Solomusikerin Sudan Archives

Echter Indie-Pop mit Geige

Die US-amerikanische Musikerin Sudan Archives heißt mit bürgerlichem Namen Brittney Parks. Sie hat sich das Geigespielen als Grundschülerin selbst beigebracht.
Die US-amerikanische Musikerin Sudan Archives © Jack McCain
Missy-Magazine-Redakteurin Sonja Eismann im Gespräch mit Andreas Müller · 23.05.2018
Das Geigespielen hat sich die 23 Jahre alte Brittney Parks selbst beigebracht. Als Solokünstlerin Sudan Archives holt sie aus ihrem Instrument nie gehörte Klänge heraus und mischt sie mit Elektronischem. Zu ihren Zielen scheinen Auszeichnungen nicht zu gehören.
Andreas Müller: Es kursieren mittlerweile einige Anekdoten dazu, wie Brittney Parks zu ihrem Instrument gefunden hat – und warum sie so einen ungewöhnlichen Umgang damit hat. Denn die Geige ist in einem afroamerikanischen Popkontext doch recht selten.
Sonja Eismann: Eine jüdische Fiddlertruppe war in ihrer Schule zu Gast, sie war fasziniert von der Performance. Danach musste sie sich sich an diversen Schulen ohne Musikprogramme das Spielen selbst beibringen auch im Kirchenchor. Ihre Mutter sagte, sie solle einfach nach Gehör spielen, das hat sie getan, andere sind entsetzt, wie unbekümmert sie mit ihrem teurem Instrument umgeht. Aus einer streng religiösen Familie stammend, hatte sie auch keinen wirklichen Zugang zu Popmusik, sie hat sich auch noch nie eine CD gekauft, sie rezipierte alles nur durch Radio oder MTV und baute es daher unvoreingenommen selbst neu zusammen.
Andreas Müller: Hat der Name Sudan Archives, der zunächst nicht an ein Popprojekt denken lässt, musikalisch eine Bedeutung?
Sonja Eismann: Sie wollte sich zunächst als Teenager Tokyo Moon nennen, weil sie ein Hippiekind war, die Mutter nannte sie dann mit 17 Sudan. Archives verweist auf ihren ethnomusikalischen Zugang zu Musik. So hat sie bei Youtube-Recherchen im Netz eine Aufnahme von ghanaischen Musikern gefunden, die ein selbstgebautes Saiteninstrument aus Schlangen- und Echsenhaut und Pferdehaar spielten. Später fand sie heraus, dass dieses Instrument, das sie sehr fasziniert hat, Hausa Geige genannt wird. Sie hat auch spezifisch sudanesische Musik recherchiert. "Archives" spielt daher auf ihren ethnomusikalischen Zugang zu Musik an, aber auch auf die Weise, wie man selbst zu sich finden sollte, das Selbst als Archiv.
Andreas Müller: Über ihre neue EP hat Brittney Parks gesagt, sie sei inspiriert von ihrer Liebe zu Wasser, zu Fluidität allgemein und der Bewegung von Quallen. Sehen Sie hier eine Verbindung zum Afrofuturismus, in dem diese Symbole auch immer wieder vorkommen?
Sonja Eismann: Ja, durchaus, auch wenn sie das selbst nicht nennt, auch die Bedeutung der Middle Passage, also dem unmenschlichen Schiffstransport der Sklaven in die USA. Parallelen sind auch das Sichentziehen von Kategorien, von rassistischen Beschränkungen, durchaus auch insgesamt politisch, auch wenn ihre Lyrics, wie sie sagt, eher aus dem Alltag und spontan entstehen, den Song "Nont for Sale" kann man auch als Bezug zum Befreiungskampf von Rosa Parks lesen, wenn sie singt "This is my seat, can't you tell", denn Parks weigerte sich ja, einen Sitz einer weißen Person zu überlassen.

Eine Art Gegen-Beyoncé?

Andreas Müller: Sudan Archives ist dieses Jahr auch auf dem Coachella Festival aufgetreten, ganz alleine, mit nur ihrer Stimme, ihrer Geige und minimalem elektronischem Equipment – während Beyoncé ebendort mit maximalem Aufwand eine bombastische Performance mit über 100 Tänzerinnen und Tänzern hingelegt hat. Verkörpert Sudan Archives mit ihrem dezidierten Do-It-Yourself-Ansatz damit eine Art Gegen-Beyoncé?
Sonja Eismann: Könnte man denken, auch weil in einem Artikel zu lesen war, sie sehe sich in fünf Jahren nicht an einem Champagnerglas nippen, weil sie gerade einen Award für die Produktion eines neuen Beyoncé-Hits gewonnen hat, sondern lieber weiter musikalisch mit Schulkindern in Ghana arbeiten, wie sie es bereits getan hat. Sie war auch bereits mit Tune-yArDs auf Tour, die einen ähnlich kompromisslosen Ansatz verkörpert, und ihr ist es auch wichtig, mit ihrem Zugang zu Musik zu zeigen, dass alle sich die Instrumente auf ihre Weise erobern können, dass es keine Schwellenängste braucht, sie hat auch einfach mit einem Ipad und Apps angefangen, ihre Musik aufzunehmen. Aber genau deswegen wäre die Abgrenzung von einer Figur wie Beyoncé sicherlich nicht in ihrem Sinne. Denn im Endeffekt geht es beiden darum, ein Role-Model zu sein und junge schwarze Frauen auf ihre Weise zu empowern, eine rassistische, sexistische Gesellschaft zu überwinden – mit überraschendem Pop.