihren Metalldetektor konzentriert über dem Boden hin und her. "Wir sind jetzt neugierig und graben das mal aus." Mit dem Spaten hebt sie ein kleines Loch aus.
Den ausgehobenen Erdklumpen berührt sie von verschiedenen Seiten mit einem piepsenden Plastik-Stab, dem sogenannten Pin-Pointer. Dieser zeigt ganz genau an, wo in der Erde der Fund steckt. "Wahrscheinlich ist es was ganz was Kleines!"
"Das Metall bleibt halt!"
Vorsichtig zerteilt Miriam Scholz mit den Händen den Erdklumpen und schält einen fingernagelgroßen Gegenstand heraus. "Ein Mini-Mini-Ring! Haha, das ist das Gerüst eines Zwirnknopfs! Da hat man einfach den Zwirn drumgewickelt, schön mit Mustern und so weiter. Der Zwirn oder Stoff, der da drum herum war, ist schon längst vergammelt. Aber das Metall bleibt halt. Schön!"
Miriam Scholz ist gelernte Friseurin, arbeitet aber als Team-Assistentin bei einem Softwareunternehmen. Geschichte hat sie schon immer fasziniert und so kam sie vor ungefähr zwei Jahren zum "Sondeln". Seitdem sucht sie alle paar Wochen mit ihrem Metalldetektor in der Erde nach Relikten aus der Vergangenheit.
"Eigentlich fasziniert mich daran, dass man Verlorenes wiederentdecken kann. Das heißt, die Vergangenheit. Das muss jetzt nicht sehr, sehr alt sein", sagt Scholz. "Ich freu mich zum Beispiel total, wenn ich einen zivilen Knopf finde. Weil ich mir dann auch immer überlege: Wer hat den verloren? Wie sah die Kleidung aus, wo der dran war? Alles, was die Leute jemals verloren haben, verbirgt natürlich auch eine Geschichte."

15.000 Sondengeher in Bayern unterwegs

Sondengehen ist ein beliebtes Hobby. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege schätzt, dass allein im Freistaat jedes Jahr ungefähr 15.000 bis 20.000 aktive Sondengeher unterwegs sind. Durch Corona seien es sogar noch mehr geworden, so viele wie noch nie, sagt Jochen Haberstroh, der Chefkonservator vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.
"Ich würde tatsächlich sagen, dass wir in den letzten eineinhalb Jahren eine deutliche Zunahme hier verzeichnen können. Ich würde schätzen, dass ich im Augenblick 30 bis 40 Prozent meiner Arbeitszeit mit diesem Thema zubringe", erklärt Haberstroh. "Und das ist nicht unbedingt ein beglückender Umstand."
Sondengeher sind in den Augen vieler Archäologinnen und Archäologen und der Denkmalpflege ein Problem. Denn für die Archäologie sind die Umstände eines Fundes – wie tief lag etwas im Boden? Was lag drum herum? – teilweise viel wichtiger, als der Fund selbst.
Fundstücke der Sondengeherin Miriam Scholz.
Sondengeherin Miriam Scholz zeigt einige ihrer Fundstücke. Das Suchgerät schlägt nur bei Metall an.© Hannah Heinzinger / Deutschlandradio
Sondengeher holen mit ihrem Detektor aber nur Metallfunde aus dem Boden – Leder, Holz, Kohle und andere Materialien bleiben unentdeckt. Genau die brauche es aber, um die Geschichte eines Fundes erforschen und dokumentieren zu können, erklärt Denkmalpfleger Haberstroh.
Der Sondengänger nehme in aller Regel seinen Klappspaten und mache ein kleines Loch: "Die Chance, so was dann zu dokumentieren, ist sehr gering", bedauert Haberstroh. "Und deswegen ist es leider so, dass der Großteil der Informationen im Zuge des Sondengehens verloren geht und insofern der spannende Teil der Geschichte gar nicht mehr lesbar ist."

Sonderfall Sondengehen in Bayern

Deswegen braucht man in fast allen Bundesländern eine Genehmigung, um Sondengehen zu dürfen. In Schleswig-Holstein ist es sogar komplett verboten. Nur in Bayern ist es generell erlaubt: Sondengeher müssen sich hier lediglich von sogenannten Bodendenkmälern fernhalten, also Gebieten, von denen bekannt ist, dass dort bedeutsame archäologische Funde, zum Beispiel Siedlungsreste, im Boden schlummern.
Richtig viel bringe diese Regel aber nicht, sagt Michael Heinzlmeier. Er ist Polizeihauptkommissar und Archäologe. Gerade schreibt er an seiner Doktorarbeit über den Umgang mit Sondengehern in den verschiedenen Bundesländern. "Ein Großteil der bekannten Bodendenkmäler in Bayern sind mittlerweile nahezu metallfrei", sagt Heinzlmeier.
Die Sondengänger-Tätigkeit der letzten Jahrzehnte habe dazu geführt, dass die meisten Fundobjekte aus Metall bereits entnommen wurden. "Und wenn man sich in Sondengänger-Foren oder ähnlichen Kreisen umhört, geht die Tendenz dahin, dass man sagt: Man braucht die bekannten Fundorte gar nicht mehr aufsuchen, weil dort nicht mehr viel zu holen ist."

