Solidarische Landwirtschaft

Gemeinsam Bauer sein

Bauer Sebastian Haußen
Bauer Sebastian Haußen stimmt sich eng mit der Verbrauchergemeinschaft ab. © Deutschlandradio / Henry Bernhard
Von Henry Bernhard · 30.01.2018
Was baut ein Bauer an und wie? Die Entscheidung darüber fällt normalerweise der Landwirt alleine. Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus der Nähe von Jena: Hier haben sich ein Bauer und Konsumenten zu einer Verbraucher-Gemeinschaft zusammengeschlossen.
Ulrike Gutmann führt durch ihren Garten hinterm Haus in Weimar. Parken ist hier am Rande der Stadt problemlos möglich.
"So, jetzt sind wir hier im Kellereingang; hier können die Abnehmer jederzeit herkommen und ihr Gemüse holen. Der Vorteil zum Supermarkt ist, dass die Kinder hier in der Zeit im Garten spielen können und die Meerschweinchen füttern, anstatt an der Supermarktkasse zu stehen und um Süßigkeiten zu quengeln. So dass der Gang, den die Familien haben hier eher als angenehm empfunden wird und nicht so stressig ist, wie wenn man mit Kindern sonst einkaufen geht."
Die Treppe führt in den Keller, der vom Garten aus zugänglich ist. Die Decke ist niedrig, man kann aber aufrecht stehen.
"So, jetzt stehen wir hier im Gemüsekeller. Hier auf der rechten Seite kommen die Gemüsekisten hin, wenn die am Donnerstag kommen. Die nächste Lieferung kommt erst in anderthalb Wochen. Und dann gibt es jede Woche einen Zettel, wo drauf steht, was zu der Portion diese Woche gehört. Z.B. ein Rotkohl, ein Kohlrabi, dann nach Augenmaß Möhren oder noch Zwiebeln, je nachdem, was gerade da ist."

Keine Erdbeeren und kein Spargel im Winter

Zwiebeln, Möhren, Kohl – das typische Wintergemüse. Ulrike Gutmann möchte im Januar weder Erdbeeren noch Spargel essen.
"Ich hatte eine regionale Kiste, die hat nur im Sommer geliefert. Und im Winter war man dann auf Bio-Gemüse aus dem Supermarkt angewiesen, wo die Möhren aus Israel kommen im Januar, bei REWE! Und mich hat auch abgeschreckt, dass selbst im Bio-Landbau 30 bis 50 Prozent aussortiert und weggeworfen werden, bevor sie überhaupt in den Handel kommen."
Deshalb ist sie seit fünf Jahren Teil eines Projekts der solidarischen Landwirtschaft. Das Prinzip: Eine Verbrauchergemeinschaft schließt einen Vertrag mit einem Bauern, der seine Produkte ausschließlich für sie anbaut. Der Bauer gibt an, was er anbauen kann, die Verbrauchergemeinschaft schlägt Änderungen vor, man einigt sich. Der Bauer kalkuliert eine Summe, mit der er über ein Jahr auskömmlich wirtschaften kann, und teilt sie durch die Anzahl der Abnehmer. Ulrike Gutmann zahlt 68 Euro im Monat, knapp 70 andere Abnehmer in Erfurt, Weimar und Jena tun dies ebenso. Dafür bekommen sie im Sommer wöchentlich, im Winter alle zwei Wochen Gemüse in die Verteilkeller geliefert.

Der persönliche Kontakt ist wichtig

Gut 60 Kilometer weiter östlich, in einem Dorf mit 20 Häusern in der Nähe von Jena, steht Sebastian Haußen in der Abenddämmerung auf seinem Acker. Der 39-Jährige beliefert seit Jahren die gleichen Kunden.
"Ein ganz einfacher menschlicher Aspekt, der in der persönlichen Begegnung liegt, was man jetzt auf dem Markt auch haben kann, wo aber die Abstimmung über bestimmte Prozesse nicht so gemacht wird, wie es bei einer solidarischen Landwirtschaft notwendig ist. Also, ich muss immer sagen, was ich machen will im kommenden Jahr und wieviel ich dafür bräuchte. Und das wird mir halt zugestanden oder halt nicht. Bis jetzt wurde es mir immer zugestanden, dass ich das machen kann."
Haußen bewirtschaftet die anderthalb Hektar seit vier Jahren, seinen eigenen Grund und Boden. Er ist in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft ausgebildet und sieht sich in der Verantwortung für nachfolgende Generationen, den Boden nicht auszulaugen. Außerdem will er Lebensräume für Pflanzen und Tiere erhalten, die ihm nicht auf den ersten Blick nutzen.
"Ich will das und werde halt dabei unterstützt von den Menschen, die halt das Gemüse dann kriegen. Und das ist ja auch ein Aspekt, dass das gar nicht mein Gemüse ist von Anfang an, eigentlich nicht wirklich. Dass das, was ich mir hier wegnehme, auch schon ein Teilen mit denen ist, die mir das ermöglichen, dass ich hier arbeiten kann. Auch halt z.B. Hecken schaffen, breite Wege: Wo es nicht immer festgefahren ist! Ich habe hier die zwei Fahrspuren, und rechts und links davon ist es relativ locker drunter. Und der andere Vorteil: Dieses Jahr hatte ich den Eindruck, dass die Nacktschnecken in dem Bewuchs geblieben sind und nichts aufs Feld sind, wo sie natürlich einen viel größeren Schaden anrichten."
Bauer Sebastian Haußen
Angeboten wird, was die Jahreszeit hergibt.© Deutschlandradio / Henry Bernhard

