Moderatorin: Und wir beschäftigen uns heute mit dem Licht. Der Sehnsucht nach dem Licht. Wer kann, verreist in den Wintermonaten um "Licht zu tanken". Andere sind einfach tapfer und gedulden sich oder gehen vielleicht auch ins Solarium, eine auf den ersten Blick überkommende Freizeittechnik mag der ein oder andere von ihnen jetzt vielleicht einwenden. Stimmt aber nicht unbedingt. Jedenfalls nicht in Berlin.

Hier will man vom Ende der Bronzezeit nichts wissen, hat Jürgen Stratmann für uns herausgefunden und ist zu Recherchezwecken auch selbst in einen Bräunungsautomaten gestiegen. Hallo Jürgen! Wo bist du gewesen?

Autor: Im Sonnenstudio Solarrent am Hermannplatz im hippen Neukölln - nach deren Angaben "älteste deutsche" Sonnenstudiokette – waren 2014 schon mal pleite – haben aber in der ganzen Stadt noch Studios – und habe gestaunt: Es war wirklich viel los!

Moderatorin: Bist du denn ein Solarien-Gänger?

Autor: Nie gewesen – ich fand diese gegerbten Moorleichen mit Goldkettchen unterm offenen Hemd immer eher possierlich - aber solche Exemplare hab ich gar nicht entdeckt.

Moderatorin: Sondern?

Autor: Eine bunte Mischung – sowohl die sportlich gebauten Ghetto-Jungs mit Kapuzen-Pulli und Jogging-Hose, ein paar munter-dralle Girlies, aber auch hager-alternative Kreuzberger mit Bärtchen und Strick-Mützen, genauso wie ältere Herren in Mantel und Schal. Vor mir an der Theke - zwei Shopping-Queens in-den-besten-Jahren mit blonden Mähnen – und eine eher schüchterne (schätzungsweise) Anfang-20-jährige, und alle wussten ganz genau, was sie wollten.

"Ich möchte gern die schwächste Variante – 5 Minuten!"
"Dann empfehle ich 'Intensiv-Soft' - Kabine 30."
Shopping Queens: "Halloooo – Sie haben das letzte Mal empfohlen- Intensiv Plus'!"
"Das ist für die schnelle Bräune!"

Autor: Ich staune – das sind ja alles Experten. Die stehen ja hier an der Theke und suchen sich – wie sonst in der Speisekarte – ihr Menü aus.

Moderatorin: Aha! Vitamin D – das im Körper auf natürliche Weise nur durch Licht entstehen kann. Und das sorgt dann im besten Fall für Vitalität, Lebensfreude und steht für einen guten Grund, sich Licht, Sonne und Wärme wieder ganz bewusst zuzuwenden – statt sich davor zu schützen. Eine Auffassung, die dem Bräunungsstudio auch eine neue Berechtigung verschafft; was meinst du?

Autor: Biopositiv ist das Schlagwort – ein Begriff womit die sich offenbar bestens auskennen, und es aktiv in der Werbung einsetzen. Wie es scheint, haben die Sonnenstudio-Betreiber in den letzten Jahren daran gearbeitet, um einer insgesamt gesundheitsbewussteren Klientel, die E-Zigarretten raucht und alkoholfreies Bier trinkt, Angebote zu machen! Früher musste eine Sonnenbank schnell Farbe bringen, heute hat sich das Licht- und auch das Angebots-Spektrum erweitert - wobei wissenschaftlich umstritten ist, ob besagte biopositive Effekte mögliche UV-Schäden aufwiegen.

Moderatorin: Du warst zum ersten Mal dort? Hast du es ausprobiert?

Autor: Natürlich! Und finde: Trotz aller technischen Entwicklungen – es hat einen gewissen Retro-Charme: Das Sonnenstudio am Hermannplatz hat gefühlt fast Schwimmbad-Größe, 31 kanariengelb abgesetzte, weiße Kabinen an einem endlosen Mittelgang. Die Lichtsärge mit den grellen Leuchtröhren haben für mich auch so eine New-Wave-Ästhetik, zusätzlich bekommt man so eine stylische UV-Schutzbrille. Und als ich dann dran war, lief der Bon-Jovi-Klassiker "Bed of Roses". Ich hätte fast geweint!

Moderatorin: Oje. Ich bin in Anfang der Nuller-Jahre als ich nach Berlin kam und irgendwie immer fror, auch noch über keine Badewanne verfügte, vor allem deshalb hin und wieder ins Solarium gegangen. Weil das so irre durchwärmt von innen. Und? Wie war's bei dir?

