Sommerloch-Wiesn

August-, September-, Oktoberfest

München
Oktoberfest in München © imago/Ralph Peters
Von Michael Watzke · 18.08.2017
Das Oktoberfest beginnt eigentlich im September. Aber schon im August geht's mit der Wiesn los. Denn der Münchner ist ungeduldig und bevor die Sauferei so richtig los geht, müssen die Wiesn-Madl und der Wiesn-Hit gewählt werden.
In München gibt es – anders als im Rest Deutschlands – nicht vier, sondern fünf Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Oktoberfest, Herbst und Winter.
"Oktoberfest heißt es übrigens, weil es im September beginnt."
Eigentlich müsste das Oktoberfest Augustfest heißen. Denn im Hochsommer schlägt die Stunde der Sommerloch-Wiesn. Und zwar schon seit sechzig Jahren – wie dieser Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks von 1957 beweist:
"Der historische Zug der Festwirte vom Rathaus zur Wiesn ist der Auftakt zum Beginn des Festrummels!"

Münchner sind ungeduldig

Dieser Bericht lief nicht etwa zur Eröffnung der Wiesn, sondern einen Monat vorher, im August 1957, als Appetit-Anreger sozusagen. Weil die Münchner es einfach nicht erwarten konnten, wie ein Oktoberfest-Wirt im selben Beitrag erklärte.
"Der Münchner, der macht gleich mit! Wenn Sie andere Feste besuchen, bis die auftauen, bis die in Fahrt kommen, ist der Abend gelaufen und das Fest schon vorbei."
Nicht so das Oktoberfest: das fängt schon zwei Monate vor Eröffnung an. Kein Wunder – die riesigen Festzelte stehen immer schon Anfang August auf der Münchner Theresienwiese. Dann beginnt auch die Wahl des Wiesn-Madls – einer Art Miss Oktoberfest in Dirndl und Flechtfrisur. Sobald das Sommerloch aufreißt, füllen es die drei Münchner Boulevard-Zeitungen BILD, TZ und Abendzeitung mit Aufrufen.

"Sauf‘ma noch a Maß"

"Auch in diesem Jahr kann eine Münchnerin das neue Wiesn-Madl werden! Bewerbt Euch schnell!"
"Auf geht’s, bewerbt Euch jetzt!"
Im seichten Kielwasser des Wiesn-Madl-Wahnsinns dümpelt meist auch der Wiesn-Hit. Also die erste Prognose darüber, welches musikalische Oeuvre die größten Chancen hat, beim Oktoberfest rauf und runter gegrölt zu werden. Favorit für 2017: der weltbekannte Interpret Zascha mit "Sauf‘ma noch a Maß."
"Du Sau, Sau, saufma noch a Maß, saufma noch a Maß, saufma noch a Maß!"
Zugegeben: manchen Münchnern bluten da die Ohren. Sie regen sich lieber über den Wiesn-Bierpreis auf. Noch so ein typisches Münchner Sommerloch-Thema, weil die Wirte den Preis jedes Jahr kräftig nach oben schrauben. Der bayerische Kabarettist Günther Grünwald hat die knallharte Verhandlungsrunde der Festwirte beobachtet:
- "Also, liebe Wiesnwirte, wer ist dafür, dass wir den Bierpreis heuer um, sagen wir mal, fünf Euro erhöhen?"
- "Ja! Klar! Gern!"
- "Wunderbar, merci. Servus!"

Ein Liter Bier, 11,10 €

In diesem Jahr soll der Preis für einen Liter Bier auf der Wiesn auf 11,10 € steigen. Kein Wunder, dass sich da die Politik einschaltete: der Münchner Bürgermeister Seppi Schmid (CSU) forderte eine Bierpreis-Bremse. Toni Roiderer, der Sprecher der Festwirte, war erstaunlicherweise dagegen:
"Wenn ma schaugt, a Maß Bier – sicher kost’s mehra wia a Flaschn Bier. Aber i bin in am Festzelt, das mehr als zwei Millionen zum Aufstellen kost hat. Da ist ständig a Musi, da ist a Bewachung da. Da san ja auch a Haufen Kosten!"
Fast könnte man Mitleid mit den Festwirten bekommen, die an nur einem Oktoberfest rund zwei Millionen Euro verdienen. Das weiß man, seit einer der Wirte, Sepp Krätz, vor einigen Jahren wegen Steuerhinterziehung im Knast landete – auf Bewährung. Noch so ein Münchner Sommerloch-Thema.

Nach dem Fest ist vor dem Fest

Juristisch gibt das größte Volksgaudium der Welt das ganze Jahr lang dramatische Geschichten her: von der Masskrug-Schlägerei bis zum Schankbetrug! Und kaum sind die Urteile gesprochen – is‘ scho wieder Oktoberfest! Mit den neuen, alten, immer gleichen Fragen: welches Dirndl ist dieses Jahr in Mode? Welche neuen Fahrgeschäfte gibt es? Werden heuer mehr als 6,6 Millionen Maß Bier obig’littert, wie der Münchner sagt? Das wäre dann Wiesn-Rekord, und der Münchner liebt Wiesn-Rekorde – vor allem im Sommerloch.
Neuerdings stellen die Medien auch immer häufiger die Frage: wie sicher ist die Wiesn noch – in Zeiten der Terrorgefahr? Seit letztem Jahr dürfen keine Rucksäcke mehr auf das Festgelände. Und in diesem Jahr sind sogar Liefer-LKW verboten – jedenfalls dann, wenn Besucher auf dem Festgelände sind. Deshalb verschiebt sich die die Öffnungszeit heuer zum ersten Mal von acht auf neun Uhr morgens – ein kleiner Schritt für die Stadt, aber ein großer Schritt für Wiesn-Fans. Die stehen nämlich oft schon um fünf Uhr morgens Schlange, um in die überfüllten Festzelte zu gelangen. Gerhard Polt, der große bayerische Volkskabarettist, kommt erst etwas später:

In Gummi-Lederhosen wildbieseln

"Mir hamm gsagt, mir gehen mal wieder aufd‘ Wiesn und treffen uns um fünfe am Haupteingang. Wir waren ja jetzt fast scho a Jahr lang nimmer! Aber mir nehmen koane Frauen mit, weil mir wolln ja a Gaudi hamm!"
Ach, die Wiesn! Vorfreude ist die schönste Freude. Denn ganz ehrlich: wenn’s dann losgeht, wenn auf der Kotzwiese hinterm Schottenhamel-Zelt die besoffenen Italiener den Hang hinunterpurzeln, wenn die Trambahn nicht fährt, weil auf den Gleisen mehrere Bierleichen liegen, wenn Amerikaner mit Klatschhüten und Gummi-Lederhosen vor der Bavaria wildbieseln – dann hat der Münchner eigentlich gar keine Lust mehr aufs Oktoberfest. Deshalb feiert er jetzt – im Sommerloch!
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