Solo-Album von Nicolas Godin

Liebeserklärung an Bach

Nicolas Godin, frontman of the French music duo 'Air,' performs on the Miles Davis Hall stage at the 44th Montreux Jazz Festival, in Montreux, Switzerland, 02 July 2010. The festival runs until 17 July.
Nicolas Godin, Frontman von "Air" beim Montreux Jazz Festival © dpa / Laurent Gillieron
Von: Marcel Anders · 18.09.2015
Seit Mitte der 90er-Jahre ist Nicolas Godin die rothaarige Hälfte des Elektro-Pop-Duos Air. Jetzt legt er sein erstes Solo-Album vor: "Contrepoint" ist ein Gegenstück zur modernen Pop-Musik – ein Ausflug in die Klassik und eine Hommage an Johann Sebastian Bach.
"Air sind zur reinen Routine geworden. Zwar eine coole Routine, die mit einem coolen Lifestyle einhergeht, aber letztlich haben wir jeden Abend dieselben Songs gespielt. Und noch viel schlimmer: Ich habe meine Grenzen als Musiker erkannt und hatte das Gefühl, dass ich mich nicht weiterentwickle. Deshalb musste ich zum Studium der klassischen Musik zurückkehren, um ein besserer Musiker und Komponist zu werden."
Das klingt nach gesteigerter Midlife Crisis – und ist auch eine: Nach 20 Jahren, fünf Alben und -zig Tourneen ist Nicolas Godin das Duo mit Jean-Benoit Dunckel längst nicht mehr genug. Weshalb sich Air in den letzten sechs Jahren verstärkt an Soundtracks und Kunstprojekten versucht haben. Nebenher hat sich Godin intensiv mit Glenn Gould und Johann Sebastian Bach befasst – für ein ehrgeiziges Projekt.
"Ich wollte ein reines Piano-Album machen – mit meiner Version vom "wohltemperierten Klavier". Aber ich konnte es nicht so spielen, wie ich wollte, weil ich das mit meinen Fingern nicht hinbekommen habe. Ich musste erkennen, dass ich als Pianist nicht gut genug bin. Was eine ziemliche Enttäuschung war. Also habe ich mich entschieden, die Möglichkeiten der Studiotechnik zu nutzen, und moderne, elektronische Sounds für das zu verwenden, was ich nicht allein mit meinen Fingern hingekriegt habe."
Die Grammatik westlicher Musik
Godins Faszination für Bach basiert auf dem ebenso visionären wie zeitlosen Schaffen des Barock-Komponisten. Ein Meister seines Fachs, der seine Stücke mit multikulturellen Einflüssen und unkonventionellen Arrangements gespickt hat. Und dabei die Grenzen der Musik ausgelotet und definiert hat. Mit einer Nachhaltigkeit, die bis heute anhält.
"Er hat das Grammatik-Buch der westlichen Musik geschrieben und alle Regeln festgelegt. Einfach, in dem er gesagt hat: 'Wenn man Klavier spielt und dabei alle zwölf Noten verwenden will, kann man dies oder das machen – und das so oder so variieren.' Er hat alle Möglichkeiten aufgezeigt und dadurch eine Art Betriebsanleitung geliefert. Aber die Magie ist eben, dass da noch mehr ist. Nämlich ein seltsamer Mix aus Technik und Spiritualität, die eigentlich nicht zusammengehören und sehr merkwürdig sind. Doch genau das ist das Wunderbare."
Bach als Ursprung aller westlichen Musik, dessen Einfluss sich in sämtlichen Genres nachvollziehen lässt. Eine These, die Godin auf charmant-verspielte Weise belegt, indem er in seinen Kompositionen jede nur erdenkliche Stilrichtung mit Bach-Momenten kombiniert und – gemäß dem Titel – kontrapunktiert. Seien es minimalistische elektronische Klänge à la Kraftwerk, Jazz à la Brubeck, Bossa Nova à la Antonio Carlos Jobim oder Rock à la Lou Reed – der Klassik-Meister passt in jeden Kontext. Sogar in den französischen Chanson, den Godin mit einem Bach-Text auf Deutsch versieht: "Widerstehe doch der Sünde", gesungen von Thomas Mars, Frontmann der Pariser Band Phoenix.
"Ich wollte es sexy klingen lassen. Und ich denke, dass Deutsch eine wunderbare Sprache ist, die hervorragend zu einem langsamen Song in der Manier von Serge Gainsbourg und Jane Birkin passt. Abgesehen davon, habe ich die Nase voll von Englisch, das quasi jeder verwendet. Deshalb wollte ich das nicht auch noch auf meinem Album hören, sondern neue, frische Sachen. Und es ging mir um etwas, das in einer Beziehung zu Bach steht, weil das ja das Konzept des Albums ist. Insofern war es unmöglich, da keinen Song auf Deutsch zu haben – zumal das mit dieser Musik korrespondiert."
Cooler Bach für die jüngere Generation
Ein musikalisches Spiel ohne Grenzen, mit dem Godin seine Midlife Crisis überwindet, seine kreative Ader auslebt und auf den Spuren des exzentrischen kanadischen Pianisten Glenn Gould wandelt, der Bach einfach so interpretiert hat, wie es ihm beliebt. Also fernab der traditionellen Handhabung und mit ureigener Handschrift. Ein Ansatz, den Godin erfolgreich fortsetzt – und damit eine echte Mission verfolgt.
"Ich versuche, die Leute dazu zu bringen, dass sie dieser Musik wieder mehr Beachtung schenken. Wobei ich diejenigen, die Bach schon kennen, zumindest ein bisschen neugierig auf meinen Ansatz machen will. Aber in erster Linie geht es mir um die Jugend, die nichts über Bach weiß. Ich möchte sie dazu bringen, dass sie mehr erfahren will und dadurch auch auf die Arbeit von Glenn Gould und anderen Pianisten stößt. Das ist meine Mission - also Bach für die jüngere Generation cool zu machen. Damit habe ich bei meinen Kindern angefangen – und es hat funktioniert."
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