Hadrianische Teilung

Die Rechtslage in Bayern macht es zusätzlich schwer, Sondengeher, die illegal graben, zur Rechenschaft zu ziehen. Denn in Bayern gilt noch ein Relikt aus der Römerzeit: Die Hadrianische Teilung. Das bedeutet: Ein Fund gehört hier zu 50 Prozent dem Finder, die anderen 50 Prozent gehören dem Eigentümer des Landes – also zum Beispiel dem Bauern, auf dessen Acker ein Fund gemacht wurde. Und das gilt selbst dann, wenn die Grabung illegal war.
Das sei ein in Deutschland einzigartiges Problem, erklärt Jochen Haberstroh. "Man muss sich diese absurde Situation schon vorstellen: Man begeht im Grunde mindestens eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat und kann aber trotzdem die Hälfte des Werts auf jeden Fall behalten! Hier bedarf es tatsächlich einer Nachbesserung im Bereich des Denkmalschutzgesetzes."
Das Problem: Kommunen und Grundstückeigentümern haben nach wie vor ein Interesse an den Funden, die auf ihrem Gebiet gemacht werden könnten. Ihren 50-Prozent-Anteil wollen sie nicht einfach so abtreten, denn in manchen Fällen bedeutet das bares Geld.
Auch deswegen hat das Bayerische Wissenschaftsministerium nun auch ein Expertengremium einberufen. Es soll Lösungen finden für den Konflikt, der seit Jahren zwischen Denkmalschützern, Sondengehern und Eigentümern schwelt. Ergebnisse sollen laut Ministerium bis Ende des Jahres vorliegen.

Meldepflicht für Sondengeher

Sondengeherin Miriam Scholz will sich korrekt verhalten und versucht, die Vorgaben des Denkmalschutzes – so gut es geht – umzusetzen: Prinzipiell gräbt sie nie tiefer als 20 Zentimeter und jeden Fund, der bedeutsam sein könnte, meldet sie beim Denkmalschutzamt.
Eigentlich ist das Pflicht. Trotzdem melden jährlich – so gibt es die Behörde an – nur 10 bis 15 Personen in Bayern ihre Funde, also weniger als 0,1 Prozent der aktiven Sondengeher. Das führt natürlich zu Misstrauen.
"Es gibt schon Archäologen, die per se sagen: 'Sondengänger, nö danke, will ich nicht, ihr seid alle Raubgräber!'", berichtet Scholz. Die ließen das einen auch spüren. "Das ist auch für den Sondengänger ein ungutes Gefühl, wo er dann ein bisschen auf Distanz geht. Und das muss eigentlich nicht sein."
Miriam Scholz vermutet, viele Sondler trauten sich aus Angst, etwas falsch zu machen und dann schief angeschaut zu werden, nicht, ihre Funde zu melden. Sie wünscht sich, dass besser aufgeklärt werde, wie und vor allem, warum man sich als Sondengeher an die strengen Vorgaben halten solle.

2000 Jahre alte Glasperle

Deshalb will Miriam Scholz aufklären: Auf Youtube betreibt sie den Kanal "Sondel Hexe", auf dem sie in kleinen Videos von ihren Grabungen berichtet.
"Es ist nicht so, dass man loszieht, und innerhalb von zehn Minuten eine halbe römische Siedlung ausgräbt mit Gold und Silber", macht sie klar.
"Man geht wirklich teilweise stundenlang und man findet Wurstzipfel, Zinker, Aluschnipsel." Der Großteil sei Müll. "Ich bin aber der Meinung, man sollte, grade für die Anfänger, zeigen, wie es denn wirklich ist", erklärt sie ihren Ansatz.
Ihren besten Fund hat Miriam Scholz übrigens ganz ohne ihren Metalldetektor auf einem frisch umgegrabenen Acker gemacht. Eine dunkelblaue Perle, circa 2.000 Jahre alt. "Das ist eine handgemachte Glasperle, die hat so eine Verzierung in Weiß und Gelb drauf. Und das lag einfach obenauf, so wie hier so am Ackerrand hat sie mich einfach angeblinzelt, schön blau – und das habe ich einfach aufgehoben."
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