Konsumenten übernehmen Verantwortung

Ein Ökonom würde es wohl so formulieren, dass der Bauer sein Produktions- und Verkaufsrisiko nach außen, an seine Kunden, weitergibt. Das könne man so sehen, meint Haußen, aber seine Verbraucher könnten dafür über Produkte und auch Produktionsbedingungen mitbestimmen. Auch Ulrike Gutmann sieht sich in der Verantwortung für ihren Produzenten.
"Es wäre ja völlig sinnlos, dass, wenn mal ein trockener Sommer ist und das Gemüse nicht gut wächst, die dann ihren Gemüseanbau aufgeben müssten und sich beim Arbeitsamt melden und das nächste Jahr im Callcenter sitzen! Wer soll uns dann weiter Gemüse anbauen?"
"Und die andere Sache, wo ich tatsächlich den Eindruck habe, dass es ausschlaggebend ist, ist die Qualität, die am Ende dabei rauskommt. Wenn ich unter einem wirtschaftlichen Druck produziere, kann ich nur ein bestimmtes Verhältnis zu dem eingehen, was ich bearbeite und wie ich das bearbeite, also zu dem Fleck Erde. Und darunter leidet dann meistens die Qualität. Es sind manche Sachen ein bisschen kleiner, sehen ein bisschen krummer aus. Ist nicht das, was sich im Laden verkaufen lässt. Und da kriege ich hier meistens für ein viel höheres Maß an Geschmack wieder zurückgegeben. Das kann man meistens auch gar nicht kaufen in Läden."
Dass es im Laden, auch im Bioladen, gegebenenfalls günstiger sein könnte, die gleichen oder zumindest ähnliche Produkte zu kaufen – bei größerer Wahlfreiheit – wissen Haußens Abnehmer. Und es gab auch schon einmal Unmut, als Trockenheit und Mäuse die wöchentlichen Lieferungen schmal werden ließen, wie Daniel Gaede berichtet.

Rückkehr zu alten Kreisläufen

"Dann gibt es natürlich auch Leute, die mal sagen: ‚Hm, ja, bisschen wenig für das Geld!‘ Und spätestens da merkt man, dass man sich untereinander austauschen muss. Also, es ist weit mehr als zu sagen: Wir zahlen, und dafür kriegen wir Gemüse. Dahinter steht eine bestimmte Philosophie. Es geht um das Verhältnis Stadt-Land: Man kriegt auf die Weise wieder einen anderen Draht zu seiner Umgebung. Im Grunde genommen ist es eine Rückkehr zu Kreisläufen, die mal sehr gesund funktioniert haben, aber die jetzt so zerteilt und zerlegt sind, dass man eigentlich mal wieder zusammenfügen muss."
In Ulrike Gutmanns Keller warten nicht nur wöchentlich die Gemüse-Kisten auf Abholung, sondern auch von Bäckern abgegebenes Brot vom Vortag oder Textilien, die der eine abgibt und der andere vielleicht noch gerbrauchen kann. Teilen auf breiter Ebene.
"Das haut zu 90 Prozent hin. Und wenn einer erst nach drei Tagen kommt oder im Urlaub ist oder es ganz vergessen hat, dann wird auch mal der Rest verschenkt. Aber es ist schon das Ziel – und praktisch funktioniert das auch –, dass alles Gemüse verwertet wird. Es ist auch viel auf Vertrauensbasis. Wir kennen uns auch in der Gruppe, wir kennen uns. Und wenn mal was nicht gut läuft, dann schreibt man mal eine Rundmail in den Verteiler. Es wird einfach viel auf menschlicher Ebene gelöst, wenn es Probleme gibt."
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