Sommertheater im Literaturbetrieb

Von Jörg Plath · 21.07.2006
Ende Juni hat die weithin unbekannte Kathrin Passig den angesehenen Ingeborg-Bachmann-Preis und auch gleich noch den Publikumspreis erhalten. Das wiederum kann, so glauben manche, nicht mit rechten Dingen zugehen. Kathrin Passig habe getrickst, vielleicht sogar betrogen.
Mehr als 2000 literarische Preise gibt es in Deutschland, und nach landläufiger Meinung zeichnen immer dieselben Juroren immer dieselben Autoren aus. Ende Juni nun hat eine weithin unbekannte 36-jährige Frau namens Kathrin Passig mit ihrem ersten literarischen Text in Klagenfurt den angesehenen Ingeborg Bachmann-Preis und auch gleich noch den Publikumspreis erhalten, zusammen 30.000 Euro.

Das wiederum kann, so glauben manche, auch nicht mit rechten Dingen zugehen. Und prompt wurde der vage generalisierende Verdacht, der Literaturbetrieb sei ein Selbstbedienungskartell, ersetzt durch handfeste ehrenrührige Unterstellungen: Kathrin Passig habe getrickst, vielleicht sogar betrogen.

Manche Journalisten ließen sich vom Habitus der Autorin gern zum kreativen Umgang mit Daten und Fakten ermutigen. Trug sie nicht ständig ein "Camouflage T-Shirt" mit dem Bild eines Laptop, dessen Tastatur die rätselhaften Buchstaben ZIA zeigten? Passig ist Übersetzerin, Kolumnistin von mehreren Tageszeitungen, Co-Autorin eines Sachbuches und arbeitet an einem "Lexikon des Unwissens" - all das als "Agentin" der "Zentralen Intelligenz Agentur" in Berlin-Neukölln, einer Firma junger Blogger, Texter und Journalisten.

Das ZIA, so die an eine bekannte US-Institution erinnernde Abkürzung der Agentur, ist gerade für ihre satirische Website "Riesenmaschine" mit dem angesehenen Grimme-Preis ausgezeichnet worden, und zwei Mitglieder, "IM" Wolfgang Herrndorf und "Senior Consultant" Natalie Balkow, erhielten 2004 und 2005 je einen Preis in Klagenfurt. Nun also Kathrin Passig. Messerscharf folgerten Spiegel Online und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Anfang Juni:

" …es liegt nicht nur an der von der ZIA bereitgestellten Geheimdienst-Metaphorik, dass einem die ganze Geschichte vorkommt wie die Unterwanderung einer ahnungslosen Institution. 'Mission erfüllt!' lobt die Website der ZIA in ihrem "Lagebericht" Agentin Passig."

Und weil Kathrin Passig in einem Interview keck gesagt hatte, was da im letzten Jahr in Klagenfurt vorgelesen wurde, "das kann ich auch", heißt es weiter bei Spiegel Online und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

"Aber auch aus den harmloseren Aussagen der Preisträgerin spricht, wenn man sie nicht als Koketterie versteht, sondern als die Dreistigkeit, als die sie gemeint sind, derselbe Mangel an Respekt vor dem Wettbewerb."

Das sind ungewöhnliche Töne in Medien, die Klagenfurt sonst stets ohne Glacéhandschuhe anfassen. Der zweite Vorwurf: Passig habe ihren Siegertext auf den Wettbewerb hin zugeschnitten. Nach dreizehn Tagen Jammern, so die Siegerin, habe sie "in einem Tag Arbeit" alles herunter geschrieben. "Falschgeld" rufen Spiegel Online und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, und Zeit.de assistiert:

"Der Text hat keine Relevanz, er ist eine intellektuelle Spielerei …"

Die Tageszeitung "Die Welt" hakte dann noch einmal nach, wiederholte im Interview den Unterwanderungs- und den Verschwörungsvorwurf, den Auftragstext-aber-nicht-richtige-Literatur-Vorwurf und fügte den Nicht-allein-sondern-kollektiv-verfasst-Vorwurf hinzu. Kathrin Passig wies alles ernsthaft und besonnen zurück. Aber vielleicht - Journalisten im Sommerloch seid wachsam! - ist das ja nur eine weitere Volte der subversiven Ironie. Wie heißt es so schön in Passigs Klagenfurter Autorenvideo, gedreht von der ZIA: "Jeder Anschlag ein Anschlag auf das Nichts."