Autor: Ich kann verstehen, warum man, fröstelnd, sonnenhungrig, vom Winterblues gebeutelt auf diese Technik setzt, und nicht beispielsweise auf risikoärmere Tageslichtlampen oder sowas: Man wird ja in kürzester Zeit komplett durchgeglüht. Und ob das nun gesund ist oder nicht - die Wirkung ist massiv spürbar, und ja:

"Es gibt Sonnensüchtige, denen müssen wir dann auch schon mal sagen: Nicht übertreiben! Ich weiß von mir selbst, dass ich es nicht so gut vertrage, aber es passiert mir trotzdem immer wieder. Wir weisen jedenfalls auf die Risiken hin"

Moderatorin: Stichwort: Lichttherapie, andere Techniken – wo warst du noch?

Autor: Im Airbrush-Tanning-Studio Healthy Glow von Franziska Ina Fritz in Berlin-Mitte. In jeder Hinsicht das komplette Gegenteil: Ein kleines, stylish durch-designtes feines Studio, in dem nicht Laufkundschaft an einer Theke zu jeder Zeit einchecken kann. Bei Healthy Glow bekommt man einen Termin. Und Airbrush-Tanning und Solarien. Das sind das komplett verfeindete Lager: Die Sonnenstudio-Szene wirft dem Airbrush-Tanning-Lager vor, Selbstbräuner-Lackierung sei Geldschneiderei. Die Airbrush-Tanning-Seite sagt:

"Solarium ist vorsätzliche Körperverletzung!

Moderatorin: Airbrush-Tanning - was ist das genau?
Autor: Man wird mit feiner Airbrush-Düse braun angesprüht – ich habe meinen Arm mal leicht tönen lassen.

Franziska Ina Fritz: "Ich benutze eine Lotion, die sich acht Stunden entwickeln sollte."
Wie lange hält das?
"Sieben Tage!"
Das riecht süßlich?
"Das ist ein Zuckerderivat, alles auswaschbar, eine komplett organische Lotion."
Und stimmt das, man kann auch Konturen sprühen?
"Ja, Body-Conturing: Muskeln, Dekolletés, den Körper in Szene setzen. Das kommt aus Amerika, da gibt es richtige Spray-Tanning-Artists. Da wird ein richtiger Kult darum gemacht- und ich finde auch, dass das Kunst ist, was ich hier mache."
Worin besteht die?
"Erst mal darin, den Kunden nicht zu versauern!"
Wer kommt?
"Ein extremer Querschnitt der Gesellschaft: Erstens, die Gesundheitsbewussten. Damen über 30, die merken, dass UV altern lässt, die dann eine Null-Toleranz-Politik in Sachen UV fahren. Und es kommen auch viele, die ins Solarium gehen, aber sich hier ihr Feintuning. Ich bin aber richtig gut drin, denen das Solarium auszureden."
Also sind das verfeindete Szenen?
"Nein, unterschiedliche Zielgruppen. Solarien-Gänger nenne ich Tannorexiker. Menschen die sonnensüchtig sind, viel in der Sonne sind, viel im Solarium sind, die die eigene Bräune gar nicht mehr wahrnehmen."

Moderatorin: Da gibt's also schon eine Krankheitsbezeichnung - aber bringt die Farbsprüherei was für die Psyche?

Autor: Man wird halt aufgehübscht. Das macht ja gute Laune! Außerdem bemessen bis heute viele ihren Urlaubs-Erholungs-Grad an der Intensität ihrer Bräune. Braune Haut wirke auf diese Leute quasi auto-suggestiv entspannend! Aber inwieweit sich das Spektrum moderner Sonnen-Anbeterei diversifiziert hat, zeigt sich daran: Bei Healthy Glow kann man sich auch die Haut mit einer speziellen "Energizing Light Therapy" bestrahlen lassen – gegenüber der Tanning-Sprüh-Kabine in Franziska Ina Fritz' Studio sind auf einem wuchtigen Behandlungsstuhl um die Nackenstützen herum Flutlicht-Lampen-große Strahler angebracht und die sollen Folgendes machen:

Franziska Ina Fritz: "Meine Licht-Therapie ist nicht nur eine Stimmungs-Anwendung, sondern auch Anti-Aging-Behandlung bis in die dritte Hautschicht, die Subcutis hinein. Und der Witz ist: Das ist von einem Solariumshersteller entwickelt."
Es hat also den Solariumseffekt - Stimmungsaufheller - macht aber nicht braun?
"Nein, ist komplett UV-frei, aber ich hab Kundschaft, die erst unters Licht geht, und dann sich tannen lässt!"

Moderatorin: Klingt ein bisschen verrückt. Erst Licht, das nicht bräunt, danach Bräune ohne Licht. Jürgen Stratmann ist mit uns durch die Welt der Licht- und Bräunungsstudios gereist. Danke dafür!