Sommerfrische-Affären auf der Sommerurlaubsbühne

Von Bernhard Doppler · 08.07.2008
Stefan Zweigs Novelle "24 Stunden aus dem Leben einer Frau" ist eine Art Beichte einer älteren Frau über ein lange zurückliegendes erotisches Abenteuer. Die Novelle fällt im Vergleich zu Schnitzer künstlerisch ab und wird in Reichenau in der Bühnenfassung noch zusätzlich banalisiert. Einzig die Darsteller retten diese Aufführung.
Im Sommer waren die Voralpen am Fuße von Rax und Semmering Mittelpunkt des Wiener gesellschaftlichen Lebens, bis vor siebzig Jahren ging alles, was Rang und Namen hatte, dorthin auf Sommerfrische, in die luxuriösen, riesigen Hotels oder in die mondänen Landhäuser, insbesondere Künstler wie Werfel, Mahler, Kokoschka, Krenek, Altenberg, Zweig, Schnitzler - und oft und gerne auch Sigmund Freud.

Der alte Glanz ist allerdings nicht mehr herzustellen, doch seit zwanzig Jahren versuchen die Festspiele Reichenau mit großem Erfolg darin zu erinnern, nicht zuletzt, weil sie es verstehen, dafür die Creme der Wiener Schauspielprominenz zu verpflichten. Versprochen wird am Semmering den Theaterbesuchern nun - zu relativ hohen Eintrittspreisen - gediegene Theaterkunst.

Die Sommerurlaubssituation selbst, zumindest die Situation einer Gesellschaft, die es auf das Land verschlagen hat, ist dabei in Reichenau immer Hintergrund der ausgewählten Stücke - und so steht nun der frühere Semmering-Feriengast Stefan Zweig selbst als Theaterfigur (Peter Matic) in der Dramatisierung seiner Novelle "24 Stunden aus dem Leben einer Frau" auf der Reichenauer Bühne und lässt sich in einem Urlaubshotel von einer älteren englischen Lady (Marianne Nentwich) ein lange zurückliegendes erotisches Urlaubsabenteuer erzählen, bei dem diese Lady innerhalb eines einzigen Tages einen spielsüchtigen jungen Mann kennen lernte, ihn vom Selbstmord rettete und schließlich glaubte, mit ihm aus ihrem banalen Alltag ausbrechen zu können.

Die oft verfilmte Novelle ist eine Art Beichte oder eine Art Psychotherapie, bei der die Lady sich von ihrer quälenden Erinnerung an jenes Erlebnis befreien will; im Vergleich zu den zeitgleich entstandenen Erzählungen und Dramen Arthur Schnitzlers (zum Beispiel "Die Traumnovelle") fällt sie künstlerisch ab und ihre Dramatisierung durch Stefan Slupetzky banalisiert sie zusätzlich, zumal die Inszenierung von Alfred Kirchner ausschließlich auf konventionelle theatralische Arrangements setzt.

Für zentrale Stellen von Zweigs Text - die Beschreibungen des Regens, das Spiel der Hände der Spieler, findet Kirchner keine theatralische Entsprechung. Da hilft auch nicht das ambitionierte eindrucksvolle Bühnenbild des Reichenauer Intendanten Peter Loidolt: auf einer schrägen Bühne sind schiefe Jugendstilrahmen aufgestellt.

Doch einen Vorteil bietet die Dramatisierung: Wenn die alte Lady über den zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfall erzählt, dann tritt als ihre Doppelgängerin auch die jüngere Lady von damals (Regina Fritsch) auf. Sie konfrontiert sich so auf der Bühne mit ihrem eigenen Ich. Das wird liebevoll ausgeführt, zumal bei den beiden Schauspielerinnen und bei Peter Matic das Reichenauer Konzept aufgeht, auf die Aura großer Wiener Schauspieler zu setzen. Die drei bestricken das Publikum jedenfalls mit einnehmender Natürlichkeit - vor allem im Gegensatz zu den durchaus prominent besetzten Nebendarstellern, Hotelpersonal und Gäste, die in ihren Entrüstungsausrufen oder in ihrem Konversationsgeplauder über ambitioniertes Dilettantentheater nicht hinauszukommen scheinen.

Aber auch der Darsteller des Spielers Marcello de Nardo, beschränkt sich auf konventionelle pathetische Verzweiflung, an einer Studie über einen depressiven Spielsüchtigen ist er nicht interessiert.

Das Sommertheater in Reichenau bleibt somit braves Kulturprogramm. Kaum vorstellbar, dass die Sommerfrische-Affären auf der Bühne noch in den Sommerurlaub 2008 hinüberwirken könnten. Aber auch die alte Lady in Zweigs Novelle aus dem Jahre 1925 erzählt ja über eine Liebesaffäre, die schon damals sehr lange zurücklag, über die "Welt von gestern" eben.

Stefan Zweig: Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer Frau
Festspiele Reichenau am Semmering
Regie: Alfred Kirchner