Sommerserie "Mit Büchern reisen"

Die schönste Badestelle der Welt

Der Strand von Duino vom Turm des Schlosses gesehen
Der Strand von Duino vom Turm des Schlosses gesehen © Stefan Weidner
Von Stefan Weidner · 11.08.2014
Auf den Spuren berühmter Reiseliteraten ist der Autor Stefan Weidner dieses Mal in Italien unterwegs. In der Nähe von Triest hat er das Schloss besucht, an dem Rainer Maria Rilke die Duineser Elegien geschrieben hat.
"Sie sollen wissen, wo ich bin: bei meinen Freunden, in diesem immens ans Meer hingetürmten Schloss, das wie ein Vorgebirg menschlichen Daseins mit manchen seiner Fenster in den offensten Meerraum hinaussieht, unmittelbar ins All, möchte man sagen, während innere Fenster anderen Niveaus in still eingeschlossene uralte Burghöfe blicken, darin spätere Zeiten um alte Römermauern die Milderungen barocker Balustraden und mit sich selbst spielender Figuren gewunden haben. Dahinter aber, wenn man aus allen den sicheren Toren austritt, hebt sich, nicht weniger unwegsam denn das Meer, der leere Karst."
(Zitat aus: Rainer Maria Rilke, Briefe, Insel Verlag, Frankfurt 1987)
Nur mit dem Boot geht es zum Schloss
Und auf einmal fahren wir an Duino vorbei. Es war mir nicht klar gewesen, dass das berühmte Schloss, in dem Rilke die Duineser Elegien begann, in der Nähe von Triest liegt, unserem Ziel diesen Sommer. Gleich machen wir kehrt, um das Schloss zu besichtigen: Es steht am Rand einer dreißig Meter hohen, senkrecht zum Meer abfallenden Klippe. Man kann alle möglichen Gegenstände und Dokumente bestaunen, nur von Rilke, der monatelang in diesen Zimmerfluchten hauste, ist kaum eine Spur erhalten. Wir steigen den Turm hoch, schauen bis nach Triest. Da sehe ich direkt unter der Klippe einen schmalen, weiß leuchtenden Kieselstrand und ein paar Badende. Sofort wissen wir, wo wir den Rest des Tages verbringen wollen.
Das Schloss von Duino
Das Schloss von Duino - hier verweilt schon Rainer Maria Rilke© Stefan Weidner
Nur wie man hinkommt, ist rätselhaft. Beim Ticketschalter im Schloss sagen sie uns, das ginge nur mit dem Boot. Die Kellnerin im Restaurant gegenüber behauptet, der Strand sei unzugänglich. Nun tritt ein Mann hinzu, starrt auf unsere Wanderschuhe und sagt: "Mit denen könnt ihr es schaffen. Probiert es vom Parkplatz aus." Die Böschung ist steil, wir halten uns an Sträuchern und kleinen Bäumen fest, und als wir fünf Meter unter uns das Meer erblicken, müssen wir auf nacktem, wenig Halt bietendem Gestein noch ein gutes Stück quer Richtung Strand balancieren. Ob wir je wieder hochkommen?
Noch nie der Literatur so nackt begegnet
Über uns ragt die Klippe mit dem Schloss in den tiefblauen Himmel. Wir stürzen ins Wasser, schwimmen hinaus, dann gegen die Strömung um den Felsen herum. Ich komme mir vor, als wäre ich der Literatur noch nie so nackt begegnet, sozusagen in Badehose. Um den Duineser Felsen zu schwimmen, mich in seinem Schatten zu sonnen (wenn man so sagen darf) – ist das nicht obszön, ein Sakrileg?
Rilke hätte sich ziemlich gewundert, wenn die Leute unter seinem Fenster, im offensten Meerraum, herumgeplantscht und sich in der Sonne geräkelt hätten. Wenn ich aber voller Überzeugung sagen kann, dass dies die schönste Badestelle der Welt ist, dann ist sie es, so schön sie ist, doch nur, weil hier die Duineser Elegien geschrieben wurden. Und wenn das Schöne, wie es dort heißt, nichts als des Schrecklichen Anfang ist, so weiß ich nun: Es beginnt hier!

Programmtipp: Die Reihe "Mit Büchern reisen" wird in loser Folge in der Lesart (Montag - Freitag ab 10.07 Uhr, Samstag ab 11.05 Uhr) fortgesetzt.

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